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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Karl Salzer

nachdem Unkel Hannes ihm dermaßen die Seele aufgeschlossen hatte, war seine
Stimmung umgeschlagen.

Nun fuhr er sehr gerne mit ihm ins Feld, und am liebsten war es ihm,
wenn sie allein waren. Dann konnte er seinem alten Freunde zeigen, wie er sich
bestrebte, den gegebenen Winken nachzuleben.

Dem Hannes Holtner dagegen war das eine drollige Sache, seinen Zögling
im Eifer zu sehen, das "Menschochsliche" abzustreifen, zumal das im Anfange
gar täppisch war. Der Junge meinte, nun in jedem Dreckelchen eine Schönheit
entdecken zu müssen. Und als das gar zu toll wurde, mußte er sogar einmal
bremsen. Er sagte in seiner derben Art:

"Karl, jetzert mußt du net meinen, daß du alles, aber auch absolut alles
mit Schönheitsaugen angucken müßtest, zum Beispiel auch das, wenn der Gaul
den Schwanz in die Höh hebt und was fallen laßet"

Auf diese Dämpfung hin schämte der Bursche sich, und eine Zeitweile sprach
er überhaupt nicht mehr viel mit Hannes, so daß dieser schon glaubte, sich in
dem Burschen getäuscht zu haben. Womöglich wirkte in dem immer noch das
überheftige Temperament, und der gelindeste Tadel machte ihn verbittert.

Aber das war nicht so. Karl erforschte sich nur und überlegte, ob er den
Unkel Hannes vielleicht falsch verstanden hätte in jener Nacht.

Nach ein paar Tagen war er wieder im Gleichgewicht, denn seine Über¬
legungen hatten ihn zu der Erkenntnis geführt, daß der Unkel Hannes trotz der
Weihe, mit der er die ganze Natur empfand, auch die Alltäglichkeit gelten lasse,
und sah ein, daß das auch so sein müsse, um vor Übertreibungen und Schwärmerei
bewahrt zu bleiben.

Mit dem Gleichgewicht seiner Seele kehrte auch die Gesprächigkeit seines
Mundes wieder. Hannes Holtner merkte gleich, daß die paar Tage Schweig¬
samkeit recht gute Wirkung gehabt hatten, denn in dein Wesen des Burschen
zeigte sich nun mehr Bedächtigkeit. Statt des Schwatzens hatte er nun das
Sprechen gelernt. Er sprach nur noch, wenn er glaubte, etwas Besonderes sagen
zu können.

So waren sie an einem späten Abend noch einmal auf die Nabenheimer
Höhe gefahren, um noch mehrere Haufen Grummet heimzuholen, denn es drohte
Regen zu geben.

Aus der Rheinebene war der Mond aufgestiegen und schwebte wie ein blut¬
rotes Lampion langsam am Himmel herauf. Als er höher gelangt war, quollen
unter ihm ein paar Wolken auf und legten sich gerade an seinen unteren Rand
hin. Da deutete der Bursche auf das Himmelsbild und sagte scherzhaft zu Unkel
Hannes:

"Do guckt hin, Unkel Hannes, der Tagdieb von Mond ist aber heut mal
faul: er legt seinen dicken Kopf auf ein weich WolkenkissenI"

Da blitzte durch Hannes Holtners Augen das Feuer der Freude, und er
erwiderte nur:

"Dunnerkeil, 's ist aber auch währt"

Karl aber fühlte es ganz deutlich, daß er dem Unkel Hannes eine große
Freude bereitet hatte.


Karl Salzer

nachdem Unkel Hannes ihm dermaßen die Seele aufgeschlossen hatte, war seine
Stimmung umgeschlagen.

Nun fuhr er sehr gerne mit ihm ins Feld, und am liebsten war es ihm,
wenn sie allein waren. Dann konnte er seinem alten Freunde zeigen, wie er sich
bestrebte, den gegebenen Winken nachzuleben.

Dem Hannes Holtner dagegen war das eine drollige Sache, seinen Zögling
im Eifer zu sehen, das „Menschochsliche" abzustreifen, zumal das im Anfange
gar täppisch war. Der Junge meinte, nun in jedem Dreckelchen eine Schönheit
entdecken zu müssen. Und als das gar zu toll wurde, mußte er sogar einmal
bremsen. Er sagte in seiner derben Art:

„Karl, jetzert mußt du net meinen, daß du alles, aber auch absolut alles
mit Schönheitsaugen angucken müßtest, zum Beispiel auch das, wenn der Gaul
den Schwanz in die Höh hebt und was fallen laßet"

Auf diese Dämpfung hin schämte der Bursche sich, und eine Zeitweile sprach
er überhaupt nicht mehr viel mit Hannes, so daß dieser schon glaubte, sich in
dem Burschen getäuscht zu haben. Womöglich wirkte in dem immer noch das
überheftige Temperament, und der gelindeste Tadel machte ihn verbittert.

Aber das war nicht so. Karl erforschte sich nur und überlegte, ob er den
Unkel Hannes vielleicht falsch verstanden hätte in jener Nacht.

Nach ein paar Tagen war er wieder im Gleichgewicht, denn seine Über¬
legungen hatten ihn zu der Erkenntnis geführt, daß der Unkel Hannes trotz der
Weihe, mit der er die ganze Natur empfand, auch die Alltäglichkeit gelten lasse,
und sah ein, daß das auch so sein müsse, um vor Übertreibungen und Schwärmerei
bewahrt zu bleiben.

Mit dem Gleichgewicht seiner Seele kehrte auch die Gesprächigkeit seines
Mundes wieder. Hannes Holtner merkte gleich, daß die paar Tage Schweig¬
samkeit recht gute Wirkung gehabt hatten, denn in dein Wesen des Burschen
zeigte sich nun mehr Bedächtigkeit. Statt des Schwatzens hatte er nun das
Sprechen gelernt. Er sprach nur noch, wenn er glaubte, etwas Besonderes sagen
zu können.

So waren sie an einem späten Abend noch einmal auf die Nabenheimer
Höhe gefahren, um noch mehrere Haufen Grummet heimzuholen, denn es drohte
Regen zu geben.

Aus der Rheinebene war der Mond aufgestiegen und schwebte wie ein blut¬
rotes Lampion langsam am Himmel herauf. Als er höher gelangt war, quollen
unter ihm ein paar Wolken auf und legten sich gerade an seinen unteren Rand
hin. Da deutete der Bursche auf das Himmelsbild und sagte scherzhaft zu Unkel
Hannes:

„Do guckt hin, Unkel Hannes, der Tagdieb von Mond ist aber heut mal
faul: er legt seinen dicken Kopf auf ein weich WolkenkissenI"

Da blitzte durch Hannes Holtners Augen das Feuer der Freude, und er
erwiderte nur:

„Dunnerkeil, 's ist aber auch währt"

Karl aber fühlte es ganz deutlich, daß er dem Unkel Hannes eine große
Freude bereitet hatte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/234>, abgerufen am 15.01.2025.