Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Prometheus und Zarathustra

Für die Beurteilung der Abhängigkeit ist die Gemeinschaftlichkeit so nahe¬
liegender Symbole weniger ergiebig, als die Art ihrer Anwendung. Da stehen
sich aber Spitteler und Nietzsche diametral entgegen.

Prometheus lebt in engster Gemeinschaft mit seinen Tieren. Die selbst¬
verständliche und unbedingte Herrschaft des Menschen vorausgesetzt, ist sein
Verhältnis zu ihnen naiv und zärtlich, ein Ergebnis langjährigen, unausgesetzten
Zusammenseins und Verstehens. So steht der Bauer zu seinem Vieh. Ohne
Sentimentalität, ohne Rührung legt er ihnen alle Last auf, die aus ihrem
Schicksal folgt, keinen Deut mehr. Das Schicksal, wofür er sich nicht verant¬
wortlich fühlt und sei es noch so grausam, einmal erfüllt, liebt er sie mit
alltagsgewohnter, ruhiger Zärtlichkeit, beherrscht sie als geistiger Lenker der
Arbeit am Tag und es fehlte nicht viel, daß er des Abends mit ihnen, wie
mit den übrigen Knechten, Mägden und Helfern als primu8 inter pare8 zu
Tische säße. Spittelers Löwe und Hund sind in dieser Art die individualisierte
Gattung und daß sie ihre Gattungseigenschaften im höchsten Grade besitzen,
daß sie sich mit einem erhabenen Menschenschicksal sinnlich verketten, -- darin
sind sie Individuen.

Zarathustras Löwe und Schlange dagegen sind Allegorien, stilisierte
Wappentiere, die gar kein Arbeits- und Alltagsschicksal haben. Sie haben weder
ein mit Zarathustra vielfältig verschlungenes Schicksal noch eine sichtbare,
gattungsmäßig bedingte Tierseele; sie sind nur Stickerei an Zarathustras Priester¬
mantel, bei der Arbeit sind sie nicht bei ihm. Sie sind nicht, sie repräsentieren
bloß. Sein Adler hat nur eine Eigenschaft, er ist mutig, seine Schlange nur
eine, sie ist klug. Wir sehen das ganze Leben von Spittelers Tieren, wir sehen
sie in tausend Gestalten, Lagen, Bewegungen. Bei Zarathustra eine einzige
Vision: "Und siehe! Ein Adler zog in weiten Kreisen durch die Luft, und an
ihm hing eine Schlange, nicht einer Beute gleich, sondern einer Freundin: denn
sie hielt sich um seinen Hals geringelt."

Prometheus ist ein naiver, der mit seinen Tieren lebt, mit ihnen sein
Schicksal teilt, indem er sie beherrscht und in die er zugleich sein Innerstes
hineinpr.ojiziert; Zarathustra dagegen ist ein in Seide einherschreitender Hoher-
priester, der stolz auf seine Wappentiere blickt, nur ihre abstrahierten, stilisierten
Eigenschaften kennt, deren dekorativer Ausdruck sie geworden und ruft ihnen
von der Ferne zu: "Mögen mich meine Tiere führen." Prometheus aber schläft
mit den seinigen auf einem Lager.

So zeigt die Anwendung der Tiersymbolik bei Nietzsche und Spitteler nur
Verschiedenheit.

Ganz unzulänglich ist die Annahme, Nietzsche müsse den Gedanken des
Übermenschen aus dem "Prometheus" genommen haben, falls er ihn gekannt
habe. Selbst dann nicht. Ich will ganz davon absehen, daß schließlich jede
Heldenvorstellung dem Übermenschen nah verwandt und so alt wie die Menschheit
ist. Es sei nur auf die gemeinsame Quelle hingewiesen, aus der zwei hervor-


Prometheus und Zarathustra

Für die Beurteilung der Abhängigkeit ist die Gemeinschaftlichkeit so nahe¬
liegender Symbole weniger ergiebig, als die Art ihrer Anwendung. Da stehen
sich aber Spitteler und Nietzsche diametral entgegen.

