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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Die Zukunft der Fideikommisse

das Fideikommißrecht, einem wirklichen wirtschaftlichen Bedürfnis entsprechend,
sich eingebürgert hätte. Das historisch Gewordene aber soll man nicht blind¬
lings vernichten, sondern daran anknüpfen und auf ihm weiter bauen.

Allerdings muß dieser Weiterbau heute auf neue, nämlich nicht mehr rein
privatwirtschaftliche Grundlagen gestellt werden. Und diese grundsätzliche Neu¬
orientierung für die Ziele, die man den Fideikommissen stecken soll, führt zu
weitgehenden praktischen Folgerungen. Vom früheren Standpunkt aus konnte
ein Fideikommiß kaum groß genug sein; der Besitzer sollte ja eben in glänzender
Stellung sein (die landrechtlichen Bestimmungen, auf den Geldwert der heutigen
Zeit ungerechnet, setzen ungefähr einen Markmillionär voraus; siehe unten) und
verhältnismäßig leicht von seinem Überfluß für Frau und jüngere Kinder zurück¬
legen können. Vom neuen, Staats- und volkswirtschaftlichen Standpunkte stellt
sich die Sache ganz anders: nicht der Glanz der Familie, sondern die Betriebs¬
fähigkeit des Gutes sowie seine Befestigung als Besitz soll gesichert werden, nicht
die Zusammenballung großer Komplexe und Latifundien ist erwünscht, sondern
eine wirtschaftlich nach den Verhältnissen des betreffenden Landesteils richtig
bemessene Größe; die dauernde Vereinigung aber mehrerer Fideikommisse in
derselben Hand ist hiernach grundsätzlich unerwünscht. Ferner kann, wie sich
die Verhältnisse praktisch entwickelt haben, heute im allgemeinen ein kleiner
Fideikommißbesitzer für seine jüngeren Kinder in kleinen Verhältnissen ebenso
gut oder schlecht sorgen, wie ein großer in großen. Endlich besteht kein
Zweifel, daß z. B. vier kleine Fideikommißgüter von je dreitausend Morgen
eine viel größere nationale Widerstandskraft besitzen, als ein großes von zwölf¬
tausend Morgen: die baltische Revolution hat dies genugsam erwiesen; es
kommt nicht nur darauf an, daß der Grundbuchtitel, sondern daß auch die
leitenden Menschen national sind.

Bevor wir nun jedoch auf einzelne Reformvorschläge eingehen, müssen wir
die Gründe kurz erwähnen, die gemeinhin in Literatur und Presse für und
wider das Fideikommiß vorgebracht werden. An empfehlenden Momenten steht
in erster Linie die Erhaltung des Waldbestandes; da fast die Hälfte des
Fideikommißareals Wald ist, so würde, wenn jemals eine völlige Aufhebung
der Fideikommisse stattfände, schon aus klimatischen Gründen unbedingt gleich¬
zeitig ein besonderes Waldschutzgesetz ergehen und tief in die gegenwärtigen
Eigentumsverhältnisse eingreifen müssen. In zweiter Linie kommt in Betracht,
daß in Zeiten starken Besitzwechsels -- wie er neuerdings stattfand und noch
stattfindet -- es für die ehrenamtliche kommunale Verwaltung auf dem Lande
von größter Bedeutung ist, daß durch einige Fideikommisse ein fester Stamm
von Besitzern dem Kreise und der Provinz erhalten bleibt. Dazu kommt in
völkischer Beziehung eine starke nationale Widerstandskraft; nie hätte das bal¬
tische Deutschtum sich gegen die russisch-lettische Revolution so erfolgreich behauptet,
wenn es nicht durch Fideikommißverfassung gefestigt wäre. Ferner kristallisiert
sich gerade an den befestigten Grundbesitz fast stets auch ein Stamm von seß-


Die Zukunft der Fideikommisse

das Fideikommißrecht, einem wirklichen wirtschaftlichen Bedürfnis entsprechend,
sich eingebürgert hätte. Das historisch Gewordene aber soll man nicht blind¬
lings vernichten, sondern daran anknüpfen und auf ihm weiter bauen.

Allerdings muß dieser Weiterbau heute auf neue, nämlich nicht mehr rein
privatwirtschaftliche Grundlagen gestellt werden. Und diese grundsätzliche Neu¬
orientierung für die Ziele, die man den Fideikommissen stecken soll, führt zu
weitgehenden praktischen Folgerungen. Vom früheren Standpunkt aus konnte
ein Fideikommiß kaum groß genug sein; der Besitzer sollte ja eben in glänzender
Stellung sein (die landrechtlichen Bestimmungen, auf den Geldwert der heutigen
Zeit ungerechnet, setzen ungefähr einen Markmillionär voraus; siehe unten) und
verhältnismäßig leicht von seinem Überfluß für Frau und jüngere Kinder zurück¬
legen können. Vom neuen, Staats- und volkswirtschaftlichen Standpunkte stellt
sich die Sache ganz anders: nicht der Glanz der Familie, sondern die Betriebs¬
fähigkeit des Gutes sowie seine Befestigung als Besitz soll gesichert werden, nicht
die Zusammenballung großer Komplexe und Latifundien ist erwünscht, sondern
eine wirtschaftlich nach den Verhältnissen des betreffenden Landesteils richtig
bemessene Größe; die dauernde Vereinigung aber mehrerer Fideikommisse in
derselben Hand ist hiernach grundsätzlich unerwünscht. Ferner kann, wie sich
die Verhältnisse praktisch entwickelt haben, heute im allgemeinen ein kleiner
Fideikommißbesitzer für seine jüngeren Kinder in kleinen Verhältnissen ebenso
gut oder schlecht sorgen, wie ein großer in großen. Endlich besteht kein
Zweifel, daß z. B. vier kleine Fideikommißgüter von je dreitausend Morgen
eine viel größere nationale Widerstandskraft besitzen, als ein großes von zwölf¬
tausend Morgen: die baltische Revolution hat dies genugsam erwiesen; es
kommt nicht nur darauf an, daß der Grundbuchtitel, sondern daß auch die
leitenden Menschen national sind.

