Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Max Dcmthendcy läßt sich über den Geschmack bekanntlich nicht streiten, der eine liebt Vergi߬ Was man von Goethes Gedichten gesagt hat, daß sie nämlich Gelegenheits¬ Was aber Dauthendey dann wieder im großen ganzen von den Minne¬ Max Dcmthendcy läßt sich über den Geschmack bekanntlich nicht streiten, der eine liebt Vergi߬ Was man von Goethes Gedichten gesagt hat, daß sie nämlich Gelegenheits¬ Was aber Dauthendey dann wieder im großen ganzen von den Minne¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322641"/> <fw type="header" place="top"> Max Dcmthendcy</fw><lb/> <p xml:id="ID_1120" prev="#ID_1119"> läßt sich über den Geschmack bekanntlich nicht streiten, der eine liebt Vergi߬<lb/> meinnicht, Heckenrosen, Veilchen und Glockenblumen, der andere lacht darüber<lb/> und hält sich an Orchideen und schwarze Rosen. Dagegen ist nichts zu sagen.<lb/> Wer aber, ohne Gleichnis gesprochen, interessante Deklamationen oder subtile<lb/> Nervenschwingungen, das Gleißen von Edelsteinen oder den Duft exotischer<lb/> Parfüms, wer die weißen Marmorbrunnen, die stillen Parkteiche oder die<lb/> schwülen Gemächer einer modernen, oft allzu esoterischen Hedouistenlyrik satt<lb/> hat, versuche es ruhig einmal wieder mit der Natur, die sich in Dauthendeys<lb/> Gedichten ausspricht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1121"> Was man von Goethes Gedichten gesagt hat, daß sie nämlich Gelegenheits¬<lb/> gedichte im besten Sinne seien, das gilt auch, und weit ausschließlicher, von<lb/> denen Dauthendeys. Er will keine Gedichte machen, er spricht seine Stimmung<lb/> ans, und weil er ein Künstler ist, wird dieser Ausdruck zum Gedicht aus die<lb/> natürlichste Weise, die ja immer zugleich die unbegreiflichste ist. Irgend etwas<lb/> berührt ihn, Wolken, Sonne, der Mond, Kastanienknospen oder Apfelblüten,<lb/> anderes schießt hinzu und es rundet sich ein Gedicht und ist zum Ausdruck<lb/> eines jubelnden, bewundernden, glücklichen oder gedrückten Menschenkindes ge¬<lb/> worden. Aber am häufigsten doch eines verliebten Menschenkindes. Die Liebe<lb/> beherrscht ihn völlig, und dies Gefühl entströmt ihm so reich und übermächtig,<lb/> daß er es immer von neuen: und immer wieder anders aussprechen muß, ja<lb/> er beseelt von seinem Überfluß die Naturdinge. Denn „alle Dinge sind Wesen<lb/> wie der Mensch, alle ein Stück Liebesleben im Liebeslied des Weltalls". Und<lb/> so steht denn der Maiwald verliebt da, die Mailuft hat Liebeölauneu, jeder<lb/> Baum lächelt wie ein Liebender, verliebtes Herzblut macht die Amseln singen<lb/> und die Düfte sind die Liebeslieder der Blumen. Daher die große Wärme<lb/> dieser Lyrik. Nein Beschreibendes ist fast gar nicht darunter, alles trägt nur<lb/> zu einer bestimmten Stimmung bei und ist nur aus dieser Stimmung heraus<lb/> gesehen. Und da es alles allgemein bekannte Stimmungen sind, so kann diese<lb/> Lyrik von allen naiv empfindenden Menschen nachempfunden werden. Ja, die<lb/> Allgenreinheit geht so weit, daß man sich vielfach an die Lyrik unserer mittel¬<lb/> alterlichen Minnesänger ^gemahnt sühlt; nicht zufällig ist Danthendeys bestes<lb/> Gedichtbuch dem Andenken Walters von der Vogelweide gewidmet, es bringt<lb/> tatsächlich eine gewisse Wesensähnlichkeit zum Ausdruck, und einzelne Stücke<lb/> könnten geradezu Volkslieder sein, so einfach ist ihr Gefühl und ihr Aufbau.<lb/> Und wenn z. B. in den japanischen Novellen von einer Tieftraurigen, aber<lb/> sich mühsam Bezwingenden gesagt wird, sie war „bis an die Augen voll<lb/> Trauer", so könnte auch das in einen: alten Volksliede stehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1122" next="#ID_1123"> Was aber Dauthendey dann wieder im großen ganzen von den Minne¬<lb/> sängern trennt, ist die Fülle der Naturanschauung und die damit zusammen¬<lb/> hängende unerhörte Differenziertheit im Ausdruck, die dann wieder die Form<lb/> mitbedingt. Über den Reichtum seiner Anschauung wäre ein ganzes Kapitel<lb/> zu schreiben. Dieser Reichtum liegt weniger in der Zahl der Gegenstände,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0239]
Max Dcmthendcy
läßt sich über den Geschmack bekanntlich nicht streiten, der eine liebt Vergi߬
meinnicht, Heckenrosen, Veilchen und Glockenblumen, der andere lacht darüber
und hält sich an Orchideen und schwarze Rosen. Dagegen ist nichts zu sagen.
