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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Acirl Salzer

Ein andermal, als sie anfangs September morgens um vier Uhr im Hofe
standen und zum Himmel aufblickten, an dem die Sterne im lichtvollen Funkeln
glänzten, stieß Karl seinen alten Freund an:

"Unkel Hannes, sieht das net aus, als wollten sich die Stern herunter auf
die Erde tropfen lassen? Als ob sie denken täten, die Welt könnt net Licht
genung kriegen I"

Nachdem Hannes Hvltner das angehört, hatte er seinem Zögling nur auf
die Schulter getätschelt.

Er selbst aber hatte das tiefe Glück empfunden, Apostel der Seele zu sein . ..

Karl spürte es bald auch selbst, daß seine Seele voller Freude wurde. Und
aus seinem freudigen Drang heraus nahm er sich vor, nun auch nicht mehr so
menschenscheu zu sein. Er wollte wieder mit seinen alten Kameraden anknüpfen
und nicht mehr einen anderen Weg sehen, wenn sie an ihm vorbeigehen oder
vorbeifahren. Auch die Alten wieder grüßen, was er seither aus Verbitterung
unterlassen hatte. Jetzt, da er sich dazu entschloß, wunderte es ihn sogar ein
bißchen, daß Unkel Hannes das von ihm nicht verlangt hatte.

Eines Tages, als er hinter dem Pfluge herging und den frischen köstlichen
Erdgeruch mit Wonne in sich einsog, bemerkte er, daß zwei Ackerbreiten weiter der
Fritz Puls ebenfalls mit dem Pflugkarren angefahren gekommen war. Er rief ihm zu:

"Na, Fritz, willschte die Stoppeln rumstürzen?"

Er erhielt zuerst keine Antwort. Und als er den Burschen noch einmal
anrief, erwiderte statt dessen der Vater, der auch dabei war, in einer rohen,
unflätigen Abweisung.

Kaum hatte Karl diese Antwort vernommen, als sofort der alte heftige Kerl
in ihm aufwachte. Der Zorn quoll ihm mächtig, und er rief dem alten Bauers¬
mann derbe Schelten hinüber.

Hannes Holtner, der einige Pferdelängen hinterdrein mit einem zweiten
Pfluge arbeitete, rief Karl zu:

"Bub, Halts Maul und ärger die Leut nett Und auch net gleich so
zornig werdenI"

Beim Morgenessen sagte ihm der Bursche, warum er dem Fritz zugerufen
hatte. Er wolle nicht mehr so menschenscheu sein und dies und das, und er
könne garnicht begreifen, warum man so abstoßend gegen ihn sei. Ob denn
wohl die Bauern ihm noch immer den Fehler des Vaters nachtrügen?

Noch am selben Tage sollte er den Grund erfahren.

Als nach der Heimkunft die Gäule ausgespannt und im Stalle sind und er
ihnen gerade das Futter richten will, hört man auf der Straße schellen. Hannes
Holtner ruft dem Burschen zu:

"Karl, geh naus, horch mal, was der Polizeidiener ausschellt!"

Karl springt ans Tor und horcht hinaus. Gerade entfaltet der Polizeidiener
einen Zettel.

"Nächsten Samstag werden im großen Saale des Gemeindehauses dahier
zwangsweise öffentlich versteigt die nachgelassenen Liegenschaften und Mobilien des
verstorbenen Schmieds Salzer. . ."

Mehr hört der Bursche nicht. Er weiß, nun wird alles im einzelnen auf-
gezählt. Das will er nicht hören. Er ist kreidebleich. Nun weiß er auch, warum


Acirl Salzer

Ein andermal, als sie anfangs September morgens um vier Uhr im Hofe
standen und zum Himmel aufblickten, an dem die Sterne im lichtvollen Funkeln
glänzten, stieß Karl seinen alten Freund an:

„Unkel Hannes, sieht das net aus, als wollten sich die Stern herunter auf
die Erde tropfen lassen? Als ob sie denken täten, die Welt könnt net Licht
genung kriegen I"

Nachdem Hannes Hvltner das angehört, hatte er seinem Zögling nur auf
die Schulter getätschelt.

Er selbst aber hatte das tiefe Glück empfunden, Apostel der Seele zu sein . ..

Karl spürte es bald auch selbst, daß seine Seele voller Freude wurde. Und
aus seinem freudigen Drang heraus nahm er sich vor, nun auch nicht mehr so
menschenscheu zu sein. Er wollte wieder mit seinen alten Kameraden anknüpfen
und nicht mehr einen anderen Weg sehen, wenn sie an ihm vorbeigehen oder
vorbeifahren. Auch die Alten wieder grüßen, was er seither aus Verbitterung
unterlassen hatte. Jetzt, da er sich dazu entschloß, wunderte es ihn sogar ein
bißchen, daß Unkel Hannes das von ihm nicht verlangt hatte.

Eines Tages, als er hinter dem Pfluge herging und den frischen köstlichen
Erdgeruch mit Wonne in sich einsog, bemerkte er, daß zwei Ackerbreiten weiter der
Fritz Puls ebenfalls mit dem Pflugkarren angefahren gekommen war. Er rief ihm zu:

„Na, Fritz, willschte die Stoppeln rumstürzen?"