Bevor wir nun jedoch auf einzelne Reformvorschläge eingehen, müssen wir
die Gründe kurz erwähnen, die gemeinhin in Literatur und Presse für und
wider das Fideikommiß vorgebracht werden. An empfehlenden Momenten steht
in erster Linie die Erhaltung des Waldbestandes; da fast die Hälfte des
Fideikommißareals Wald ist, so würde, wenn jemals eine völlige Aufhebung
der Fideikommisse stattfände, schon aus klimatischen Gründen unbedingt gleich¬
zeitig ein besonderes Waldschutzgesetz ergehen und tief in die gegenwärtigen
Eigentumsverhältnisse eingreifen müssen. In zweiter Linie kommt in Betracht,
daß in Zeiten starken Besitzwechsels — wie er neuerdings stattfand und noch
stattfindet — es für die ehrenamtliche kommunale Verwaltung auf dem Lande
von größter Bedeutung ist, daß durch einige Fideikommisse ein fester Stamm
von Besitzern dem Kreise und der Provinz erhalten bleibt. Dazu kommt in
völkischer Beziehung eine starke nationale Widerstandskraft; nie hätte das bal¬
tische Deutschtum sich gegen die russisch-lettische Revolution so erfolgreich behauptet,
wenn es nicht durch Fideikommißverfassung gefestigt wäre. Ferner kristallisiert
sich gerade an den befestigten Grundbesitz fast stets auch ein Stamm von seß-


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[0326] Die Zukunft der Fideikommisse das Fideikommißrecht, einem wirklichen wirtschaftlichen Bedürfnis entsprechend, sich eingebürgert hätte. Das historisch Gewordene aber soll man nicht blind¬ lings vernichten, sondern daran anknüpfen und auf ihm weiter bauen. Allerdings muß dieser Weiterbau heute auf neue, nämlich nicht mehr rein privatwirtschaftliche Grundlagen gestellt werden. Und diese grundsätzliche Neu¬ orientierung für die Ziele, die man den Fideikommissen stecken soll, führt zu weitgehenden praktischen Folgerungen. Vom früheren Standpunkt aus konnte ein Fideikommiß kaum groß genug sein; der Besitzer sollte ja eben in glänzender Stellung sein (die landrechtlichen Bestimmungen, auf den Geldwert der heutigen Zeit ungerechnet, setzen ungefähr einen Markmillionär voraus; siehe unten) und verhältnismäßig leicht von seinem Überfluß für Frau und jüngere Kinder zurück¬ legen können. Vom neuen, Staats- und volkswirtschaftlichen Standpunkte stellt sich die Sache ganz anders: nicht der Glanz der Familie, sondern die Betriebs¬ fähigkeit des Gutes sowie seine Befestigung als Besitz soll gesichert werden, nicht die Zusammenballung großer Komplexe und Latifundien ist erwünscht, sondern eine wirtschaftlich nach den Verhältnissen des betreffenden Landesteils richtig bemessene Größe; die dauernde Vereinigung aber mehrerer Fideikommisse in derselben Hand ist hiernach grundsätzlich unerwünscht. Ferner kann, wie sich die Verhältnisse praktisch entwickelt haben, heute im allgemeinen ein kleiner Fideikommißbesitzer für seine jüngeren Kinder in kleinen Verhältnissen ebenso gut oder schlecht sorgen, wie ein großer in großen. Endlich besteht kein Zweifel, daß z. B. vier kleine Fideikommißgüter von je dreitausend Morgen eine viel größere nationale Widerstandskraft besitzen, als ein großes von zwölf¬ tausend Morgen: die baltische Revolution hat dies genugsam erwiesen; es kommt nicht nur darauf an, daß der Grundbuchtitel, sondern daß auch die leitenden Menschen national sind. Bevor wir nun jedoch auf einzelne Reformvorschläge eingehen, müssen wir die Gründe kurz erwähnen, die gemeinhin in Literatur und Presse für und wider das Fideikommiß vorgebracht werden. An empfehlenden Momenten steht in erster Linie die Erhaltung des Waldbestandes; da fast die Hälfte des Fideikommißareals Wald ist, so würde, wenn jemals eine völlige Aufhebung der Fideikommisse stattfände, schon aus klimatischen Gründen unbedingt gleich¬ zeitig ein besonderes Waldschutzgesetz ergehen und tief in die gegenwärtigen Eigentumsverhältnisse eingreifen müssen. In zweiter Linie kommt in Betracht, daß in Zeiten starken Besitzwechsels — wie er neuerdings stattfand und noch stattfindet — es für die ehrenamtliche kommunale Verwaltung auf dem Lande von größter Bedeutung ist, daß durch einige Fideikommisse ein fester Stamm von Besitzern dem Kreise und der Provinz erhalten bleibt. Dazu kommt in völkischer Beziehung eine starke nationale Widerstandskraft; nie hätte das bal¬ tische Deutschtum sich gegen die russisch-lettische Revolution so erfolgreich behauptet, wenn es nicht durch Fideikommißverfassung gefestigt wäre. Ferner kristallisiert sich gerade an den befestigten Grundbesitz fast stets auch ein Stamm von seß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/326>, abgerufen am 15.01.2025.