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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Erfordernisse der Gesetzessprache

und doch nicht weltfremd, und wie er anderseits doch wieder volkstümlich in
dem Sinne sein soll, daß er zu der Stadt gehört, die er überragt, so soll sich
auch die Gesetzessprache durch einen Zug ins Große auszeichnen und doch
wiederum der Seele des Volkes verwandt sein, dessen Rechtsleben sie regeln
soll. Die Aufgabe des Gesetzgebers ist daher in sprachlicher Beziehung nicht
leicht. Er hat größere Schwierigkeiten zu überwinden als ein Schriftsteller des
Alltagslebens, selbst wenn dieser den höchsten künstlerischen Zielen auf literarischen
Pfaden zustrebt. Zunächst kann sich der Gesetzgeber das Gebiet, auf dem er
wirken soll, nicht frei wählen wie der Schriftsteller. Denn das Gesetz regelt
alle Lebensverhältnisse. Ebensowenig kann der Gesetzgeber mit dem oft recht
spröden Stoffe frei schalten und walten wie der Dichter. Während dieser dem
Stoffe Geist von seinem Geiste einzuhauchen bestrebt ist und auf ganz bestimmte
künstlerische Wirkungen hinarbeitet, um derentwillen er einzelne Teile des Stoffes
nebensächlich behandeln, andere dafür um so wirkungsvoller hervortreten lassen
darf, sind dem Gesetzgeber seine Ziele genau vorgezeichnet, und er darf sie nicht
aus den Augen lassen, um als Meister der Sprache zu glänzen. Er soll dem
Willen der höchsten Staatsgewalt Ausdruck verleihen, er muß gebieten und
verbieten, er soll das Rechtsleben eines Volkes in bestimmte Bahnen lenken und
muß daher seinem Stoffe überall die gleiche Beachtung schenken. Er muß zu
allen sprechen und darum allen verständlich sein, wie verschieden auch ihre
Fähigkeit ihn zu verstehen sein möge. Und doch soll sich auf der anderen Seite
seine Sprache von der Sprache des Alltags unterscheiden und überdies eine
Fachsprache sein. Technische Rücksichten zwingen den Gesetzgeber, den Stoff in
Paragraphenreihen einzuteilen, was eine gewisse Einförmigkeit und damit eine
Beeinträchtigung der künstlerischen Wirkung unvermeidlich mit sich bringt. Aber
auch sonst legt die Eigenart der Gesetzessprache dem Gesetzgeber Fesseln an.
Er darf das prächtige Farbenspiel der Leidenschaft, das dichterischen Schöpfungen
oft den höchsten Reiz verleiht, in seiner Sprache nicht entfalten. Ernst und
einfach müssen die Töne sein, die er verwendet. Durch Witz, Humor, Zartheit,
Eleganz der Redewendungen zu glänzen ist ihm versagt. Sodann ist die
Gesetzessprache eine reine Schriftsprache, gewissermaßen eine schweigende Sprache,
die unter anderen Regeln steht wie das gesprochene Wort. Der Gesetzgeber
muß daher auf alle diejenigen Wirkungen verzichten, die sich nur in der freien
Rede erreichen lassen.

Ein hervorstechendes Kennzeichen unserer Kultur ist der Zug ins Massen¬
hafte, die Riesenhaftigkeit aller Verhältnisse, die es immer schwerer macht, den
Stoff geistig zu meistern und die Klippe der Schwerfälligkeit zu vermeiden.
Dieser Umstand bedingt es, daß der Gesetzgeber unserer Tage eine schwierigere
Aufgabe hat als seine Vorgänger in früheren Jahrhunderten, deren Sprache
volkstümlicher, wärmer, patriarchalischer und doch autoritativer klingt als die
Gesetzessprache unserer Zeit, die sich mehr und mehr von der Sprache des Volkes
entfernt hat, ohne darum an Erhabenheit und Würde zu gewinnen.


