Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Rarl Salzer Aber das Ärgernis, das die vielen anderen nehmen werden? Keine Begründung Da fällt ihm ein Ausweg ein. Es gibt da im Dorfe eine Sorte Menschen, die die öffentliche Anschauung "Salzer, horch mi Will dir einen guten Rat geben, guten Rat geben!" Der Pfarrer spricht jedes vierte, fünfte Wort doppelt. Da spricht er als Karl fragt neugierig und mit lechzender Erwartung: "Und was wär das für ein Rat?" Der Pfarrer gibt vertraulich seinen guten Rat: "Geh mal zum Hungels - Gleichen und sag dort, sag, was du auch mir da Der gute Rat des Pfarrers befriedigt den Burschen nur halb. Das ist kein Als Karl wieder auf der Straße ist, überlegt er, ob er gleich zur Hungels- Wie wird der Unkel Hannes sich zu dem guten Rate des Pfarrers stellen? So geht denn Karl heim mit seinem guten Rate und nicht gleich zur Rarl Salzer Aber das Ärgernis, das die vielen anderen nehmen werden? Keine Begründung Da fällt ihm ein Ausweg ein. Es gibt da im Dorfe eine Sorte Menschen, die die öffentliche Anschauung „Salzer, horch mi Will dir einen guten Rat geben, guten Rat geben!" Der Pfarrer spricht jedes vierte, fünfte Wort doppelt. Da spricht er als Karl fragt neugierig und mit lechzender Erwartung: „Und was wär das für ein Rat?" Der Pfarrer gibt vertraulich seinen guten Rat: „Geh mal zum Hungels - Gleichen und sag dort, sag, was du auch mir da Der gute Rat des Pfarrers befriedigt den Burschen nur halb. Das ist kein Als Karl wieder auf der Straße ist, überlegt er, ob er gleich zur Hungels- Wie wird der Unkel Hannes sich zu dem guten Rate des Pfarrers stellen? So geht denn Karl heim mit seinem guten Rate und nicht gleich zur <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322740"/> <fw type="header" place="top"> Rarl Salzer</fw><lb/> <p xml:id="ID_1615"> Aber das Ärgernis, das die vielen anderen nehmen werden? Keine Begründung<lb/> werden sie annehmen, keinen Hinweis auf die unermeßliche Barmherzigkeit Gottes<lb/> verstehen wollen. Als eine Entschuldigung nicht des Sünders, sondern als eine<lb/> Beschönigung der ruchlosen Tat werden sie es deuten und unter sich dann sagen:<lb/> Gott, 's ist mit allen Sünden net so schlimm. Und die Jungen werden das von<lb/> den Alten hören, und das Ärgernis wird ein großes sein. Und soll er bei solchen<lb/> Aussichten diesem einen Schäflein, das verloren gehen könnte, nachgehen? Soll er<lb/> ihm nachgehen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1616"> Da fällt ihm ein Ausweg ein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1617"> Es gibt da im Dorfe eine Sorte Menschen, die die öffentliche Anschauung<lb/> über sittliche Dinge besonders zu beeinflussen imstande sind, jene alten Jungfern,<lb/> die sehr fromm sind und bitterböse Mäuler haben; die alles, was im Dorfe<lb/> geschieht, durchhecheln und nichts ungeschoren lassen; die, als jede Aussicht aus<lb/> eine Heirat geschwunden war, Jesum zu ihrem Bräutigam erwählten. Die Sitten¬<lb/> polizei des Dorfes. Und zu dieser Sittenpolizei könnte man den Burschen schicken.</p><lb/> <p xml:id="ID_1618"> „Salzer, horch mi Will dir einen guten Rat geben, guten Rat geben!"</p><lb/> <p xml:id="ID_1619"> Der Pfarrer spricht jedes vierte, fünfte Wort doppelt. 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Rarl Salzer
Aber das Ärgernis, das die vielen anderen nehmen werden? Keine Begründung
werden sie annehmen, keinen Hinweis auf die unermeßliche Barmherzigkeit Gottes
verstehen wollen. Als eine Entschuldigung nicht des Sünders, sondern als eine
Beschönigung der ruchlosen Tat werden sie es deuten und unter sich dann sagen:
Gott, 's ist mit allen Sünden net so schlimm. Und die Jungen werden das von
den Alten hören, und das Ärgernis wird ein großes sein. Und soll er bei solchen
Aussichten diesem einen Schäflein, das verloren gehen könnte, nachgehen? Soll er
ihm nachgehen?
Da fällt ihm ein Ausweg ein.
Es gibt da im Dorfe eine Sorte Menschen, die die öffentliche Anschauung
über sittliche Dinge besonders zu beeinflussen imstande sind, jene alten Jungfern,
die sehr fromm sind und bitterböse Mäuler haben; die alles, was im Dorfe
geschieht, durchhecheln und nichts ungeschoren lassen; die, als jede Aussicht aus
eine Heirat geschwunden war, Jesum zu ihrem Bräutigam erwählten. Die Sitten¬
polizei des Dorfes. Und zu dieser Sittenpolizei könnte man den Burschen schicken.
„Salzer, horch mi Will dir einen guten Rat geben, guten Rat geben!"
Der Pfarrer spricht jedes vierte, fünfte Wort doppelt. Da spricht er als
Mensch und nicht als Priester.
Karl fragt neugierig und mit lechzender Erwartung:
„Und was wär das für ein Rat?"
Der Pfarrer gibt vertraulich seinen guten Rat:
„Geh mal zum Hungels - Gleichen und sag dort, sag, was du auch mir da
erzählt hast von der vollkommenen Reue, versteh, von der vollkommenen Reue,
und sagst noch dazu, der Herr Pfarrer hätt gemeint, daß man das Kreuz ruinieren
tat, wär grad nicht notwendig, grad nicht notwendig. Sag dort so, sag's genau
so! Wird seine Wirkung haben, schon seine Wirkung tun!"
Der gute Rat des Pfarrers befriedigt den Burschen nur halb. Das ist kein
goldener, das ist ein holperiger Mittelweg, den der Pfarrer da eingeschlagen hat;
ein sehr holperiger Mittelweg. Aber da nichts anderes zu erreichen ist, bescheidet
er sich und geht.
Als Karl wieder auf der Straße ist, überlegt er, ob er gleich zur Hungels-
Gret gehen soll. Aber Sonntags ist die nicht anzutreffen; so oft ein Glöcklein
läutet, springt sie in die Kirche. Karl denkt, es sei eigentlich schade, daß nicht
jeder Tag ein Sonntag ist. Wenigstens für die Frommen müßte es so sein; für
die frommen Betschwestern des Dorfes, deren Zungen sich dann weniger zum
Schaden des Nächsten und mehr zur Ehre Gottes regen müßten.
Wie wird der Unkel Hannes sich zu dem guten Rate des Pfarrers stellen?
Er, der den Frommen nicht sehr hold ist, der den selbstgerechten Quisseln einen
ganz giftigen Namen gegeben hat und sagt: die Nächsten am Thron Gottes.
So geht denn Karl heim mit seinem guten Rate und nicht gleich zur
Hungels-Grek. (Fortsetzung folgt)
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