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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Erfordernisse der Gesetzcssxrache

stellt sich erst bei der Anwendung eines Gesetzes heraus, welchen Umfang und
welche sonstige Bedeutung ein vom Gesetzgeber gewählter Ausdruck hat. Oft
ist auch die Forderung, einen treffenden Ausdruck zu wählen, man möchte sagen
unerfüllbar. Welchen passenderen Ausdruck als "körperliche Sachen" hätte der
Gesetzgeber wohl im Z 242 Se. G. B. wählen können? Und doch, welche Streit¬
fragen hat es nicht hervorgerufen, als sich die Elektrizitätsdiebe damit ver¬
teidigten, daß Elektrizität keine körperliche Sache sei! Es empfiehlt sich jedenfalls,
wenn der Sprachgebrauch nicht ganz sicher ist oder wenn der Gesetzgeber davon
abweichen will, daß er erklärt, welche Bedeutung einem bestimmten Ausdruck
"im Sinne des betreffenden Gesetzes" innewohnt.

Die Gesetzessprache muß ferner rein sein in dem Sinne, daß der Gesetzgeber
keine entbehrlichen Fremdwörter braucht, aber auch Provinzialismen und nach¬
lässige Redewendungen vermeidet, die vielleicht in der Alltagssprache oder in
einem flüchtig geschriebenen Zeitungsberichte verzeihlich sind, aber nicht in einem
Gesetzeswerke großen Stils. Was die Beseitigung der Fremdwörter in der
Gesetzessprache anlangt, so ist allerdings große Zurückhaltung geboten. Denn
es ist nicht zu übersehen, daß sie namentlich in der Handelswelt vielfach fest
eingebürgert sind und internationalen Umlauf haben. Daher können selbst gute
Verdeutschungen große Verwirrung anrichten, weil das Volk dem Gesetzgeber
nicht mit seiner Ausdrucksweise folgt. Ob eine Verdeutschung gelungen ist, stellt
sich oft erst heraus, wenn das Gesetz in Kraft getreten ist. Gute Verdeutschungen
pflegt das Volk schnell anzunehmen, schlechte weist es zurück. Hier gelten ähnliche
Grundsätze für den Gesetzgeber wie bei der Bildung von Fachausdrücken.

An letzter Stelle erst steht die Schönheit der Gesetzessprache. Hier ist es
freilich schwer zu sagen, was man unter diesem Begriff zu verstehen hat. Ein
dichterisches Werk kann in bezug auf sprachliche Schönheit im höchsten Maße
vollendet sein, und doch wäre seine Ausdrucksweise bei einem Gesetze völlig
unangebracht. Die Schönheit der Gesetzessprache besteht nicht in einem glänzenden
Feuerwerk buntfarbiger Redensarten und packenden, geistreich wirkenden Gegensätzen,
sondern in einer ruhigen Einfachheit, in Natürlichkeit und Wohlklang der Rede.

Von untergeordneter, aber doch nicht ganz zu unterschätzender Bedeutung
ist die Wahl der Überschrift eines Gesetzes und die Fassung der Eingangs- und
der Schlußworte. In manchen Fällen bietet sich die Fassung der Überschrift
eines Gesetzes von selbst dar, z. B. Postgesetz, Neichsbankgesetz, Vereinsgesetz,
Strafgesetzbuch usw. In anderen Fällen läßt sich eine mehr oder weniger um¬
ständliche Bezeichnung des Gesetzes nicht vermeiden. Jedenfalls ist es ein gutes
Zeichen, daß man neuerdings auch der Fassung der Ueberschriften unserer Ge¬
setze Aufmerksamkeit geschenkt hat und bestrebt ist, möglichst kurze und treffende
Ausdrücke dafür zu wählen. Aus dem "Allgemeinen Deutschen Handelsgesetz¬
buch" ist ein "Handelsgesetzbuch", aus der "Allgemeinen Deutschen Wechsel¬
ordnung" eine "Wechselordnung" geworden. Die Militärstrafprozeßordnung
hat man in eine Militärstrafgerichtsordnung umgewandelt usw.