Prometheus lebt in engster Gemeinschaft mit seinen Tieren. Die selbst¬
verständliche und unbedingte Herrschaft des Menschen vorausgesetzt, ist sein
Verhältnis zu ihnen naiv und zärtlich, ein Ergebnis langjährigen, unausgesetzten
Zusammenseins und Verstehens. So steht der Bauer zu seinem Vieh. Ohne
Sentimentalität, ohne Rührung legt er ihnen alle Last auf, die aus ihrem
Schicksal folgt, keinen Deut mehr. Das Schicksal, wofür er sich nicht verant¬
wortlich fühlt und sei es noch so grausam, einmal erfüllt, liebt er sie mit
alltagsgewohnter, ruhiger Zärtlichkeit, beherrscht sie als geistiger Lenker der
Arbeit am Tag und es fehlte nicht viel, daß er des Abends mit ihnen, wie
mit den übrigen Knechten, Mägden und Helfern als primu8 inter pare8 zu
Tische säße. Spittelers Löwe und Hund sind in dieser Art die individualisierte
Gattung und daß sie ihre Gattungseigenschaften im höchsten Grade besitzen,
daß sie sich mit einem erhabenen Menschenschicksal sinnlich verketten, — darin
sind sie Individuen.

Zarathustras Löwe und Schlange dagegen sind Allegorien, stilisierte
Wappentiere, die gar kein Arbeits- und Alltagsschicksal haben. Sie haben weder
ein mit Zarathustra vielfältig verschlungenes Schicksal noch eine sichtbare,
gattungsmäßig bedingte Tierseele; sie sind nur Stickerei an Zarathustras Priester¬
mantel, bei der Arbeit sind sie nicht bei ihm. Sie sind nicht, sie repräsentieren
bloß. Sein Adler hat nur eine Eigenschaft, er ist mutig, seine Schlange nur
eine, sie ist klug. Wir sehen das ganze Leben von Spittelers Tieren, wir sehen
sie in tausend Gestalten, Lagen, Bewegungen. Bei Zarathustra eine einzige
Vision: „Und siehe! Ein Adler zog in weiten Kreisen durch die Luft, und an
ihm hing eine Schlange, nicht einer Beute gleich, sondern einer Freundin: denn
sie hielt sich um seinen Hals geringelt."

Prometheus ist ein naiver, der mit seinen Tieren lebt, mit ihnen sein
Schicksal teilt, indem er sie beherrscht und in die er zugleich sein Innerstes
hineinpr.ojiziert; Zarathustra dagegen ist ein in Seide einherschreitender Hoher-
priester, der stolz auf seine Wappentiere blickt, nur ihre abstrahierten, stilisierten
Eigenschaften kennt, deren dekorativer Ausdruck sie geworden und ruft ihnen
von der Ferne zu: „Mögen mich meine Tiere führen." Prometheus aber schläft
mit den seinigen auf einem Lager.

So zeigt die Anwendung der Tiersymbolik bei Nietzsche und Spitteler nur
Verschiedenheit.

