Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Prometheus und Zarathustra

Frau Förster behauptet, daß er seit seiner Jugend den Bibel-Psalmen-Hymnenton
geliebt und ein Beweis hierfür ist seine Beschäftigung mit Hölderlins Hyperion
wo er den Reiz rhythmischer Prosa auf sich wirken ließ. Auch Bernouilli
(I. 367) weiß davon, daß: "bereits in den siebziger Jahren gelegentlich in ihm
der Traum auftaucht, ein Buch im Psalmenton zu schreiben."

Schließen wir nun hier vorläufig die Akten der Untersuchung und fragen,
was der vielen Worte kurzer Sinn ist. Soll die Abhängigkeit des "Zarathustra"
vom "Prometheus" hiermit geleugnet werden? Nein, es soll nur das neuerdings
als gesichert hingestellte Dogma in seiner Zweifelhaftigkeit begriffen werden.
Diese Abhängigkeit ist nichts weniger als gewiß. Sie ist möglich, doch kann
dem vorhandenen Material keine Sicherheit entnommen, die äußeren Ähnlich¬
keiten dagegen sehr wohl aus der Geistesstruktur der Zeit ohne Abhängigkeit
erklärt werden. Die Literaturgeschichte wird aber im Zweifelfalle mit Verzicht
auf wirksame und plausible Abhüngigkeitstheorien stets zur Annahme der
parallelen Betätigung schöpferischer Geister neigen, wo die Gedankenströme einer
Zeit den Parallelismus so nahe legen, besonders, wenn neben den Abhängigkeiten
grundlegende Gegensätzlichkeiten zu sehen sind. Es sei auf einen weiteren, tief¬
gehenden Gegensatz zwischen "Prometheus" und "Zarathustra" zum Schluß ver¬
wiesen. Ich muß voraussenden, daß ich sämtliche Deutungs-, Erklärungs- und
Grundgedankentheorien, die bisher über Spittelers "Prometheus" aufgestellt
wurden, die Spittelers im Kunstwart mit Inbegriffen, für grundverfehlt halte
und die einzelne Behandlung dieser Theorien meiner Spitteler Monographie,
allwo ich des Raumes eigener Herr bin, mir vorbehalte. Die Auffassungen
Weingartners, Spittelers, Bernouillis, Schalks, Hofmanns sind falsch, weil sie
alle diese Dichtung auf einen ethischen Gedanken zurückführen, während ihr nur
ein ästhetischer zugrunde liegt. Nicht der Sieg des Strebers gegen den wahr¬
haft Großen, nicht die Fragen des Gewissens und der Freiheit, der individuellen
oder der traditionellen Ethik sind der Inhalt der Prometheusdichtung, sondern
es ist der einzige Inhalt den ein christliches Epos seit Dante, Milton, Klopstock
hat und haben kann: die Erlösungsgeschichte der Menschheit. Der "Prometheus"
ist ein Erlösungsepos. Es stellt nichts mehr und nichts weniger dar, als das
Schicksal des Reiches Gottes auf Erden. Ich habe an dieser Stelle*) das Wesen der
epischen Weltanschauung formuliert, als die größtmögliche Erinnerungsferne, die
der ethisch unbeteiligte Betrachter, der Antiprophet, der Dichter an sich bei
seiner Weltenbetrachtung einnehmen kann. Dem judäisch-christlich-griechisch vor¬
bestimmten Geist Spittelers, der in einem Maße der Ausschließlichkeit Epiker
(im Sinne der Epopöe, nicht des Romans) ist, wie einer seit Jahrhunderten
die Erde nicht mehr betreten, entfaltet sich das Weltgeschehen in der Frage nach
der Möglichkeit einer Erlösung, nach der Frage: ist Jesus von Nazareth möglich,
ist er für uns auf dem Kreuze gestorben oder nicht?



) Grenzboten Heft 19, Jahrg. 1912.
