Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Karl Salzer

gesehen von einigen allgemein als dringend anerkannten organisatorischen
Abänderungen, die alte Form für die alten Stiftungen einstweilen bestehen und
behandle zunächst nur alle neuen Anträge nach der neuen Form. Wird dann
gesetzlich den Besitzern der alten Fideikommisse freigestellt, zu der neuen, freieren
Form überzugehen, so wird es vermutlich nur eine Frage der Zeit sein, ob
sie von dieser Befugnis Gebrauch machen. Denn die Aussicht auf eigene freiere
Bewegung und die Möglichkeit, die nachgeborenen oder die vielleicht nur weib¬
lichen Kinder angemessen auszustatten, wird stiller, aber ebenso sicher wirken,
wie ein Gewaltakt des Gesetzgebers.




Aarl Walzer
Lin Roman
Richard Knies von
(Elfte Fortsetzung)

Ganz neu kommt dem Burschen das Dorf vor, so lange ist es her, seit er
zum letztenmal an einem Sonntagnachmittag durch seine Gassen ging.

Da gucken die Männer und Weiber zum Fenster heraus. Die Männer sind
hemdärmelig; Sonntags haben sie weißleinene Hemden an, deren Brustteil und
Ärmelbindchen steif gestärkt sind. Die Weiber tragen städtisch-modische Kleider,
aber immer ein paar Jahre hinter der modernsten Moderne, denn man verbraucht
seine Sonntagskleider nicht in einem kurzen Jahre.

So liegen sie auf den verschränkten Armen und schauen auf die Gasse und
schwatzen mit den Männern, die mit der Zigarre im Munde ins Wirtshaus gehen.
Und die Mädchen spazieren in langen Reihen Arm in Arm in den Schloßgarten,
der Sonntagsnachmittags für das Publikum geöffnet ist.

Und ein Pärchen geht zur Hochzeit laden. Sie geht schamig neben ihm.
Er dreht den Kops unternehmend nach allen Seiten und läßt sich als Hochzeiter
bewundern. Seine Freunde ziehen eine Strecke weit entfernt hinterdrein. Wenn
das Paar in ein Haus gegangen ist, um zu sagen, daß man sich am kommenden
Mittwoch zum Hochzeitsmahle einfinden solle, dann schießen die Burschen unten
im Hofe aus Pistolen.

So ist das Sonntags auf den Gassen, durch deren Treiben Karl möglichst
unbeachtet hindurchzuschlüpfen trachtet; denn sie sind immer noch unfreundlich zu
ihm. Auf sein Grüßen danken sie nicht oder erwidern es mit mürrischen und
verächtlichen Mienen.

Auf der Graden Gasse ist er ungenierter. Da gehen die vielen Wormser,
die an den schönen Spätsommertagen ihrer Stadt entfliehet? und den Spelzheimer
Park heimsuchen.


Karl Salzer

gesehen von einigen allgemein als dringend anerkannten organisatorischen
Abänderungen, die alte Form für die alten Stiftungen einstweilen bestehen und
behandle zunächst nur alle neuen Anträge nach der neuen Form. Wird dann
gesetzlich den Besitzern der alten Fideikommisse freigestellt, zu der neuen, freieren
Form überzugehen, so wird es vermutlich nur eine Frage der Zeit sein, ob
sie von dieser Befugnis Gebrauch machen. Denn die Aussicht auf eigene freiere
Bewegung und die Möglichkeit, die nachgeborenen oder die vielleicht nur weib¬
lichen Kinder angemessen auszustatten, wird stiller, aber ebenso sicher wirken,
wie ein Gewaltakt des Gesetzgebers.




Aarl Walzer
Lin Roman
Richard Knies von
(Elfte Fortsetzung)

Ganz neu kommt dem Burschen das Dorf vor, so lange ist es her, seit er
zum letztenmal an einem Sonntagnachmittag durch seine Gassen ging.

