Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Erfordernisse der Gesctzessprache bänger der letztgenannten Richtung alles Heil von einer strengen begrifflichen Jedenfalls ist die Richtung abzulehnen, die die Gesetzessprache zu einer Also weder eine reine Fachsprache noch eine reine Volkssprache soll die Erfordernisse der Gesctzessprache bänger der letztgenannten Richtung alles Heil von einer strengen begrifflichen Jedenfalls ist die Richtung abzulehnen, die die Gesetzessprache zu einer Also weder eine reine Fachsprache noch eine reine Volkssprache soll die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0265" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322667"/> <fw type="header" place="top"> Erfordernisse der Gesctzessprache</fw><lb/> <p xml:id="ID_1217" prev="#ID_1216"> bänger der letztgenannten Richtung alles Heil von einer strengen begrifflichen<lb/> Einordnung des Stoffes in rechtswissenschaftliche Formen erwarten, so stehen<lb/> sie wohl auch als Gesetzgeber auf dem Standpunkte, daß die Gesetzessprache<lb/> eine reine Fachsprache sein müsse, und daß das Streben nach Volkstümlichkeit<lb/> zu verwerfen sei. Sie brandmarken gewissermaßen die volkstümliche Sprache<lb/> und die damit verbundene Auffassung als unjuristisch. Die Freirechtsschule hat<lb/> sich bisher mit der Frage der Gesetzessprache nicht besonders beschäftigt, da sie<lb/> genug damit zu tun hat, ihre Rechtsauffassung gegen die herrschende Ansicht<lb/> zur Geltung zu bringen. Aber es ist nicht zu bezweifeln, daß ein Sieg der<lb/> Freirechts schule in unserer Rechtswissenschaft und unserer Rechtspflege auch auf<lb/> die Sprache der Gesetzgebung von entscheidenden Einfluß sein würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1218"> Jedenfalls ist die Richtung abzulehnen, die die Gesetzessprache zu einer<lb/> reinen Fachsprache zu machen bestrebt ist. Die Rechtswissenschaft ist keine Geheim¬<lb/> wissenschaft, und die Gesetzessprache darf keine Geheimsprache sein, die nur einem<lb/> Kreise von wissenschaftlich Eingeweihten zugänglich ist. Auf der anderen Seite<lb/> ist aber auch die Forderung zu weitgehend, ein Gesetzbuch müsse so abgefaßt<lb/> sein, daß es jeder verstehen, jeder sich ohne weiteres daraus Rat erholen könne.<lb/> Bei den einfachen Kulturverhältnissen ferner Zeiten mag das möglich gewesen<lb/> sein, heute nicht mehr. Außerdem aber sind diejenigen, die Volkstümlichkeit<lb/> der Gesetzessprache fordern, sich selbst wohl nicht vollständig darüber klar, was<lb/> sie verlangen. Das Volk setzt sich aus einer großen Menge sozialer Schichten<lb/> zusammen, deren Verständnis außerordentlich verschieden ist. Ein Gesetz, das<lb/> vielleicht volkstümlich im Sinne der Akademiker ist, ist es nicht für den Kauf¬<lb/> mann, den Angestellten, den kleinen Beamten; und eine Gesetzessprache, die dem<lb/> Auffassungsvermögen dieser Kreise gerecht würde, würde nicht verstanden werden<lb/> in den Kreisen der Arbeiter, der Dienstboten und der Angestellten für die<lb/> niedrigsten Verrichtungen. Wo soll man also die Grenze ziehen? Soll sich der<lb/> Gesetzgeber so ausdrücken, daß er bis in die untersten Volksschichten hinein ver¬<lb/> standen wird? Es erhellt ohne weiteres, daß die Forderung, die Gesetzessprache<lb/> müsse volkstümlich sein, ohne nähere Begrenzung zu weit geht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1219" next="#ID_1220"> Also weder eine reine Fachsprache noch eine reine Volkssprache soll die<lb/> Gesetzessprache sein. Der Gesetzgeber kann ohne eine gewisse rechtswissenschaftliche<lb/> Prägung seiner Worte nicht auskommen. Dazu dienen in erster Linie die<lb/> Fachausdrücke. Es ist von der größten Wichtigkeit, daß überall, wo ein Aus¬<lb/> druck zur Bezeichnung von Rechtsverhältnissen oder Rechtsvorgängen im Gesetze<lb/> wiederkehrt, er dieselbe Bedeutung habe. Dadurch wird die Einheitlichkeit in<lb/> der Gesetzessprache gewahrt, werden Weitschweifigkeit, Umständlichkeit und Un¬<lb/> sicherheit vermieden. In früheren Jahrhunderten, als die Aufgabe des Gesetz¬<lb/> gebers noch einfacher war, wurde die Einheitlichkeit der Gesetzessprache gewähr¬<lb/> leistet durch die Persönlichkeit des Gesetzgebers, durch seinen Stil. Heute, wo<lb/> ein größeres Gesetzeswerk die Mitarbeit zahlreicher Kräfte erfordert, wo der alles<lb/> beherrschende Zug ins Massenhafte auch auf dem Gebiete der Gesetzgebung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0265]
