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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Die Zukunft der Fideikommisse

wirtschaftliche Bedeutung hat: es muß eine gewisse Bevorzugung des Guts-
übernehmers gegenüber den andern Erben stattfinden. Wird ihm das Gut zu
dem vollen Verkaufswert angerechnet, so hat das zur Folge, daß er nicht leben
kann, daß durch die Schwäche an Kredit bzw. Betriebskapital eine gesunde
Fortentwicklung des Betriebes gehindert wird und daß notwendige Meliorationen
unterbleiben. Dies ist die zwingende wirtschaftliche Veranlassung zu gewissen
ländlichen Erbgewohnheiten geworden, nach denen der Übernehmer einen
ermäßigten Übernahmepreis zugebilligt erhält; und auch das Bürgerliche Gesetz¬
buch hat ihnen Rechnung getragen, indem es als Übernahmepreis für ein Landgut
im Zweifel den Ertragswert ansetzt, der wohl immer erheblich geringer sein
wird als der Verkaufswert.

Allein solche Erbgewohnheiten leiden an einem großen Fehler: Der bevor¬
zugte Übernehmer kann, wenn er lediglich unter dem allgemeinen bürgerlichen
Recht steht, alsbald seine Bevorzugung realisieren, und dadurch entsteht dann
der privatwirtschaftliche Nachteil, daß die anderen Erben umsonst verzichtet
haben, und der volkswirtschaftliche, daß das Gut nun doch, statt in einer
kräftigen, oft wieder in einer schwachen Hand sich befindet. Die Bevorzugung
des Übernehmers findet also ihre notwendige Ergänzung darin, daß er rechtlich
besonders gebunden wird, das Gut nicht zu verkaufen oder doch nicht zu seinem
alleinigen Vorteil. Die erste Alternative ist beim Fideikommiß verwirklicht, die
letztere, weniger strenge, beim bäuerlichen Anerbenrecht. Bei diesem erhält der
Anerbe nicht nur das Gut zum Ertragswert, sondern er erhält noch ein Drittel
von der ganzen Erbschaft als Voraus, muß diesen Voraus aber herauszahlen,
wenn er das Gut innerhalb einer bestimmten Anzahl von Jahren (fünfzehn
bis zwanzig) verkauft. Die Wirkung dieser Bestimmung ist wohl in den meisten
Fällen die gewünschte. Denn nach einer längeren Reihe von Jahren wird der
Besitzer, dessen Kinder inzwischen auf dem Gut herangewachsen sind, auch ohne
die Strafe der Voraus-Herauszahlung den Wunsch haben, das Gut unter den¬
selben Bedingungen, wie er es bekommen, weiter zu vererben. Das Anerbenrecht
stellt sich also der übergroßen Mobilisierung des Grundbesitzes in den Weg und
wirkt besitzbefestigend. Die ganze Rentengutsgesetzgebung und damit die innere
Kolonisation (Besitzbefestigungsgesetz vom 26. Juni 1912) hat man neuerdings
unter seine Herrschaft gestellt.

Danach ist vielleicht die Frage nicht ganz von der Hand zu weisen, ob
das Anerbenrecht nicht überhaupt das Problem der ländlichen Vererbung in
befriedigender Weise löst. Indessen muß man stets mit den historisch gewordenen
Verhältnissen rechnen. Das Anerbenrecht ist hinsichtlich des alten (nicht durch
neue Kolonisation begründeten) Besitzstandes nur in einzelnen Teilen Preußens
teils von alters her überkommen, teils eingeführt, und es hat stets nur für
Bauerngüter gegolten. So würde also für die Besttzbefestigung der größeren
Güter, deren Betriebsnatur im Grunde ganz dieselben Lebensbsdingungen hat,
es an jedem ihnen Rechnung tragenden Erbrecht gefehlt haben, wenn hier nicht


Die Zukunft der Fideikommisse

wirtschaftliche Bedeutung hat: es muß eine gewisse Bevorzugung des Guts-
übernehmers gegenüber den andern Erben stattfinden. Wird ihm das Gut zu
dem vollen Verkaufswert angerechnet, so hat das zur Folge, daß er nicht leben
kann, daß durch die Schwäche an Kredit bzw. Betriebskapital eine gesunde
Fortentwicklung des Betriebes gehindert wird und daß notwendige Meliorationen
unterbleiben. Dies ist die zwingende wirtschaftliche Veranlassung zu gewissen
ländlichen Erbgewohnheiten geworden, nach denen der Übernehmer einen
ermäßigten Übernahmepreis zugebilligt erhält; und auch das Bürgerliche Gesetz¬
buch hat ihnen Rechnung getragen, indem es als Übernahmepreis für ein Landgut
im Zweifel den Ertragswert ansetzt, der wohl immer erheblich geringer sein
wird als der Verkaufswert.