Erfordernisse der Gesetzessprache

und doch nicht weltfremd, und wie er anderseits doch wieder volkstümlich in
dem Sinne sein soll, daß er zu der Stadt gehört, die er überragt, so soll sich
auch die Gesetzessprache durch einen Zug ins Große auszeichnen und doch
wiederum der Seele des Volkes verwandt sein, dessen Rechtsleben sie regeln
soll. Die Aufgabe des Gesetzgebers ist daher in sprachlicher Beziehung nicht
leicht. Er hat größere Schwierigkeiten zu überwinden als ein Schriftsteller des
Alltagslebens, selbst wenn dieser den höchsten künstlerischen Zielen auf literarischen
Pfaden zustrebt. Zunächst kann sich der Gesetzgeber das Gebiet, auf dem er
wirken soll, nicht frei wählen wie der Schriftsteller. Denn das Gesetz regelt
alle Lebensverhältnisse. Ebensowenig kann der Gesetzgeber mit dem oft recht
spröden Stoffe frei schalten und walten wie der Dichter. Während dieser dem
Stoffe Geist von seinem Geiste einzuhauchen bestrebt ist und auf ganz bestimmte
künstlerische Wirkungen hinarbeitet, um derentwillen er einzelne Teile des Stoffes
nebensächlich behandeln, andere dafür um so wirkungsvoller hervortreten lassen
darf, sind dem Gesetzgeber seine Ziele genau vorgezeichnet, und er darf sie nicht
aus den Augen lassen, um als Meister der Sprache zu glänzen. Er soll dem
Willen der höchsten Staatsgewalt Ausdruck verleihen, er muß gebieten und
verbieten, er soll das Rechtsleben eines Volkes in bestimmte Bahnen lenken und
muß daher seinem Stoffe überall die gleiche Beachtung schenken. Er muß zu
allen sprechen und darum allen verständlich sein, wie verschieden auch ihre
Fähigkeit ihn zu verstehen sein möge. Und doch soll sich auf der anderen Seite
seine Sprache von der Sprache des Alltags unterscheiden und überdies eine
Fachsprache sein. Technische Rücksichten zwingen den Gesetzgeber, den Stoff in
Paragraphenreihen einzuteilen, was eine gewisse Einförmigkeit und damit eine
Beeinträchtigung der künstlerischen Wirkung unvermeidlich mit sich bringt. Aber
auch sonst legt die Eigenart der Gesetzessprache dem Gesetzgeber Fesseln an.
Er darf das prächtige Farbenspiel der Leidenschaft, das dichterischen Schöpfungen
oft den höchsten Reiz verleiht, in seiner Sprache nicht entfalten. Ernst und
einfach müssen die Töne sein, die er verwendet. Durch Witz, Humor, Zartheit,
Eleganz der Redewendungen zu glänzen ist ihm versagt. Sodann ist die
Gesetzessprache eine reine Schriftsprache, gewissermaßen eine schweigende Sprache,
die unter anderen Regeln steht wie das gesprochene Wort. Der Gesetzgeber
muß daher auf alle diejenigen Wirkungen verzichten, die sich nur in der freien
Rede erreichen lassen.

Ein hervorstechendes Kennzeichen unserer Kultur ist der Zug ins Massen¬
hafte, die Riesenhaftigkeit aller Verhältnisse, die es immer schwerer macht, den
Stoff geistig zu meistern und die Klippe der Schwerfälligkeit zu vermeiden.
Dieser Umstand bedingt es, daß der Gesetzgeber unserer Tage eine schwierigere
Aufgabe hat als seine Vorgänger in früheren Jahrhunderten, deren Sprache
volkstümlicher, wärmer, patriarchalischer und doch autoritativer klingt als die
Gesetzessprache unserer Zeit, die sich mehr und mehr von der Sprache des Volkes
entfernt hat, ohne darum an Erhabenheit und Würde zu gewinnen.