Prometheus und Zarathustra

Frau Förster behauptet, daß er seit seiner Jugend den Bibel-Psalmen-Hymnenton
geliebt und ein Beweis hierfür ist seine Beschäftigung mit Hölderlins Hyperion
wo er den Reiz rhythmischer Prosa auf sich wirken ließ. Auch Bernouilli
(I. 367) weiß davon, daß: „bereits in den siebziger Jahren gelegentlich in ihm
der Traum auftaucht, ein Buch im Psalmenton zu schreiben."

Schließen wir nun hier vorläufig die Akten der Untersuchung und fragen,
was der vielen Worte kurzer Sinn ist. Soll die Abhängigkeit des „Zarathustra"
vom „Prometheus" hiermit geleugnet werden? Nein, es soll nur das neuerdings
als gesichert hingestellte Dogma in seiner Zweifelhaftigkeit begriffen werden.
Diese Abhängigkeit ist nichts weniger als gewiß. Sie ist möglich, doch kann
dem vorhandenen Material keine Sicherheit entnommen, die äußeren Ähnlich¬
keiten dagegen sehr wohl aus der Geistesstruktur der Zeit ohne Abhängigkeit
erklärt werden. Die Literaturgeschichte wird aber im Zweifelfalle mit Verzicht
auf wirksame und plausible Abhüngigkeitstheorien stets zur Annahme der
parallelen Betätigung schöpferischer Geister neigen, wo die Gedankenströme einer
Zeit den Parallelismus so nahe legen, besonders, wenn neben den Abhängigkeiten
grundlegende Gegensätzlichkeiten zu sehen sind. Es sei auf einen weiteren, tief¬
gehenden Gegensatz zwischen „Prometheus" und „Zarathustra" zum Schluß ver¬
wiesen. Ich muß voraussenden, daß ich sämtliche Deutungs-, Erklärungs- und
Grundgedankentheorien, die bisher über Spittelers „Prometheus" aufgestellt
wurden, die Spittelers im Kunstwart mit Inbegriffen, für grundverfehlt halte
und die einzelne Behandlung dieser Theorien meiner Spitteler Monographie,
allwo ich des Raumes eigener Herr bin, mir vorbehalte. Die Auffassungen
Weingartners, Spittelers, Bernouillis, Schalks, Hofmanns sind falsch, weil sie
alle diese Dichtung auf einen ethischen Gedanken zurückführen, während ihr nur
ein ästhetischer zugrunde liegt. Nicht der Sieg des Strebers gegen den wahr¬
haft Großen, nicht die Fragen des Gewissens und der Freiheit, der individuellen
oder der traditionellen Ethik sind der Inhalt der Prometheusdichtung, sondern
es ist der einzige Inhalt den ein christliches Epos seit Dante, Milton, Klopstock
hat und haben kann: die Erlösungsgeschichte der Menschheit. Der „Prometheus"
ist ein Erlösungsepos. Es stellt nichts mehr und nichts weniger dar, als das
Schicksal des Reiches Gottes auf Erden. Ich habe an dieser Stelle*) das Wesen der
epischen Weltanschauung formuliert, als die größtmögliche Erinnerungsferne, die
der ethisch unbeteiligte Betrachter, der Antiprophet, der Dichter an sich bei
seiner Weltenbetrachtung einnehmen kann. Dem judäisch-christlich-griechisch vor¬
bestimmten Geist Spittelers, der in einem Maße der Ausschließlichkeit Epiker
(im Sinne der Epopöe, nicht des Romans) ist, wie einer seit Jahrhunderten
die Erde nicht mehr betreten, entfaltet sich das Weltgeschehen in der Frage nach
der Möglichkeit einer Erlösung, nach der Frage: ist Jesus von Nazareth möglich,
ist er für uns auf dem Kreuze gestorben oder nicht?