Ganz unzulänglich ist die Annahme, Nietzsche müsse den Gedanken des
Übermenschen aus dem „Prometheus" genommen haben, falls er ihn gekannt
habe. Selbst dann nicht. Ich will ganz davon absehen, daß schließlich jede
Heldenvorstellung dem Übermenschen nah verwandt und so alt wie die Menschheit
ist. Es sei nur auf die gemeinsame Quelle hingewiesen, aus der zwei hervor-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0316" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322718"/>
            <fw type="header" place="top"> Prometheus und Zarathustra</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1484"> Für die Beurteilung der Abhängigkeit ist die Gemeinschaftlichkeit so nahe¬<lb/>
liegender Symbole weniger ergiebig, als die Art ihrer Anwendung. Da stehen<lb/>
sich aber Spitteler und Nietzsche diametral entgegen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1485"> Prometheus lebt in engster Gemeinschaft mit seinen Tieren. Die selbst¬<lb/>
verständliche und unbedingte Herrschaft des Menschen vorausgesetzt, ist sein<lb/>
Verhältnis zu ihnen naiv und zärtlich, ein Ergebnis langjährigen, unausgesetzten<lb/>
Zusammenseins und Verstehens. So steht der Bauer zu seinem Vieh. Ohne<lb/>
Sentimentalität, ohne Rührung legt er ihnen alle Last auf, die aus ihrem<lb/>
Schicksal folgt, keinen Deut mehr. Das Schicksal, wofür er sich nicht verant¬<lb/>
wortlich fühlt und sei es noch so grausam, einmal erfüllt, liebt er sie mit<lb/>
alltagsgewohnter, ruhiger Zärtlichkeit, beherrscht sie als geistiger Lenker der<lb/>
Arbeit am Tag und es fehlte nicht viel, daß er des Abends mit ihnen, wie<lb/>
mit den übrigen Knechten, Mägden und Helfern als primu8 inter pare8 zu<lb/>
Tische säße. Spittelers Löwe und Hund sind in dieser Art die individualisierte<lb/>
Gattung und daß sie ihre Gattungseigenschaften im höchsten Grade besitzen,<lb/>
daß sie sich mit einem erhabenen Menschenschicksal sinnlich verketten, &#x2014; darin<lb/>
sind sie Individuen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1486"> Zarathustras Löwe und Schlange dagegen sind Allegorien, stilisierte<lb/>
Wappentiere, die gar kein Arbeits- und Alltagsschicksal haben. Sie haben weder<lb/>
ein mit Zarathustra vielfältig verschlungenes Schicksal noch eine sichtbare,<lb/>
gattungsmäßig bedingte Tierseele; sie sind nur Stickerei an Zarathustras Priester¬<lb/>
mantel, bei der Arbeit sind sie nicht bei ihm. Sie sind nicht, sie repräsentieren<lb/>
bloß. Sein Adler hat nur eine Eigenschaft, er ist mutig, seine Schlange nur<lb/>
eine, sie ist klug. Wir sehen das ganze Leben von Spittelers Tieren, wir sehen<lb/>
sie in tausend Gestalten, Lagen, Bewegungen. Bei Zarathustra eine einzige<lb/>
Vision: &#x201E;Und siehe! Ein Adler zog in weiten Kreisen durch die Luft, und an<lb/>
ihm hing eine Schlange, nicht einer Beute gleich, sondern einer Freundin: denn<lb/>
sie hielt sich um seinen Hals geringelt."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1487"> Prometheus ist ein naiver, der mit seinen Tieren lebt, mit ihnen sein<lb/>
Schicksal teilt, indem er sie beherrscht und in die er zugleich sein Innerstes<lb/>
hineinpr.ojiziert; Zarathustra dagegen ist ein in Seide einherschreitender Hoher-<lb/>
priester, der stolz auf seine Wappentiere blickt, nur ihre abstrahierten, stilisierten<lb/>
Eigenschaften kennt, deren dekorativer Ausdruck sie geworden und ruft ihnen<lb/>
von der Ferne zu: &#x201E;Mögen mich meine Tiere führen." Prometheus aber schläft<lb/>
mit den seinigen auf einem Lager.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1488"> So zeigt die Anwendung der Tiersymbolik bei Nietzsche und Spitteler nur<lb/>