Erfordernisse der Gesetzcssxrache

stellt sich erst bei der Anwendung eines Gesetzes heraus, welchen Umfang und
welche sonstige Bedeutung ein vom Gesetzgeber gewählter Ausdruck hat. Oft
ist auch die Forderung, einen treffenden Ausdruck zu wählen, man möchte sagen
unerfüllbar. Welchen passenderen Ausdruck als „körperliche Sachen" hätte der
Gesetzgeber wohl im Z 242 Se. G. B. wählen können? Und doch, welche Streit¬
fragen hat es nicht hervorgerufen, als sich die Elektrizitätsdiebe damit ver¬
teidigten, daß Elektrizität keine körperliche Sache sei! Es empfiehlt sich jedenfalls,
wenn der Sprachgebrauch nicht ganz sicher ist oder wenn der Gesetzgeber davon
abweichen will, daß er erklärt, welche Bedeutung einem bestimmten Ausdruck
„im Sinne des betreffenden Gesetzes" innewohnt.

Die Gesetzessprache muß ferner rein sein in dem Sinne, daß der Gesetzgeber
keine entbehrlichen Fremdwörter braucht, aber auch Provinzialismen und nach¬
lässige Redewendungen vermeidet, die vielleicht in der Alltagssprache oder in
einem flüchtig geschriebenen Zeitungsberichte verzeihlich sind, aber nicht in einem
Gesetzeswerke großen Stils. Was die Beseitigung der Fremdwörter in der
Gesetzessprache anlangt, so ist allerdings große Zurückhaltung geboten. Denn
es ist nicht zu übersehen, daß sie namentlich in der Handelswelt vielfach fest
eingebürgert sind und internationalen Umlauf haben. Daher können selbst gute
Verdeutschungen große Verwirrung anrichten, weil das Volk dem Gesetzgeber
nicht mit seiner Ausdrucksweise folgt. Ob eine Verdeutschung gelungen ist, stellt
sich oft erst heraus, wenn das Gesetz in Kraft getreten ist. Gute Verdeutschungen
pflegt das Volk schnell anzunehmen, schlechte weist es zurück. Hier gelten ähnliche
Grundsätze für den Gesetzgeber wie bei der Bildung von Fachausdrücken.

An letzter Stelle erst steht die Schönheit der Gesetzessprache. Hier ist es
freilich schwer zu sagen, was man unter diesem Begriff zu verstehen hat. Ein
dichterisches Werk kann in bezug auf sprachliche Schönheit im höchsten Maße
vollendet sein, und doch wäre seine Ausdrucksweise bei einem Gesetze völlig
unangebracht. Die Schönheit der Gesetzessprache besteht nicht in einem glänzenden
Feuerwerk buntfarbiger Redensarten und packenden, geistreich wirkenden Gegensätzen,
sondern in einer ruhigen Einfachheit, in Natürlichkeit und Wohlklang der Rede.

Von untergeordneter, aber doch nicht ganz zu unterschätzender Bedeutung
ist die Wahl der Überschrift eines Gesetzes und die Fassung der Eingangs- und
der Schlußworte. In manchen Fällen bietet sich die Fassung der Überschrift
eines Gesetzes von selbst dar, z. B. Postgesetz, Neichsbankgesetz, Vereinsgesetz,
Strafgesetzbuch usw. In anderen Fällen läßt sich eine mehr oder weniger um¬
ständliche Bezeichnung des Gesetzes nicht vermeiden. Jedenfalls ist es ein gutes
Zeichen, daß man neuerdings auch der Fassung der Ueberschriften unserer Ge¬
setze Aufmerksamkeit geschenkt hat und bestrebt ist, möglichst kurze und treffende
Ausdrücke dafür zu wählen. Aus dem „Allgemeinen Deutschen Handelsgesetz¬
buch" ist ein „Handelsgesetzbuch", aus der „Allgemeinen Deutschen Wechsel¬
ordnung" eine „Wechselordnung" geworden. Die Militärstrafprozeßordnung
hat man in eine Militärstrafgerichtsordnung umgewandelt usw.