) Grenzboten Heft 19, Jahrg. 1912.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0322" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322724"/>
            <fw type="header" place="top"> Prometheus und Zarathustra</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1513" prev="#ID_1512"> Frau Förster behauptet, daß er seit seiner Jugend den Bibel-Psalmen-Hymnenton<lb/>
geliebt und ein Beweis hierfür ist seine Beschäftigung mit Hölderlins Hyperion<lb/>
wo er den Reiz rhythmischer Prosa auf sich wirken ließ. Auch Bernouilli<lb/>
(I. 367) weiß davon, daß: &#x201E;bereits in den siebziger Jahren gelegentlich in ihm<lb/>
der Traum auftaucht, ein Buch im Psalmenton zu schreiben."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1514"> Schließen wir nun hier vorläufig die Akten der Untersuchung und fragen,<lb/>
was der vielen Worte kurzer Sinn ist. Soll die Abhängigkeit des &#x201E;Zarathustra"<lb/>
vom &#x201E;Prometheus" hiermit geleugnet werden? Nein, es soll nur das neuerdings<lb/>
als gesichert hingestellte Dogma in seiner Zweifelhaftigkeit begriffen werden.<lb/>
Diese Abhängigkeit ist nichts weniger als gewiß. Sie ist möglich, doch kann<lb/>
dem vorhandenen Material keine Sicherheit entnommen, die äußeren Ähnlich¬<lb/>
keiten dagegen sehr wohl aus der Geistesstruktur der Zeit ohne Abhängigkeit<lb/>
erklärt werden. Die Literaturgeschichte wird aber im Zweifelfalle mit Verzicht<lb/>
auf wirksame und plausible Abhüngigkeitstheorien stets zur Annahme der<lb/>
parallelen Betätigung schöpferischer Geister neigen, wo die Gedankenströme einer<lb/>
Zeit den Parallelismus so nahe legen, besonders, wenn neben den Abhängigkeiten<lb/>
grundlegende Gegensätzlichkeiten zu sehen sind. Es sei auf einen weiteren, tief¬<lb/>
gehenden Gegensatz zwischen &#x201E;Prometheus" und &#x201E;Zarathustra" zum Schluß ver¬<lb/>
wiesen. Ich muß voraussenden, daß ich sämtliche Deutungs-, Erklärungs- und<lb/>
Grundgedankentheorien, die bisher über Spittelers &#x201E;Prometheus" aufgestellt<lb/>
wurden, die Spittelers im Kunstwart mit Inbegriffen, für grundverfehlt halte<lb/>
und die einzelne Behandlung dieser Theorien meiner Spitteler Monographie,<lb/>
allwo ich des Raumes eigener Herr bin, mir vorbehalte. Die Auffassungen<lb/>
Weingartners, Spittelers, Bernouillis, Schalks, Hofmanns sind falsch, weil sie<lb/>
alle diese Dichtung auf einen ethischen Gedanken zurückführen, während ihr nur<lb/>
ein ästhetischer zugrunde liegt. Nicht der Sieg des Strebers gegen den wahr¬<lb/>
haft Großen, nicht die Fragen des Gewissens und der Freiheit, der individuellen<lb/>
oder der traditionellen Ethik sind der Inhalt der Prometheusdichtung, sondern<lb/>
es ist der einzige Inhalt den ein christliches Epos seit Dante, Milton, Klopstock<lb/>
hat und haben kann: die Erlösungsgeschichte der Menschheit. Der &#x201E;Prometheus"<lb/>
ist ein Erlösungsepos. Es stellt nichts mehr und nichts weniger dar, als das<lb/>
Schicksal des Reiches Gottes auf Erden. Ich habe an dieser Stelle*) das Wesen der<lb/>
epischen Weltanschauung formuliert, als die größtmögliche Erinnerungsferne, die<lb/>
der ethisch unbeteiligte Betrachter, der Antiprophet, der Dichter an sich bei<lb/>
seiner Weltenbetrachtung einnehmen kann. Dem judäisch-christlich-griechisch vor¬<lb/>
bestimmten Geist Spittelers, der in einem Maße der Ausschließlichkeit Epiker<lb/>
(im Sinne der Epopöe, nicht des Romans) ist, wie einer seit Jahrhunderten<lb/>
die Erde nicht mehr betreten, entfaltet sich das Weltgeschehen in der Frage nach<lb/>