Wer aber, ohne Gleichnis gesprochen, interessante Deklamationen oder subtile
Nervenschwingungen, das Gleißen von Edelsteinen oder den Duft exotischer
Parfüms, wer die weißen Marmorbrunnen, die stillen Parkteiche oder die
schwülen Gemächer einer modernen, oft allzu esoterischen Hedouistenlyrik satt
hat, versuche es ruhig einmal wieder mit der Natur, die sich in Dauthendeys
Gedichten ausspricht.
Was man von Goethes Gedichten gesagt hat, daß sie nämlich Gelegenheits¬
gedichte im besten Sinne seien, das gilt auch, und weit ausschließlicher, von
denen Dauthendeys. Er will keine Gedichte machen, er spricht seine Stimmung
ans, und weil er ein Künstler ist, wird dieser Ausdruck zum Gedicht aus die
natürlichste Weise, die ja immer zugleich die unbegreiflichste ist. Irgend etwas
berührt ihn, Wolken, Sonne, der Mond, Kastanienknospen oder Apfelblüten,
anderes schießt hinzu und es rundet sich ein Gedicht und ist zum Ausdruck
eines jubelnden, bewundernden, glücklichen oder gedrückten Menschenkindes ge¬
worden. Aber am häufigsten doch eines verliebten Menschenkindes. Die Liebe
beherrscht ihn völlig, und dies Gefühl entströmt ihm so reich und übermächtig,
daß er es immer von neuen: und immer wieder anders aussprechen muß, ja
er beseelt von seinem Überfluß die Naturdinge. Denn „alle Dinge sind Wesen
wie der Mensch, alle ein Stück Liebesleben im Liebeslied des Weltalls". Und
so steht denn der Maiwald verliebt da, die Mailuft hat Liebeölauneu, jeder
Baum lächelt wie ein Liebender, verliebtes Herzblut macht die Amseln singen
und die Düfte sind die Liebeslieder der Blumen. Daher die große Wärme
dieser Lyrik. Nein Beschreibendes ist fast gar nicht darunter, alles trägt nur
zu einer bestimmten Stimmung bei und ist nur aus dieser Stimmung heraus
gesehen. Und da es alles allgemein bekannte Stimmungen sind, so kann diese
Lyrik von allen naiv empfindenden Menschen nachempfunden werden. Ja, die
Allgenreinheit geht so weit, daß man sich vielfach an die Lyrik unserer mittel¬
alterlichen Minnesänger ^gemahnt sühlt; nicht zufällig ist Danthendeys bestes
Gedichtbuch dem Andenken Walters von der Vogelweide gewidmet, es bringt
tatsächlich eine gewisse Wesensähnlichkeit zum Ausdruck, und einzelne Stücke
könnten geradezu Volkslieder sein, so einfach ist ihr Gefühl und ihr Aufbau.
Und wenn z. B. in den japanischen Novellen von einer Tieftraurigen, aber
sich mühsam Bezwingenden gesagt wird, sie war „bis an die Augen voll
Trauer", so könnte auch das in einen: alten Volksliede stehen.
Was aber Dauthendey dann wieder im großen ganzen von den Minne¬
sängern trennt, ist die Fülle der Naturanschauung und die damit zusammen¬
hängende unerhörte Differenziertheit im Ausdruck, die dann wieder die Form
mitbedingt. Über den Reichtum seiner Anschauung wäre ein ganzes Kapitel
zu schreiben. Dieser Reichtum liegt weniger in der Zahl der Gegenstände,
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