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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Karl Salzer

angelegen sein lassen, sind, wenngleich auf ideeller Basis ruhend, keine
eigentlichen Wohltätigkeits-, sondern mehr Wohlfahrtsvereine, die weibliche Per¬
sonen jedes Alters, jedes Standes beraten, ihnen helfen und nur in besonderen
Fällen auch pekuniär unterstützen.

Nur den Angehörigen besserer Stände dienen die beiden kolonialwirtschaft¬
lichen Frauenschulen*) in England, die ihre Zöglinge mehr zu selbständiger
Arbeit in den Kolonien erziehen, doch auch oft mit Stellungen in fremden Fa¬
milien auf dem Lande und in der Stadt versorgen.

Für Emigration von Kindern des kleinen Mittelstandes hat eine Mrs.
Wallis in Toronto eine Organisation geschaffen, die vor allem bestrebt ist, den
Kindern von Gewerbetreibenden die Vorteile der Auswanderung nach Kanada
zu verschaffen.

Rein privater Natur ist das Unternehmen von Mrs. Sanford in Winnipeg;
sie erhält von kanadischen Familien, die weibliche Dienstmädchen wünschen, bare
Geldvorschüsse, mit denen sie alljährlich nach England reist. Dort engagiert sie
emigrationslustige Mädchen, bestreitet die Reisekosten und geleitet sie sicher über
das Wasser. Das Reisegeld wird den Mädchen allmählich vom Lohn, der
durchschnittlich 480 Mark pro Jahr beträgt, abgezogen. Von hundertachtzehn
Mädchen, die Mrs. Sanford in fünf Jahren nach Kanada brachte, haben nur
zwei in ihrer Entwicklung nicht befriedigt. Gewiß kein schlechter Erfolg.




Aarl Walzer
<Lin Roman
Richard Knies von
(Zehnte Fortsetzung)
10.

Das ist so dort: Sonntags nach dem Hochamt besuchen sie ihre Toten auf
dem Friedhof. Wenigstens so lange tun sie eS, als der Schmerz noch frisch ist.
Man kann nicht sagen, daß sie allzu empfindsam seien. Bei den meisten heilen
die Wunden sehr rasch, die seelischen Wunden. Zuerst ist ja bei den lebhaften
Rheinhessen viel Weinen und Wehklagen, aber man hat auch schon erlebt, daß die
Töchter eines bereits lange Jahre hindurch kranken und nun dem Tode nahen
Vaters sich unter Kichern und lachender Lustigkeit die Trauerkleider gemacht haben,
und, als der Tod dann wirklich eingetreten war, Sturzbäche von gesenktem Leid
vergossen.



*) Arlesley College und Swcmley College,
Karl Salzer

angelegen sein lassen, sind, wenngleich auf ideeller Basis ruhend, keine
eigentlichen Wohltätigkeits-, sondern mehr Wohlfahrtsvereine, die weibliche Per¬
sonen jedes Alters, jedes Standes beraten, ihnen helfen und nur in besonderen
Fällen auch pekuniär unterstützen.

Nur den Angehörigen besserer Stände dienen die beiden kolonialwirtschaft¬
lichen Frauenschulen*) in England, die ihre Zöglinge mehr zu selbständiger
Arbeit in den Kolonien erziehen, doch auch oft mit Stellungen in fremden Fa¬
milien auf dem Lande und in der Stadt versorgen.

Für Emigration von Kindern des kleinen Mittelstandes hat eine Mrs.
Wallis in Toronto eine Organisation geschaffen, die vor allem bestrebt ist, den
Kindern von Gewerbetreibenden die Vorteile der Auswanderung nach Kanada
zu verschaffen.