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[0263] Erfordernisse der Gesetzessprache und doch nicht weltfremd, und wie er anderseits doch wieder volkstümlich in dem Sinne sein soll, daß er zu der Stadt gehört, die er überragt, so soll sich auch die Gesetzessprache durch einen Zug ins Große auszeichnen und doch wiederum der Seele des Volkes verwandt sein, dessen Rechtsleben sie regeln soll. Die Aufgabe des Gesetzgebers ist daher in sprachlicher Beziehung nicht leicht. Er hat größere Schwierigkeiten zu überwinden als ein Schriftsteller des Alltagslebens, selbst wenn dieser den höchsten künstlerischen Zielen auf literarischen Pfaden zustrebt. Zunächst kann sich der Gesetzgeber das Gebiet, auf dem er wirken soll, nicht frei wählen wie der Schriftsteller. Denn das Gesetz regelt alle Lebensverhältnisse. Ebensowenig kann der Gesetzgeber mit dem oft recht spröden Stoffe frei schalten und walten wie der Dichter. Während dieser dem Stoffe Geist von seinem Geiste einzuhauchen bestrebt ist und auf ganz bestimmte künstlerische Wirkungen hinarbeitet, um derentwillen er einzelne Teile des Stoffes nebensächlich behandeln, andere dafür um so wirkungsvoller hervortreten lassen darf, sind dem Gesetzgeber seine Ziele genau vorgezeichnet, und er darf sie nicht aus den Augen lassen, um als Meister der Sprache zu glänzen. Er soll dem Willen der höchsten Staatsgewalt Ausdruck verleihen, er muß gebieten und verbieten, er soll das Rechtsleben eines Volkes in bestimmte Bahnen lenken und muß daher seinem Stoffe überall die gleiche Beachtung schenken. Er muß zu allen sprechen und darum allen verständlich sein, wie verschieden auch ihre Fähigkeit ihn zu verstehen sein möge. Und doch soll sich auf der anderen Seite seine Sprache von der Sprache des Alltags unterscheiden und überdies eine Fachsprache sein. Technische Rücksichten zwingen den Gesetzgeber, den Stoff in Paragraphenreihen einzuteilen, was eine gewisse Einförmigkeit und damit eine Beeinträchtigung der künstlerischen Wirkung unvermeidlich mit sich bringt. Aber auch sonst legt die Eigenart der Gesetzessprache dem Gesetzgeber Fesseln an. Er darf das prächtige Farbenspiel der Leidenschaft, das dichterischen Schöpfungen oft den höchsten Reiz verleiht, in seiner Sprache nicht entfalten. Ernst und einfach müssen die Töne sein, die er verwendet. Durch Witz, Humor, Zartheit, Eleganz der Redewendungen zu glänzen ist ihm versagt. Sodann ist die Gesetzessprache eine reine Schriftsprache, gewissermaßen eine schweigende Sprache, die unter anderen Regeln steht wie das gesprochene Wort. Der Gesetzgeber muß daher auf alle diejenigen Wirkungen verzichten, die sich nur in der freien Rede erreichen lassen. Ein hervorstechendes Kennzeichen unserer Kultur ist der Zug ins Massen¬ hafte, die Riesenhaftigkeit aller Verhältnisse, die es immer schwerer macht, den Stoff geistig zu meistern und die Klippe der Schwerfälligkeit zu vermeiden. Dieser Umstand bedingt es, daß der Gesetzgeber unserer Tage eine schwierigere Aufgabe hat als seine Vorgänger in früheren Jahrhunderten, deren Sprache volkstümlicher, wärmer, patriarchalischer und doch autoritativer klingt als die Gesetzessprache unserer Zeit, die sich mehr und mehr von der Sprache des Volkes entfernt hat, ohne darum an Erhabenheit und Würde zu gewinnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/263>, abgerufen am 15.01.2025.