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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Koloniale Fortschritte

Wir können Kolonie und Heimat nur beistimmen, wenn sie Herrn Dern-
burg darauf erwidert:

"Nun, wir bekennen uns zur Politik der Leute, die der Ansicht sind, daß
diejenigen Gebiete Afrikas, die sich einigermaßen dazu eignen, mit der Zeit,
natürlich unter Beobachtung der erdenklichsten Vorsichtsmaßregeln, planmäßig
besiedelt werden müssen. Denn weder von den farbigen Rassen, noch vom
Großkapital können unsere überseeischen Besitzungen voll ausgenutzt werden, Die
Gefahr, daß dabei schwächere Existenzen ,als Kulturdünger' untergehen, ist bei
den heutigen Fortschritten der Tropenhygiene verhältnismäßig gering. Die
Siedlungen der neueren Zeit beweisen dies. Und wirtschaftlich muß eben der
Staat, der ein Interesse an der Kultivierung seiner Kolonien hat, in der Über¬
gangszeit etwas nachhelfen.

Andere Völker haben dies längst begriffen. Nach der Dernburgschen An¬
schauung dürfte kein Staatsmann im zwanzigsten Jahrhundert dulden, daß sich
alljährlich Tausende in Bergwerken, Glasbläsereien, Spinnereien usw. die
Schwindsucht und den Tod holen. Der Fortschritt der Menschheit fordert eben
Opfer, das ist immer so gewesen und wird immer so bleiben. Blühende deutsche
Siedlungen in aller Herren Ländern zeigen dem, der aus der Menschheits¬
geschichte lernen will, daß es mit dem Großkapital allein nicht getan ist. Auch
das Großkapital mit seinen Schöpfungen steht und sällt mit der lebendigen
Arbeit des Menschen. Wir können Herrn Dernburg versichern, daß auch.nach
seinem Abgang' die weitere Kolonisation der Welt nicht nur versucht, sondern
sogar vollzogen werden wird. Dasjenige Volk, das nicht seine Kolonialgebiete
mit seinen Söhnen besetzt, wird ausgeschaltet."

Nun möchten wir aber den Begriff Besiedlung etwas näher erörtern. Wir
verstehen darunter keine kleinbäuerliche Besiedlung. Gewiß mag dies in kleinerem
Maßstab in Ostafrika und vielleicht auch in anderen Kolonien da und dort
möglich sein, wie z. B. die gute Entwicklung von Leudorf am Meruberg zu
beweisen scheint. Aber zu dieser Siedlungsform liegt weder für die Kolonien
noch für das Mutterland ein Bedürfnis vor. Wenn der echte Bauer in seiner
Heimat nicht mehr recht weiter kommt, so bietet sich ihm in den Ost¬
marken reichlich Gelegenheit, mit kleinem Kapital, das für die Kolonien viel
zu gering ist, eine neue Heimat zu gewinnen, in der er sich besser einzuleben
vermag als in den ihm meist ganz unverständlichen Verhältnissen Afrikas. Und
er nützt seinem Vaterland in den Ostmarken viel mehr denn als Überseer, Wer in der
Landwirtschaft überhaupt nicht mehr fortkommt, paßt auch nicht nach Afrika,
er tut besser, wenn er sich in der Industrie eine Existenz sucht. Für die aus¬
gesprochene Kleinsiedlung kann vielleicht noch ins Feld geführt werden, daß sie
beim kleinen Mann in der Heimat eine gute Werbekraft im Sinne des kolo¬
nialen Gedankens besitzt und deswegen wohl eine gewisse Förderung verdient.
Falsch wäre aber unserer Ansicht nach eine Kleinkolonisation im großen Stil.
Als Träger kolonialer Besiedlung kommen unseres Erachtens in erster Linie die


Koloniale Fortschritte

Wir können Kolonie und Heimat nur beistimmen, wenn sie Herrn Dern-
burg darauf erwidert:

„Nun, wir bekennen uns zur Politik der Leute, die der Ansicht sind, daß
diejenigen Gebiete Afrikas, die sich einigermaßen dazu eignen, mit der Zeit,
natürlich unter Beobachtung der erdenklichsten Vorsichtsmaßregeln, planmäßig
besiedelt werden müssen. Denn weder von den farbigen Rassen, noch vom
Großkapital können unsere überseeischen Besitzungen voll ausgenutzt werden, Die
Gefahr, daß dabei schwächere Existenzen ,als Kulturdünger' untergehen, ist bei
den heutigen Fortschritten der Tropenhygiene verhältnismäßig gering. Die
Siedlungen der neueren Zeit beweisen dies. Und wirtschaftlich muß eben der
Staat, der ein Interesse an der Kultivierung seiner Kolonien hat, in der Über¬
gangszeit etwas nachhelfen.

Andere Völker haben dies längst begriffen. Nach der Dernburgschen An¬
schauung dürfte kein Staatsmann im zwanzigsten Jahrhundert dulden, daß sich
alljährlich Tausende in Bergwerken, Glasbläsereien, Spinnereien usw. die
Schwindsucht und den Tod holen. Der Fortschritt der Menschheit fordert eben
Opfer, das ist immer so gewesen und wird immer so bleiben. Blühende deutsche
Siedlungen in aller Herren Ländern zeigen dem, der aus der Menschheits¬
geschichte lernen will, daß es mit dem Großkapital allein nicht getan ist. Auch
das Großkapital mit seinen Schöpfungen steht und sällt mit der lebendigen
Arbeit des Menschen. Wir können Herrn Dernburg versichern, daß auch.nach
seinem Abgang' die weitere Kolonisation der Welt nicht nur versucht, sondern
sogar vollzogen werden wird. Dasjenige Volk, das nicht seine Kolonialgebiete
mit seinen Söhnen besetzt, wird ausgeschaltet."