Rein privater Natur ist das Unternehmen von Mrs. Sanford in Winnipeg;
sie erhält von kanadischen Familien, die weibliche Dienstmädchen wünschen, bare
Geldvorschüsse, mit denen sie alljährlich nach England reist. Dort engagiert sie
emigrationslustige Mädchen, bestreitet die Reisekosten und geleitet sie sicher über
das Wasser. Das Reisegeld wird den Mädchen allmählich vom Lohn, der
durchschnittlich 480 Mark pro Jahr beträgt, abgezogen. Von hundertachtzehn
Mädchen, die Mrs. Sanford in fünf Jahren nach Kanada brachte, haben nur
zwei in ihrer Entwicklung nicht befriedigt. Gewiß kein schlechter Erfolg.




Aarl Walzer
<Lin Roman
Richard Knies von
(Zehnte Fortsetzung)
10.

Das ist so dort: Sonntags nach dem Hochamt besuchen sie ihre Toten auf
dem Friedhof. Wenigstens so lange tun sie eS, als der Schmerz noch frisch ist.
Man kann nicht sagen, daß sie allzu empfindsam seien. Bei den meisten heilen
die Wunden sehr rasch, die seelischen Wunden. Zuerst ist ja bei den lebhaften
Rheinhessen viel Weinen und Wehklagen, aber man hat auch schon erlebt, daß die
Töchter eines bereits lange Jahre hindurch kranken und nun dem Tode nahen
Vaters sich unter Kichern und lachender Lustigkeit die Trauerkleider gemacht haben,
und, als der Tod dann wirklich eingetreten war, Sturzbäche von gesenktem Leid
vergossen.



*) Arlesley College und Swcmley College,
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[0274] Karl Salzer angelegen sein lassen, sind, wenngleich auf ideeller Basis ruhend, keine eigentlichen Wohltätigkeits-, sondern mehr Wohlfahrtsvereine, die weibliche Per¬ sonen jedes Alters, jedes Standes beraten, ihnen helfen und nur in besonderen Fällen auch pekuniär unterstützen. Nur den Angehörigen besserer Stände dienen die beiden kolonialwirtschaft¬ lichen Frauenschulen*) in England, die ihre Zöglinge mehr zu selbständiger Arbeit in den Kolonien erziehen, doch auch oft mit Stellungen in fremden Fa¬ milien auf dem Lande und in der Stadt versorgen. Für Emigration von Kindern des kleinen Mittelstandes hat eine Mrs. Wallis in Toronto eine Organisation geschaffen, die vor allem bestrebt ist, den Kindern von Gewerbetreibenden die Vorteile der Auswanderung nach Kanada zu verschaffen. Rein privater Natur ist das Unternehmen von Mrs. Sanford in Winnipeg; sie erhält von kanadischen Familien, die weibliche Dienstmädchen wünschen, bare Geldvorschüsse, mit denen sie alljährlich nach England reist. Dort engagiert sie emigrationslustige Mädchen, bestreitet die Reisekosten und geleitet sie sicher über das Wasser. Das Reisegeld wird den Mädchen allmählich vom Lohn, der durchschnittlich 480 Mark pro Jahr beträgt, abgezogen. Von hundertachtzehn Mädchen, die Mrs. Sanford in fünf Jahren nach Kanada brachte, haben nur zwei in ihrer Entwicklung nicht befriedigt. Gewiß kein schlechter Erfolg. Aarl Walzer <Lin Roman Richard Knies von (Zehnte Fortsetzung) 10. Das ist so dort: Sonntags nach dem Hochamt besuchen sie ihre Toten auf dem Friedhof. Wenigstens so lange tun sie eS, als der Schmerz noch frisch ist. Man kann nicht sagen, daß sie allzu empfindsam seien. Bei den meisten heilen die Wunden sehr rasch, die seelischen Wunden. Zuerst ist ja bei den lebhaften Rheinhessen viel Weinen und Wehklagen, aber man hat auch schon erlebt, daß die Töchter eines bereits lange Jahre hindurch kranken und nun dem Tode nahen Vaters sich unter Kichern und lachender Lustigkeit die Trauerkleider gemacht haben, und, als der Tod dann wirklich eingetreten war, Sturzbäche von gesenktem Leid vergossen. *) Arlesley College und Swcmley College,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/274>, abgerufen am 15.01.2025.