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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Aarl Walzer
Lin Roman
Richard Knies Von
(Neunte Fortsetzung)

Gerade da, wo die Kneisenheimer Chaussee in einem weiten Bogen herum¬
schwenkt nach Rabenheim, liegt der Friedhof. Immer schaut er dann hinauf an
des Baders Grab. Es ist leicht aus den anderen Gräbern herauszufinden, denn
es blühen keine Blumen darauf. Wüst liegt der gelbe Lehmhügel da. Die Tante
hatte ja zwar ein paar Grasblumen darauf gepflanzt, doch die waren bald wieder
verwelkt, weil sie nicht gegossen worden waren.

Karl ging nicht auf den Friedhof. Er fürchtete die Schmähreden der anderen
Besucher, wenn er vor dem Grabe stünde. Überhaupt ist er menschenscheu geworden.
Werktags hat er ja seine Arbeit und kann sich um niemand kümmern. Er ist auch
noch sehr selten allein im Felde gewesen, meist ist er in Begleitung der Brüder
Holtner. Da haben die Bauern, die auf den Nachbaräckern arbeiten, nicht den
Mut, ihn anzurempeln, und den eigenen Taglöhnern hatte Unkel Hannes beim
Eintritts Karls gesagt:

"Da denn wir jetzert einen neuen Ackersbursch. Hüt sich einer, in seiner
Gegenwart was Vergangenes aufzurühren!"

Sonntagsmorgens ging Karl nicht in das Hochamt, wie es dem Brauche
nach für den Burschen ziemlich gewesen wäre, sondern er begab sich mit Unkel
Vinzenz in die Frühmesse. Da war er vor Nnrempelungen der früheren Kame¬
raden gefeit.

Unkel Hannes hielt sich nicht an die Kirchengebote, und es war ihm nichts
daran gelegen, die Messe zu versäumen. Den Karl hatte das anfangs stutzig
gemacht, zumal Tante Seelchen ihm anempfohlen hatte, seinem katholischen Glauben
treu zu bleiben und auch danach zu leben. Aber je länger er im Hause Holtner
war, nur so mehr erkannte er die unter einem rauhen Äußeren sich verbergende
Güte und Liebe des alten Junggesellen, und er störte sich nicht mehr daran, daß
dieser den Besuch der Messe versäumte. Daß Unkel Hannes außerdem sowohl
seine beiden Geschwister wie auch ihn selbst in dem streng kirchlich religiösen Leben
ganz unbehelligt ließ, rechnete er ihm hoch an. Hatte nicht Tante Seelchen gesagt,
Menschen, die nicht in die Kirche gingen, die sich über die Kirchengebote hinweg¬
setzten, seien auch in der Regel große Religionsspötter und wüßten nichts besseres,
als die Treuen der Kirche zu säuseln und zu verhöhnen? In diesem Punkte hatte




Aarl Walzer
Lin Roman
Richard Knies Von
(Neunte Fortsetzung)

Gerade da, wo die Kneisenheimer Chaussee in einem weiten Bogen herum¬
schwenkt nach Rabenheim, liegt der Friedhof. Immer schaut er dann hinauf an
des Baders Grab. Es ist leicht aus den anderen Gräbern herauszufinden, denn
es blühen keine Blumen darauf. Wüst liegt der gelbe Lehmhügel da. Die Tante
hatte ja zwar ein paar Grasblumen darauf gepflanzt, doch die waren bald wieder
verwelkt, weil sie nicht gegossen worden waren.

Karl ging nicht auf den Friedhof. Er fürchtete die Schmähreden der anderen
Besucher, wenn er vor dem Grabe stünde. Überhaupt ist er menschenscheu geworden.
Werktags hat er ja seine Arbeit und kann sich um niemand kümmern. Er ist auch
noch sehr selten allein im Felde gewesen, meist ist er in Begleitung der Brüder
Holtner. Da haben die Bauern, die auf den Nachbaräckern arbeiten, nicht den
Mut, ihn anzurempeln, und den eigenen Taglöhnern hatte Unkel Hannes beim
Eintritts Karls gesagt:

„Da denn wir jetzert einen neuen Ackersbursch. Hüt sich einer, in seiner
Gegenwart was Vergangenes aufzurühren!"