Da gucken die Männer und Weiber zum Fenster heraus. Die Männer sind
hemdärmelig; Sonntags haben sie weißleinene Hemden an, deren Brustteil und
Ärmelbindchen steif gestärkt sind. Die Weiber tragen städtisch-modische Kleider,
aber immer ein paar Jahre hinter der modernsten Moderne, denn man verbraucht
seine Sonntagskleider nicht in einem kurzen Jahre.

So liegen sie auf den verschränkten Armen und schauen auf die Gasse und
schwatzen mit den Männern, die mit der Zigarre im Munde ins Wirtshaus gehen.
Und die Mädchen spazieren in langen Reihen Arm in Arm in den Schloßgarten,
der Sonntagsnachmittags für das Publikum geöffnet ist.

Und ein Pärchen geht zur Hochzeit laden. Sie geht schamig neben ihm.
Er dreht den Kops unternehmend nach allen Seiten und läßt sich als Hochzeiter
bewundern. Seine Freunde ziehen eine Strecke weit entfernt hinterdrein. Wenn
das Paar in ein Haus gegangen ist, um zu sagen, daß man sich am kommenden
Mittwoch zum Hochzeitsmahle einfinden solle, dann schießen die Burschen unten
im Hofe aus Pistolen.

So ist das Sonntags auf den Gassen, durch deren Treiben Karl möglichst
unbeachtet hindurchzuschlüpfen trachtet; denn sie sind immer noch unfreundlich zu
ihm. Auf sein Grüßen danken sie nicht oder erwidern es mit mürrischen und
verächtlichen Mienen.

