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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Katholizismus und Rultnr

so genügt es daran zu erinnern, daß auch ein Joseph von Eichendorff lediglich
darum nicht befördert wurde, weil er katholisch war, und daß in Breslau die
Herren von der evangelisch-theologischen Fakultät eine Reihe von Jahren hin¬
durch bei Öffnung des Umschlags als Verfasser der preisgekrönten Arbeit jedesmal
einen katholischen Theologen fanden. Das von Rost beigebrachte Material ist
so überwältigend, daß kein vernünftiger Mensch an der Absicht der protestantischen
Regierungen, namentlich der preußischen, die Katholiken nach Möglichkeit von
höheren Staatsämtern auszuschließen, zweifeln kann. Die Absicht entspringt
einem idealen Beweggrunde, dessen Berechtigung hier nicht geprüft werden kann:
die Dynastien und die Spitzen der Bureaukratie sind ehrlich überzeugt, daß der
Geist des Katholizismus sich mit dem Wesen und dem Zweck des modernen
Staats nicht vertrage und daß zudem die Hierarchie den Deutschen feindlich
gesinnt sei, sie fürchten darum von einer starken Beteiligung der Katholiken an
der Verwaltung sür die Sicherheit des Staates. (Weniger ideal sind die
Gründe der Imparität in der Kommunalverwaltung. Mallinkrodt hat vor
vierzig Jahren die Städte mit steuerlich überwiegend protestantischer Bevöl¬
kerung Brutnester der Intoleranz genannt, deren Praxis das Knirschen des
ganzen inneren Menschen hervorrufe.) Das darf die Negierung eines ver¬
fassungsmäßig paritätischen Staates natürlich nicht eingestehen, und darum sehen
sich ihre Vertreter in die peinliche Lage versetzt, Ausflüchte konstruieren zu
müssen, über welche die Protestanten im geheimen lachen und die Katholiken
sich geräuschvoll entrüsten. Die preußische und die Reichsregierung sest zu machen,
sind die katholischen Fanatiker und Bigotten eifrig bemüht, indem sie den Papst
zu Kundgebungen drängen, welche die Protestanten beschimpfen und aufs neue
erbittern, die moderne Staatsordnung durch die Aufwärmung hierarchischer
Ansprüche wie das Privilegium kom zu bedrohen versuchen (sie ernstlich zu
bedrohen, hat die Hierarchie keine Macht mehr) und die katholische Jugend
durch pädagogisch verwerfliche Bigotterie in einer auch für den Staat bedenk¬
lichen Weise schädigen. (Das tut die Verordnung über die Kinderbcichte und
Kommunion.) Die Lage der deutschen Katholiken und ihr Zusammenhalten
wird dadurch unendlich erschwert, aber sie werden zusammenhalten, so lange
die Imparität dauert. Sie wären dumm -- und das sind sie nicht -- wenn
sie die zur Verteidigung ihrer staatsbürgerlichen Rechte und als Zentralstelle
für ihre wirtschaftlichen Bestrebungen geschaffene politische Organisation, nach
der sie Jahrzehnte lang vergebens gerungen haben und zu der ihnen endlich
der Kulturkampf verholfen hat, aufgeben wollten, so lange die Zustände fort¬
bestehen, die zur Gründung der Zentrumspartei gedrängt haben.