der Möglichkeit einer Erlösung, nach der Frage: ist Jesus von Nazareth möglich,<lb/>
ist er für uns auf dem Kreuze gestorben oder nicht?</p><lb/>
            <note xml:id="FID_37" place="foot"> ) Grenzboten Heft 19, Jahrg. 1912.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0322] Prometheus und Zarathustra Frau Förster behauptet, daß er seit seiner Jugend den Bibel-Psalmen-Hymnenton geliebt und ein Beweis hierfür ist seine Beschäftigung mit Hölderlins Hyperion wo er den Reiz rhythmischer Prosa auf sich wirken ließ. Auch Bernouilli (I. 367) weiß davon, daß: „bereits in den siebziger Jahren gelegentlich in ihm der Traum auftaucht, ein Buch im Psalmenton zu schreiben." Schließen wir nun hier vorläufig die Akten der Untersuchung und fragen, was der vielen Worte kurzer Sinn ist. Soll die Abhängigkeit des „Zarathustra" vom „Prometheus" hiermit geleugnet werden? Nein, es soll nur das neuerdings als gesichert hingestellte Dogma in seiner Zweifelhaftigkeit begriffen werden. Diese Abhängigkeit ist nichts weniger als gewiß. Sie ist möglich, doch kann dem vorhandenen Material keine Sicherheit entnommen, die äußeren Ähnlich¬ keiten dagegen sehr wohl aus der Geistesstruktur der Zeit ohne Abhängigkeit erklärt werden. Die Literaturgeschichte wird aber im Zweifelfalle mit Verzicht auf wirksame und plausible Abhüngigkeitstheorien stets zur Annahme der parallelen Betätigung schöpferischer Geister neigen, wo die Gedankenströme einer Zeit den Parallelismus so nahe legen, besonders, wenn neben den Abhängigkeiten grundlegende Gegensätzlichkeiten zu sehen sind. Es sei auf einen weiteren, tief¬ gehenden Gegensatz zwischen „Prometheus" und „Zarathustra" zum Schluß ver¬ wiesen. Ich muß voraussenden, daß ich sämtliche Deutungs-, Erklärungs- und Grundgedankentheorien, die bisher über Spittelers „Prometheus" aufgestellt wurden, die Spittelers im Kunstwart mit Inbegriffen, für grundverfehlt halte und die einzelne Behandlung dieser Theorien meiner Spitteler Monographie, allwo ich des Raumes eigener Herr bin, mir vorbehalte. Die Auffassungen Weingartners, Spittelers, Bernouillis, Schalks, Hofmanns sind falsch, weil sie alle diese Dichtung auf einen ethischen Gedanken zurückführen, während ihr nur ein ästhetischer zugrunde liegt. Nicht der Sieg des Strebers gegen den wahr¬ haft Großen, nicht die Fragen des Gewissens und der Freiheit, der individuellen oder der traditionellen Ethik sind der Inhalt der Prometheusdichtung, sondern es ist der einzige Inhalt den ein christliches Epos seit Dante, Milton, Klopstock hat und haben kann: die Erlösungsgeschichte der Menschheit. Der „Prometheus" ist ein Erlösungsepos. Es stellt nichts mehr und nichts weniger dar, als das Schicksal des Reiches Gottes auf Erden. Ich habe an dieser Stelle*) das Wesen der epischen Weltanschauung formuliert, als die größtmögliche Erinnerungsferne, die der ethisch unbeteiligte Betrachter, der Antiprophet, der Dichter an sich bei seiner Weltenbetrachtung einnehmen kann. Dem judäisch-christlich-griechisch vor¬ bestimmten Geist Spittelers, der in einem Maße der Ausschließlichkeit Epiker (im Sinne der Epopöe, nicht des Romans) ist, wie einer seit Jahrhunderten die Erde nicht mehr betreten, entfaltet sich das Weltgeschehen in der Frage nach der Möglichkeit einer Erlösung, nach der Frage: ist Jesus von Nazareth möglich, ist er für uns auf dem Kreuze gestorben oder nicht? ) Grenzboten Heft 19, Jahrg. 1912.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/322
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/322>, abgerufen am 15.01.2025.