Allein solche Erbgewohnheiten leiden an einem großen Fehler: Der bevor¬
zugte Übernehmer kann, wenn er lediglich unter dem allgemeinen bürgerlichen
Recht steht, alsbald seine Bevorzugung realisieren, und dadurch entsteht dann
der privatwirtschaftliche Nachteil, daß die anderen Erben umsonst verzichtet
haben, und der volkswirtschaftliche, daß das Gut nun doch, statt in einer
kräftigen, oft wieder in einer schwachen Hand sich befindet. Die Bevorzugung
des Übernehmers findet also ihre notwendige Ergänzung darin, daß er rechtlich
besonders gebunden wird, das Gut nicht zu verkaufen oder doch nicht zu seinem
alleinigen Vorteil. Die erste Alternative ist beim Fideikommiß verwirklicht, die
letztere, weniger strenge, beim bäuerlichen Anerbenrecht. Bei diesem erhält der
Anerbe nicht nur das Gut zum Ertragswert, sondern er erhält noch ein Drittel
von der ganzen Erbschaft als Voraus, muß diesen Voraus aber herauszahlen,
wenn er das Gut innerhalb einer bestimmten Anzahl von Jahren (fünfzehn
bis zwanzig) verkauft. Die Wirkung dieser Bestimmung ist wohl in den meisten
Fällen die gewünschte. Denn nach einer längeren Reihe von Jahren wird der
Besitzer, dessen Kinder inzwischen auf dem Gut herangewachsen sind, auch ohne
die Strafe der Voraus-Herauszahlung den Wunsch haben, das Gut unter den¬
selben Bedingungen, wie er es bekommen, weiter zu vererben. Das Anerbenrecht
stellt sich also der übergroßen Mobilisierung des Grundbesitzes in den Weg und
wirkt besitzbefestigend. Die ganze Rentengutsgesetzgebung und damit die innere
Kolonisation (Besitzbefestigungsgesetz vom 26. Juni 1912) hat man neuerdings
unter seine Herrschaft gestellt.

Danach ist vielleicht die Frage nicht ganz von der Hand zu weisen, ob
das Anerbenrecht nicht überhaupt das Problem der ländlichen Vererbung in
befriedigender Weise löst. Indessen muß man stets mit den historisch gewordenen
Verhältnissen rechnen. Das Anerbenrecht ist hinsichtlich des alten (nicht durch
neue Kolonisation begründeten) Besitzstandes nur in einzelnen Teilen Preußens
teils von alters her überkommen, teils eingeführt, und es hat stets nur für
Bauerngüter gegolten. So würde also für die Besttzbefestigung der größeren
Güter, deren Betriebsnatur im Grunde ganz dieselben Lebensbsdingungen hat,
es an jedem ihnen Rechnung tragenden Erbrecht gefehlt haben, wenn hier nicht


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[0325] Die Zukunft der Fideikommisse wirtschaftliche Bedeutung hat: es muß eine gewisse Bevorzugung des Guts- übernehmers gegenüber den andern Erben stattfinden. Wird ihm das Gut zu dem vollen Verkaufswert angerechnet, so hat das zur Folge, daß er nicht leben kann, daß durch die Schwäche an Kredit bzw. Betriebskapital eine gesunde Fortentwicklung des Betriebes gehindert wird und daß notwendige Meliorationen unterbleiben. Dies ist die zwingende wirtschaftliche Veranlassung zu gewissen ländlichen Erbgewohnheiten geworden, nach denen der Übernehmer einen ermäßigten Übernahmepreis zugebilligt erhält; und auch das Bürgerliche Gesetz¬ buch hat ihnen Rechnung getragen, indem es als Übernahmepreis für ein Landgut im Zweifel den Ertragswert ansetzt, der wohl immer erheblich geringer sein wird als der Verkaufswert. Allein solche Erbgewohnheiten leiden an einem großen Fehler: Der bevor¬ zugte Übernehmer kann, wenn er lediglich unter dem allgemeinen bürgerlichen Recht steht, alsbald seine Bevorzugung realisieren, und dadurch entsteht dann der privatwirtschaftliche Nachteil, daß die anderen Erben umsonst verzichtet haben, und der volkswirtschaftliche, daß das Gut nun doch, statt in einer kräftigen, oft wieder in einer schwachen Hand sich befindet. Die Bevorzugung des Übernehmers findet also ihre notwendige Ergänzung darin, daß er rechtlich besonders gebunden wird, das Gut nicht zu verkaufen oder doch nicht zu seinem alleinigen Vorteil. Die erste Alternative ist beim Fideikommiß verwirklicht, die letztere, weniger strenge, beim bäuerlichen Anerbenrecht. Bei diesem erhält der Anerbe nicht nur das Gut zum Ertragswert, sondern er erhält noch ein Drittel von der ganzen Erbschaft als Voraus, muß diesen Voraus aber herauszahlen, wenn er das Gut innerhalb einer bestimmten Anzahl von Jahren (fünfzehn bis zwanzig) verkauft. Die Wirkung dieser Bestimmung ist wohl in den meisten Fällen die gewünschte. Denn nach einer längeren Reihe von Jahren wird der Besitzer, dessen Kinder inzwischen auf dem Gut herangewachsen sind, auch ohne die Strafe der Voraus-Herauszahlung den Wunsch haben, das Gut unter den¬ selben Bedingungen, wie er es bekommen, weiter zu vererben. Das Anerbenrecht stellt sich also der übergroßen Mobilisierung des Grundbesitzes in den Weg und wirkt besitzbefestigend. Die ganze Rentengutsgesetzgebung und damit die innere Kolonisation (Besitzbefestigungsgesetz vom 26. Juni 1912) hat man neuerdings unter seine Herrschaft gestellt. Danach ist vielleicht die Frage nicht ganz von der Hand zu weisen, ob das Anerbenrecht nicht überhaupt das Problem der ländlichen Vererbung in befriedigender Weise löst. Indessen muß man stets mit den historisch gewordenen Verhältnissen rechnen. Das Anerbenrecht ist hinsichtlich des alten (nicht durch neue Kolonisation begründeten) Besitzstandes nur in einzelnen Teilen Preußens teils von alters her überkommen, teils eingeführt, und es hat stets nur für Bauerngüter gegolten. So würde also für die Besttzbefestigung der größeren Güter, deren Betriebsnatur im Grunde ganz dieselben Lebensbsdingungen hat, es an jedem ihnen Rechnung tragenden Erbrecht gefehlt haben, wenn hier nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/325>, abgerufen am 15.01.2025.