Verschiedenheit.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1489" next="#ID_1490"> Ganz unzulänglich ist die Annahme, Nietzsche müsse den Gedanken des<lb/>
Übermenschen aus dem &#x201E;Prometheus" genommen haben, falls er ihn gekannt<lb/>
habe. Selbst dann nicht. Ich will ganz davon absehen, daß schließlich jede<lb/>
Heldenvorstellung dem Übermenschen nah verwandt und so alt wie die Menschheit<lb/>
ist. Es sei nur auf die gemeinsame Quelle hingewiesen, aus der zwei hervor-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0316] Prometheus und Zarathustra Für die Beurteilung der Abhängigkeit ist die Gemeinschaftlichkeit so nahe¬ liegender Symbole weniger ergiebig, als die Art ihrer Anwendung. Da stehen sich aber Spitteler und Nietzsche diametral entgegen. Prometheus lebt in engster Gemeinschaft mit seinen Tieren. Die selbst¬ verständliche und unbedingte Herrschaft des Menschen vorausgesetzt, ist sein Verhältnis zu ihnen naiv und zärtlich, ein Ergebnis langjährigen, unausgesetzten Zusammenseins und Verstehens. So steht der Bauer zu seinem Vieh. Ohne Sentimentalität, ohne Rührung legt er ihnen alle Last auf, die aus ihrem Schicksal folgt, keinen Deut mehr. Das Schicksal, wofür er sich nicht verant¬ wortlich fühlt und sei es noch so grausam, einmal erfüllt, liebt er sie mit alltagsgewohnter, ruhiger Zärtlichkeit, beherrscht sie als geistiger Lenker der Arbeit am Tag und es fehlte nicht viel, daß er des Abends mit ihnen, wie mit den übrigen Knechten, Mägden und Helfern als primu8 inter pare8 zu Tische säße. Spittelers Löwe und Hund sind in dieser Art die individualisierte Gattung und daß sie ihre Gattungseigenschaften im höchsten Grade besitzen, daß sie sich mit einem erhabenen Menschenschicksal sinnlich verketten, — darin sind sie Individuen. Zarathustras Löwe und Schlange dagegen sind Allegorien, stilisierte Wappentiere, die gar kein Arbeits- und Alltagsschicksal haben. Sie haben weder ein mit Zarathustra vielfältig verschlungenes Schicksal noch eine sichtbare, gattungsmäßig bedingte Tierseele; sie sind nur Stickerei an Zarathustras Priester¬ mantel, bei der Arbeit sind sie nicht bei ihm. Sie sind nicht, sie repräsentieren bloß. Sein Adler hat nur eine Eigenschaft, er ist mutig, seine Schlange nur eine, sie ist klug. Wir sehen das ganze Leben von Spittelers Tieren, wir sehen sie in tausend Gestalten, Lagen, Bewegungen. Bei Zarathustra eine einzige Vision: „Und siehe! Ein Adler zog in weiten Kreisen durch die Luft, und an ihm hing eine Schlange, nicht einer Beute gleich, sondern einer Freundin: denn sie hielt sich um seinen Hals geringelt." Prometheus ist ein naiver, der mit seinen Tieren lebt, mit ihnen sein Schicksal teilt, indem er sie beherrscht und in die er zugleich sein Innerstes hineinpr.ojiziert; Zarathustra dagegen ist ein in Seide einherschreitender Hoher- priester, der stolz auf seine Wappentiere blickt, nur ihre abstrahierten, stilisierten Eigenschaften kennt, deren dekorativer Ausdruck sie geworden und ruft ihnen von der Ferne zu: „Mögen mich meine Tiere führen." Prometheus aber schläft mit den seinigen auf einem Lager. So zeigt die Anwendung der Tiersymbolik bei Nietzsche und Spitteler nur Verschiedenheit. Ganz unzulänglich ist die Annahme, Nietzsche müsse den Gedanken des Übermenschen aus dem „Prometheus" genommen haben, falls er ihn gekannt habe. Selbst dann nicht. Ich will ganz davon absehen, daß schließlich jede Heldenvorstellung dem Übermenschen nah verwandt und so alt wie die Menschheit ist. Es sei nur auf die gemeinsame Quelle hingewiesen, aus der zwei hervor-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/316
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/316>, abgerufen am 15.01.2025.