Sonntagsmorgens ging Karl nicht in das Hochamt, wie es dem Brauche
nach für den Burschen ziemlich gewesen wäre, sondern er begab sich mit Unkel
Vinzenz in die Frühmesse. Da war er vor Nnrempelungen der früheren Kame¬
raden gefeit.

Unkel Hannes hielt sich nicht an die Kirchengebote, und es war ihm nichts
daran gelegen, die Messe zu versäumen. Den Karl hatte das anfangs stutzig
gemacht, zumal Tante Seelchen ihm anempfohlen hatte, seinem katholischen Glauben
treu zu bleiben und auch danach zu leben. Aber je länger er im Hause Holtner
war, nur so mehr erkannte er die unter einem rauhen Äußeren sich verbergende
Güte und Liebe des alten Junggesellen, und er störte sich nicht mehr daran, daß
dieser den Besuch der Messe versäumte. Daß Unkel Hannes außerdem sowohl
seine beiden Geschwister wie auch ihn selbst in dem streng kirchlich religiösen Leben
ganz unbehelligt ließ, rechnete er ihm hoch an. Hatte nicht Tante Seelchen gesagt,
Menschen, die nicht in die Kirche gingen, die sich über die Kirchengebote hinweg¬
setzten, seien auch in der Regel große Religionsspötter und wüßten nichts besseres,
als die Treuen der Kirche zu säuseln und zu verhöhnen? In diesem Punkte hatte


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[0230] [Abbildung] Aarl Walzer Lin Roman Richard Knies Von (Neunte Fortsetzung) Gerade da, wo die Kneisenheimer Chaussee in einem weiten Bogen herum¬ schwenkt nach Rabenheim, liegt der Friedhof. Immer schaut er dann hinauf an des Baders Grab. Es ist leicht aus den anderen Gräbern herauszufinden, denn es blühen keine Blumen darauf. Wüst liegt der gelbe Lehmhügel da. Die Tante hatte ja zwar ein paar Grasblumen darauf gepflanzt, doch die waren bald wieder verwelkt, weil sie nicht gegossen worden waren. Karl ging nicht auf den Friedhof. Er fürchtete die Schmähreden der anderen Besucher, wenn er vor dem Grabe stünde. Überhaupt ist er menschenscheu geworden. Werktags hat er ja seine Arbeit und kann sich um niemand kümmern. Er ist auch noch sehr selten allein im Felde gewesen, meist ist er in Begleitung der Brüder Holtner. Da haben die Bauern, die auf den Nachbaräckern arbeiten, nicht den Mut, ihn anzurempeln, und den eigenen Taglöhnern hatte Unkel Hannes beim Eintritts Karls gesagt: „Da denn wir jetzert einen neuen Ackersbursch. Hüt sich einer, in seiner Gegenwart was Vergangenes aufzurühren!" Sonntagsmorgens ging Karl nicht in das Hochamt, wie es dem Brauche nach für den Burschen ziemlich gewesen wäre, sondern er begab sich mit Unkel Vinzenz in die Frühmesse. Da war er vor Nnrempelungen der früheren Kame¬ raden gefeit. Unkel Hannes hielt sich nicht an die Kirchengebote, und es war ihm nichts daran gelegen, die Messe zu versäumen. Den Karl hatte das anfangs stutzig gemacht, zumal Tante Seelchen ihm anempfohlen hatte, seinem katholischen Glauben treu zu bleiben und auch danach zu leben. Aber je länger er im Hause Holtner war, nur so mehr erkannte er die unter einem rauhen Äußeren sich verbergende Güte und Liebe des alten Junggesellen, und er störte sich nicht mehr daran, daß dieser den Besuch der Messe versäumte. Daß Unkel Hannes außerdem sowohl seine beiden Geschwister wie auch ihn selbst in dem streng kirchlich religiösen Leben ganz unbehelligt ließ, rechnete er ihm hoch an. Hatte nicht Tante Seelchen gesagt, Menschen, die nicht in die Kirche gingen, die sich über die Kirchengebote hinweg¬ setzten, seien auch in der Regel große Religionsspötter und wüßten nichts besseres, als die Treuen der Kirche zu säuseln und zu verhöhnen? In diesem Punkte hatte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/230>, abgerufen am 15.01.2025.