Auf der Graden Gasse ist er ungenierter. Da gehen die vielen Wormser,
die an den schönen Spätsommertagen ihrer Stadt entfliehet? und den Spelzheimer
Park heimsuchen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0332" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322734"/>
          <fw type="header" place="top"> Karl Salzer</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1541" prev="#ID_1540"> gesehen von einigen allgemein als dringend anerkannten organisatorischen<lb/>
Abänderungen, die alte Form für die alten Stiftungen einstweilen bestehen und<lb/>
behandle zunächst nur alle neuen Anträge nach der neuen Form. Wird dann<lb/>
gesetzlich den Besitzern der alten Fideikommisse freigestellt, zu der neuen, freieren<lb/>
Form überzugehen, so wird es vermutlich nur eine Frage der Zeit sein, ob<lb/>
sie von dieser Befugnis Gebrauch machen. Denn die Aussicht auf eigene freiere<lb/>
Bewegung und die Möglichkeit, die nachgeborenen oder die vielleicht nur weib¬<lb/>
lichen Kinder angemessen auszustatten, wird stiller, aber ebenso sicher wirken,<lb/>
wie ein Gewaltakt des Gesetzgebers.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Aarl Walzer<lb/>
Lin Roman<lb/><note type="byline"> Richard Knies</note> von<lb/>
(Elfte Fortsetzung)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1542"> Ganz neu kommt dem Burschen das Dorf vor, so lange ist es her, seit er<lb/>
zum letztenmal an einem Sonntagnachmittag durch seine Gassen ging.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1543"> Da gucken die Männer und Weiber zum Fenster heraus. Die Männer sind<lb/>
hemdärmelig; Sonntags haben sie weißleinene Hemden an, deren Brustteil und<lb/>
Ärmelbindchen steif gestärkt sind. Die Weiber tragen städtisch-modische Kleider,<lb/>
aber immer ein paar Jahre hinter der modernsten Moderne, denn man verbraucht<lb/>
seine Sonntagskleider nicht in einem kurzen Jahre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1544"> So liegen sie auf den verschränkten Armen und schauen auf die Gasse und<lb/>
schwatzen mit den Männern, die mit der Zigarre im Munde ins Wirtshaus gehen.<lb/>
Und die Mädchen spazieren in langen Reihen Arm in Arm in den Schloßgarten,<lb/>
der Sonntagsnachmittags für das Publikum geöffnet ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1545"> Und ein Pärchen geht zur Hochzeit laden. Sie geht schamig neben ihm.<lb/>
Er dreht den Kops unternehmend nach allen Seiten und läßt sich als Hochzeiter<lb/>
bewundern. Seine Freunde ziehen eine Strecke weit entfernt hinterdrein. Wenn<lb/>
das Paar in ein Haus gegangen ist, um zu sagen, daß man sich am kommenden<lb/>
Mittwoch zum Hochzeitsmahle einfinden solle, dann schießen die Burschen unten<lb/>
im Hofe aus Pistolen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1546"> So ist das Sonntags auf den Gassen, durch deren Treiben Karl möglichst<lb/>
unbeachtet hindurchzuschlüpfen trachtet; denn sie sind immer noch unfreundlich zu<lb/>
ihm. Auf sein Grüßen danken sie nicht oder erwidern es mit mürrischen und<lb/>
verächtlichen Mienen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1547"> Auf der Graden Gasse ist er ungenierter. Da gehen die vielen Wormser,<lb/>
die an den schönen Spätsommertagen ihrer Stadt entfliehet? und den Spelzheimer<lb/>
Park heimsuchen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0332] Karl Salzer gesehen von einigen allgemein als dringend anerkannten organisatorischen Abänderungen, die alte Form für die alten Stiftungen einstweilen bestehen und behandle zunächst nur alle neuen Anträge nach der neuen Form. Wird dann gesetzlich den Besitzern der alten Fideikommisse freigestellt, zu der neuen, freieren Form überzugehen, so wird es vermutlich nur eine Frage der Zeit sein, ob sie von dieser Befugnis Gebrauch machen. Denn die Aussicht auf eigene freiere Bewegung und die Möglichkeit, die nachgeborenen oder die vielleicht nur weib¬ lichen Kinder angemessen auszustatten, wird stiller, aber ebenso sicher wirken, wie ein Gewaltakt des Gesetzgebers. Aarl Walzer Lin Roman Richard Knies von (Elfte Fortsetzung) Ganz neu kommt dem Burschen das Dorf vor, so lange ist es her, seit er zum letztenmal an einem Sonntagnachmittag durch seine Gassen ging. Da gucken die Männer und Weiber zum Fenster heraus. Die Männer sind hemdärmelig; Sonntags haben sie weißleinene Hemden an, deren Brustteil und Ärmelbindchen steif gestärkt sind. Die Weiber tragen städtisch-modische Kleider, aber immer ein paar Jahre hinter der modernsten Moderne, denn man verbraucht seine Sonntagskleider nicht in einem kurzen Jahre. So liegen sie auf den verschränkten Armen und schauen auf die Gasse und schwatzen mit den Männern, die mit der Zigarre im Munde ins Wirtshaus gehen. Und die Mädchen spazieren in langen Reihen Arm in Arm in den Schloßgarten, der Sonntagsnachmittags für das Publikum geöffnet ist. Und ein Pärchen geht zur Hochzeit laden. Sie geht schamig neben ihm. Er dreht den Kops unternehmend nach allen Seiten und läßt sich als Hochzeiter bewundern. Seine Freunde ziehen eine Strecke weit entfernt hinterdrein. Wenn das Paar in ein Haus gegangen ist, um zu sagen, daß man sich am kommenden Mittwoch zum Hochzeitsmahle einfinden solle, dann schießen die Burschen unten im Hofe aus Pistolen. So ist das Sonntags auf den Gassen, durch deren Treiben Karl möglichst unbeachtet hindurchzuschlüpfen trachtet; denn sie sind immer noch unfreundlich zu ihm. Auf sein Grüßen danken sie nicht oder erwidern es mit mürrischen und verächtlichen Mienen. Auf der Graden Gasse ist er ungenierter. Da gehen die vielen Wormser, die an den schönen Spätsommertagen ihrer Stadt entfliehet? und den Spelzheimer Park heimsuchen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/332
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/332>, abgerufen am 15.01.2025.