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[0267] Erfordernisse der Gesetzcssxrache stellt sich erst bei der Anwendung eines Gesetzes heraus, welchen Umfang und welche sonstige Bedeutung ein vom Gesetzgeber gewählter Ausdruck hat. Oft ist auch die Forderung, einen treffenden Ausdruck zu wählen, man möchte sagen unerfüllbar. Welchen passenderen Ausdruck als „körperliche Sachen" hätte der Gesetzgeber wohl im Z 242 Se. G. B. wählen können? Und doch, welche Streit¬ fragen hat es nicht hervorgerufen, als sich die Elektrizitätsdiebe damit ver¬ teidigten, daß Elektrizität keine körperliche Sache sei! Es empfiehlt sich jedenfalls, wenn der Sprachgebrauch nicht ganz sicher ist oder wenn der Gesetzgeber davon abweichen will, daß er erklärt, welche Bedeutung einem bestimmten Ausdruck „im Sinne des betreffenden Gesetzes" innewohnt. Die Gesetzessprache muß ferner rein sein in dem Sinne, daß der Gesetzgeber keine entbehrlichen Fremdwörter braucht, aber auch Provinzialismen und nach¬ lässige Redewendungen vermeidet, die vielleicht in der Alltagssprache oder in einem flüchtig geschriebenen Zeitungsberichte verzeihlich sind, aber nicht in einem Gesetzeswerke großen Stils. Was die Beseitigung der Fremdwörter in der Gesetzessprache anlangt, so ist allerdings große Zurückhaltung geboten. Denn es ist nicht zu übersehen, daß sie namentlich in der Handelswelt vielfach fest eingebürgert sind und internationalen Umlauf haben. Daher können selbst gute Verdeutschungen große Verwirrung anrichten, weil das Volk dem Gesetzgeber nicht mit seiner Ausdrucksweise folgt. Ob eine Verdeutschung gelungen ist, stellt sich oft erst heraus, wenn das Gesetz in Kraft getreten ist. Gute Verdeutschungen pflegt das Volk schnell anzunehmen, schlechte weist es zurück. Hier gelten ähnliche Grundsätze für den Gesetzgeber wie bei der Bildung von Fachausdrücken. An letzter Stelle erst steht die Schönheit der Gesetzessprache. Hier ist es freilich schwer zu sagen, was man unter diesem Begriff zu verstehen hat. Ein dichterisches Werk kann in bezug auf sprachliche Schönheit im höchsten Maße vollendet sein, und doch wäre seine Ausdrucksweise bei einem Gesetze völlig unangebracht. Die Schönheit der Gesetzessprache besteht nicht in einem glänzenden Feuerwerk buntfarbiger Redensarten und packenden, geistreich wirkenden Gegensätzen, sondern in einer ruhigen Einfachheit, in Natürlichkeit und Wohlklang der Rede. Von untergeordneter, aber doch nicht ganz zu unterschätzender Bedeutung ist die Wahl der Überschrift eines Gesetzes und die Fassung der Eingangs- und der Schlußworte. In manchen Fällen bietet sich die Fassung der Überschrift eines Gesetzes von selbst dar, z. B. Postgesetz, Neichsbankgesetz, Vereinsgesetz, Strafgesetzbuch usw. In anderen Fällen läßt sich eine mehr oder weniger um¬ ständliche Bezeichnung des Gesetzes nicht vermeiden. Jedenfalls ist es ein gutes Zeichen, daß man neuerdings auch der Fassung der Ueberschriften unserer Ge¬ setze Aufmerksamkeit geschenkt hat und bestrebt ist, möglichst kurze und treffende Ausdrücke dafür zu wählen. Aus dem „Allgemeinen Deutschen Handelsgesetz¬ buch" ist ein „Handelsgesetzbuch", aus der „Allgemeinen Deutschen Wechsel¬ ordnung" eine „Wechselordnung" geworden. Die Militärstrafprozeßordnung hat man in eine Militärstrafgerichtsordnung umgewandelt usw.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/267>, abgerufen am 15.01.2025.