Katholizismus und Rultnr

so genügt es daran zu erinnern, daß auch ein Joseph von Eichendorff lediglich
darum nicht befördert wurde, weil er katholisch war, und daß in Breslau die
Herren von der evangelisch-theologischen Fakultät eine Reihe von Jahren hin¬
durch bei Öffnung des Umschlags als Verfasser der preisgekrönten Arbeit jedesmal
einen katholischen Theologen fanden. Das von Rost beigebrachte Material ist
so überwältigend, daß kein vernünftiger Mensch an der Absicht der protestantischen
Regierungen, namentlich der preußischen, die Katholiken nach Möglichkeit von
höheren Staatsämtern auszuschließen, zweifeln kann. Die Absicht entspringt
einem idealen Beweggrunde, dessen Berechtigung hier nicht geprüft werden kann:
die Dynastien und die Spitzen der Bureaukratie sind ehrlich überzeugt, daß der
Geist des Katholizismus sich mit dem Wesen und dem Zweck des modernen
Staats nicht vertrage und daß zudem die Hierarchie den Deutschen feindlich
gesinnt sei, sie fürchten darum von einer starken Beteiligung der Katholiken an
der Verwaltung sür die Sicherheit des Staates. (Weniger ideal sind die
Gründe der Imparität in der Kommunalverwaltung. Mallinkrodt hat vor
vierzig Jahren die Städte mit steuerlich überwiegend protestantischer Bevöl¬
kerung Brutnester der Intoleranz genannt, deren Praxis das Knirschen des
ganzen inneren Menschen hervorrufe.) Das darf die Negierung eines ver¬
fassungsmäßig paritätischen Staates natürlich nicht eingestehen, und darum sehen
sich ihre Vertreter in die peinliche Lage versetzt, Ausflüchte konstruieren zu
müssen, über welche die Protestanten im geheimen lachen und die Katholiken
sich geräuschvoll entrüsten. Die preußische und die Reichsregierung sest zu machen,
sind die katholischen Fanatiker und Bigotten eifrig bemüht, indem sie den Papst
zu Kundgebungen drängen, welche die Protestanten beschimpfen und aufs neue
erbittern, die moderne Staatsordnung durch die Aufwärmung hierarchischer
Ansprüche wie das Privilegium kom zu bedrohen versuchen (sie ernstlich zu
bedrohen, hat die Hierarchie keine Macht mehr) und die katholische Jugend
durch pädagogisch verwerfliche Bigotterie in einer auch für den Staat bedenk¬
lichen Weise schädigen. (Das tut die Verordnung über die Kinderbcichte und
Kommunion.) Die Lage der deutschen Katholiken und ihr Zusammenhalten
wird dadurch unendlich erschwert, aber sie werden zusammenhalten, so lange
die Imparität dauert. Sie wären dumm — und das sind sie nicht — wenn
sie die zur Verteidigung ihrer staatsbürgerlichen Rechte und als Zentralstelle
für ihre wirtschaftlichen Bestrebungen geschaffene politische Organisation, nach
der sie Jahrzehnte lang vergebens gerungen haben und zu der ihnen endlich
der Kulturkampf verholfen hat, aufgeben wollten, so lange die Zustände fort¬
bestehen, die zur Gründung der Zentrumspartei gedrängt haben.




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[0229] Katholizismus und Rultnr so genügt es daran zu erinnern, daß auch ein Joseph von Eichendorff lediglich darum nicht befördert wurde, weil er katholisch war, und daß in Breslau die Herren von der evangelisch-theologischen Fakultät eine Reihe von Jahren hin¬ durch bei Öffnung des Umschlags als Verfasser der preisgekrönten Arbeit jedesmal einen katholischen Theologen fanden. Das von Rost beigebrachte Material ist so überwältigend, daß kein vernünftiger Mensch an der Absicht der protestantischen Regierungen, namentlich der preußischen, die Katholiken nach Möglichkeit von höheren Staatsämtern auszuschließen, zweifeln kann. Die Absicht entspringt einem idealen Beweggrunde, dessen Berechtigung hier nicht geprüft werden kann: die Dynastien und die Spitzen der Bureaukratie sind ehrlich überzeugt, daß der Geist des Katholizismus sich mit dem Wesen und dem Zweck des modernen Staats nicht vertrage und daß zudem die Hierarchie den Deutschen feindlich gesinnt sei, sie fürchten darum von einer starken Beteiligung der Katholiken an der Verwaltung sür die Sicherheit des Staates. (Weniger ideal sind die Gründe der Imparität in der Kommunalverwaltung. Mallinkrodt hat vor vierzig Jahren die Städte mit steuerlich überwiegend protestantischer Bevöl¬ kerung Brutnester der Intoleranz genannt, deren Praxis das Knirschen des ganzen inneren Menschen hervorrufe.) Das darf die Negierung eines ver¬ fassungsmäßig paritätischen Staates natürlich nicht eingestehen, und darum sehen sich ihre Vertreter in die peinliche Lage versetzt, Ausflüchte konstruieren zu müssen, über welche die Protestanten im geheimen lachen und die Katholiken sich geräuschvoll entrüsten. Die preußische und die Reichsregierung sest zu machen, sind die katholischen Fanatiker und Bigotten eifrig bemüht, indem sie den Papst zu Kundgebungen drängen, welche die Protestanten beschimpfen und aufs neue erbittern, die moderne Staatsordnung durch die Aufwärmung hierarchischer Ansprüche wie das Privilegium kom zu bedrohen versuchen (sie ernstlich zu bedrohen, hat die Hierarchie keine Macht mehr) und die katholische Jugend durch pädagogisch verwerfliche Bigotterie in einer auch für den Staat bedenk¬ lichen Weise schädigen. (Das tut die Verordnung über die Kinderbcichte und Kommunion.) Die Lage der deutschen Katholiken und ihr Zusammenhalten wird dadurch unendlich erschwert, aber sie werden zusammenhalten, so lange die Imparität dauert. Sie wären dumm — und das sind sie nicht — wenn sie die zur Verteidigung ihrer staatsbürgerlichen Rechte und als Zentralstelle für ihre wirtschaftlichen Bestrebungen geschaffene politische Organisation, nach der sie Jahrzehnte lang vergebens gerungen haben und zu der ihnen endlich der Kulturkampf verholfen hat, aufgeben wollten, so lange die Zustände fort¬ bestehen, die zur Gründung der Zentrumspartei gedrängt haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/229>, abgerufen am 15.01.2025.