Er erhielt zuerst keine Antwort. Und als er den Burschen noch einmal
anrief, erwiderte statt dessen der Vater, der auch dabei war, in einer rohen,
unflätigen Abweisung.

Kaum hatte Karl diese Antwort vernommen, als sofort der alte heftige Kerl
in ihm aufwachte. Der Zorn quoll ihm mächtig, und er rief dem alten Bauers¬
mann derbe Schelten hinüber.

Hannes Holtner, der einige Pferdelängen hinterdrein mit einem zweiten
Pfluge arbeitete, rief Karl zu:

„Bub, Halts Maul und ärger die Leut nett Und auch net gleich so
zornig werdenI"

Beim Morgenessen sagte ihm der Bursche, warum er dem Fritz zugerufen
hatte. Er wolle nicht mehr so menschenscheu sein und dies und das, und er
könne garnicht begreifen, warum man so abstoßend gegen ihn sei. Ob denn
wohl die Bauern ihm noch immer den Fehler des Vaters nachtrügen?

Noch am selben Tage sollte er den Grund erfahren.

Als nach der Heimkunft die Gäule ausgespannt und im Stalle sind und er
ihnen gerade das Futter richten will, hört man auf der Straße schellen. Hannes
Holtner ruft dem Burschen zu:

„Karl, geh naus, horch mal, was der Polizeidiener ausschellt!"

Karl springt ans Tor und horcht hinaus. Gerade entfaltet der Polizeidiener
einen Zettel.

„Nächsten Samstag werden im großen Saale des Gemeindehauses dahier
zwangsweise öffentlich versteigt die nachgelassenen Liegenschaften und Mobilien des
verstorbenen Schmieds Salzer. . ."

Mehr hört der Bursche nicht. Er weiß, nun wird alles im einzelnen auf-
gezählt. Das will er nicht hören. Er ist kreidebleich. Nun weiß er auch, warum


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[0235] Acirl Salzer Ein andermal, als sie anfangs September morgens um vier Uhr im Hofe standen und zum Himmel aufblickten, an dem die Sterne im lichtvollen Funkeln glänzten, stieß Karl seinen alten Freund an: „Unkel Hannes, sieht das net aus, als wollten sich die Stern herunter auf die Erde tropfen lassen? Als ob sie denken täten, die Welt könnt net Licht genung kriegen I" Nachdem Hannes Hvltner das angehört, hatte er seinem Zögling nur auf die Schulter getätschelt. Er selbst aber hatte das tiefe Glück empfunden, Apostel der Seele zu sein . .. Karl spürte es bald auch selbst, daß seine Seele voller Freude wurde. Und aus seinem freudigen Drang heraus nahm er sich vor, nun auch nicht mehr so menschenscheu zu sein. Er wollte wieder mit seinen alten Kameraden anknüpfen und nicht mehr einen anderen Weg sehen, wenn sie an ihm vorbeigehen oder vorbeifahren. Auch die Alten wieder grüßen, was er seither aus Verbitterung unterlassen hatte. Jetzt, da er sich dazu entschloß, wunderte es ihn sogar ein bißchen, daß Unkel Hannes das von ihm nicht verlangt hatte. Eines Tages, als er hinter dem Pfluge herging und den frischen köstlichen Erdgeruch mit Wonne in sich einsog, bemerkte er, daß zwei Ackerbreiten weiter der Fritz Puls ebenfalls mit dem Pflugkarren angefahren gekommen war. Er rief ihm zu: „Na, Fritz, willschte die Stoppeln rumstürzen?" Er erhielt zuerst keine Antwort. Und als er den Burschen noch einmal anrief, erwiderte statt dessen der Vater, der auch dabei war, in einer rohen, unflätigen Abweisung. Kaum hatte Karl diese Antwort vernommen, als sofort der alte heftige Kerl in ihm aufwachte. Der Zorn quoll ihm mächtig, und er rief dem alten Bauers¬ mann derbe Schelten hinüber. Hannes Holtner, der einige Pferdelängen hinterdrein mit einem zweiten Pfluge arbeitete, rief Karl zu: „Bub, Halts Maul und ärger die Leut nett Und auch net gleich so zornig werdenI" Beim Morgenessen sagte ihm der Bursche, warum er dem Fritz zugerufen hatte. Er wolle nicht mehr so menschenscheu sein und dies und das, und er könne garnicht begreifen, warum man so abstoßend gegen ihn sei. Ob denn wohl die Bauern ihm noch immer den Fehler des Vaters nachtrügen? Noch am selben Tage sollte er den Grund erfahren. Als nach der Heimkunft die Gäule ausgespannt und im Stalle sind und er ihnen gerade das Futter richten will, hört man auf der Straße schellen. Hannes Holtner ruft dem Burschen zu: „Karl, geh naus, horch mal, was der Polizeidiener ausschellt!" Karl springt ans Tor und horcht hinaus. Gerade entfaltet der Polizeidiener einen Zettel. „Nächsten Samstag werden im großen Saale des Gemeindehauses dahier zwangsweise öffentlich versteigt die nachgelassenen Liegenschaften und Mobilien des verstorbenen Schmieds Salzer. . ." Mehr hört der Bursche nicht. Er weiß, nun wird alles im einzelnen auf- gezählt. Das will er nicht hören. Er ist kreidebleich. Nun weiß er auch, warum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/235>, abgerufen am 15.01.2025.