Nun möchten wir aber den Begriff Besiedlung etwas näher erörtern. Wir
verstehen darunter keine kleinbäuerliche Besiedlung. Gewiß mag dies in kleinerem
Maßstab in Ostafrika und vielleicht auch in anderen Kolonien da und dort
möglich sein, wie z. B. die gute Entwicklung von Leudorf am Meruberg zu
beweisen scheint. Aber zu dieser Siedlungsform liegt weder für die Kolonien
noch für das Mutterland ein Bedürfnis vor. Wenn der echte Bauer in seiner
Heimat nicht mehr recht weiter kommt, so bietet sich ihm in den Ost¬
marken reichlich Gelegenheit, mit kleinem Kapital, das für die Kolonien viel
zu gering ist, eine neue Heimat zu gewinnen, in der er sich besser einzuleben
vermag als in den ihm meist ganz unverständlichen Verhältnissen Afrikas. Und
er nützt seinem Vaterland in den Ostmarken viel mehr denn als Überseer, Wer in der
Landwirtschaft überhaupt nicht mehr fortkommt, paßt auch nicht nach Afrika,
er tut besser, wenn er sich in der Industrie eine Existenz sucht. Für die aus¬
gesprochene Kleinsiedlung kann vielleicht noch ins Feld geführt werden, daß sie
beim kleinen Mann in der Heimat eine gute Werbekraft im Sinne des kolo¬
nialen Gedankens besitzt und deswegen wohl eine gewisse Förderung verdient.
Falsch wäre aber unserer Ansicht nach eine Kleinkolonisation im großen Stil.
Als Träger kolonialer Besiedlung kommen unseres Erachtens in erster Linie die


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[0259] Koloniale Fortschritte Wir können Kolonie und Heimat nur beistimmen, wenn sie Herrn Dern- burg darauf erwidert: „Nun, wir bekennen uns zur Politik der Leute, die der Ansicht sind, daß diejenigen Gebiete Afrikas, die sich einigermaßen dazu eignen, mit der Zeit, natürlich unter Beobachtung der erdenklichsten Vorsichtsmaßregeln, planmäßig besiedelt werden müssen. Denn weder von den farbigen Rassen, noch vom Großkapital können unsere überseeischen Besitzungen voll ausgenutzt werden, Die Gefahr, daß dabei schwächere Existenzen ,als Kulturdünger' untergehen, ist bei den heutigen Fortschritten der Tropenhygiene verhältnismäßig gering. Die Siedlungen der neueren Zeit beweisen dies. Und wirtschaftlich muß eben der Staat, der ein Interesse an der Kultivierung seiner Kolonien hat, in der Über¬ gangszeit etwas nachhelfen. Andere Völker haben dies längst begriffen. Nach der Dernburgschen An¬ schauung dürfte kein Staatsmann im zwanzigsten Jahrhundert dulden, daß sich alljährlich Tausende in Bergwerken, Glasbläsereien, Spinnereien usw. die Schwindsucht und den Tod holen. Der Fortschritt der Menschheit fordert eben Opfer, das ist immer so gewesen und wird immer so bleiben. Blühende deutsche Siedlungen in aller Herren Ländern zeigen dem, der aus der Menschheits¬ geschichte lernen will, daß es mit dem Großkapital allein nicht getan ist. Auch das Großkapital mit seinen Schöpfungen steht und sällt mit der lebendigen Arbeit des Menschen. Wir können Herrn Dernburg versichern, daß auch.nach seinem Abgang' die weitere Kolonisation der Welt nicht nur versucht, sondern sogar vollzogen werden wird. Dasjenige Volk, das nicht seine Kolonialgebiete mit seinen Söhnen besetzt, wird ausgeschaltet." Nun möchten wir aber den Begriff Besiedlung etwas näher erörtern. Wir verstehen darunter keine kleinbäuerliche Besiedlung. Gewiß mag dies in kleinerem Maßstab in Ostafrika und vielleicht auch in anderen Kolonien da und dort möglich sein, wie z. B. die gute Entwicklung von Leudorf am Meruberg zu beweisen scheint. Aber zu dieser Siedlungsform liegt weder für die Kolonien noch für das Mutterland ein Bedürfnis vor. Wenn der echte Bauer in seiner Heimat nicht mehr recht weiter kommt, so bietet sich ihm in den Ost¬ marken reichlich Gelegenheit, mit kleinem Kapital, das für die Kolonien viel zu gering ist, eine neue Heimat zu gewinnen, in der er sich besser einzuleben vermag als in den ihm meist ganz unverständlichen Verhältnissen Afrikas. Und er nützt seinem Vaterland in den Ostmarken viel mehr denn als Überseer, Wer in der Landwirtschaft überhaupt nicht mehr fortkommt, paßt auch nicht nach Afrika, er tut besser, wenn er sich in der Industrie eine Existenz sucht. Für die aus¬ gesprochene Kleinsiedlung kann vielleicht noch ins Feld geführt werden, daß sie beim kleinen Mann in der Heimat eine gute Werbekraft im Sinne des kolo¬ nialen Gedankens besitzt und deswegen wohl eine gewisse Förderung verdient. Falsch wäre aber unserer Ansicht nach eine Kleinkolonisation im großen Stil. Als Träger kolonialer Besiedlung kommen unseres Erachtens in erster Linie die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/259>, abgerufen am 15.01.2025.