Erfordernisse der Gesctzessprache
bänger der letztgenannten Richtung alles Heil von einer strengen begrifflichen
Einordnung des Stoffes in rechtswissenschaftliche Formen erwarten, so stehen
sie wohl auch als Gesetzgeber auf dem Standpunkte, daß die Gesetzessprache
eine reine Fachsprache sein müsse, und daß das Streben nach Volkstümlichkeit
zu verwerfen sei. Sie brandmarken gewissermaßen die volkstümliche Sprache
und die damit verbundene Auffassung als unjuristisch. Die Freirechtsschule hat
sich bisher mit der Frage der Gesetzessprache nicht besonders beschäftigt, da sie
genug damit zu tun hat, ihre Rechtsauffassung gegen die herrschende Ansicht
zur Geltung zu bringen. Aber es ist nicht zu bezweifeln, daß ein Sieg der
Freirechts schule in unserer Rechtswissenschaft und unserer Rechtspflege auch auf
die Sprache der Gesetzgebung von entscheidenden Einfluß sein würde.
Jedenfalls ist die Richtung abzulehnen, die die Gesetzessprache zu einer
reinen Fachsprache zu machen bestrebt ist. Die Rechtswissenschaft ist keine Geheim¬
wissenschaft, und die Gesetzessprache darf keine Geheimsprache sein, die nur einem
Kreise von wissenschaftlich Eingeweihten zugänglich ist. Auf der anderen Seite
ist aber auch die Forderung zu weitgehend, ein Gesetzbuch müsse so abgefaßt
sein, daß es jeder verstehen, jeder sich ohne weiteres daraus Rat erholen könne.
Bei den einfachen Kulturverhältnissen ferner Zeiten mag das möglich gewesen
sein, heute nicht mehr. Außerdem aber sind diejenigen, die Volkstümlichkeit
der Gesetzessprache fordern, sich selbst wohl nicht vollständig darüber klar, was
sie verlangen. Das Volk setzt sich aus einer großen Menge sozialer Schichten
zusammen, deren Verständnis außerordentlich verschieden ist. Ein Gesetz, das
vielleicht volkstümlich im Sinne der Akademiker ist, ist es nicht für den Kauf¬
mann, den Angestellten, den kleinen Beamten; und eine Gesetzessprache, die dem
Auffassungsvermögen dieser Kreise gerecht würde, würde nicht verstanden werden
in den Kreisen der Arbeiter, der Dienstboten und der Angestellten für die
niedrigsten Verrichtungen. Wo soll man also die Grenze ziehen? Soll sich der
Gesetzgeber so ausdrücken, daß er bis in die untersten Volksschichten hinein ver¬
standen wird? Es erhellt ohne weiteres, daß die Forderung, die Gesetzessprache
müsse volkstümlich sein, ohne nähere Begrenzung zu weit geht.
Also weder eine reine Fachsprache noch eine reine Volkssprache soll die
Gesetzessprache sein. Der Gesetzgeber kann ohne eine gewisse rechtswissenschaftliche
Prägung seiner Worte nicht auskommen. Dazu dienen in erster Linie die
Fachausdrücke. Es ist von der größten Wichtigkeit, daß überall, wo ein Aus¬
druck zur Bezeichnung von Rechtsverhältnissen oder Rechtsvorgängen im Gesetze
wiederkehrt, er dieselbe Bedeutung habe. Dadurch wird die Einheitlichkeit in
der Gesetzessprache gewahrt, werden Weitschweifigkeit, Umständlichkeit und Un¬
sicherheit vermieden. In früheren Jahrhunderten, als die Aufgabe des Gesetz¬
gebers noch einfacher war, wurde die Einheitlichkeit der Gesetzessprache gewähr¬
leistet durch die Persönlichkeit des Gesetzgebers, durch seinen Stil. Heute, wo
ein größeres Gesetzeswerk die Mitarbeit zahlreicher Kräfte erfordert, wo der alles
beherrschende Zug ins Massenhafte auch auf dem Gebiete der Gesetzgebung
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