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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Katholizismus und Kultur

Vermögenserwerb gleichtun zu wollen, den Abfall vom Geiste der katholischen
Kirche bedeuten, der in dieser Beziehung mit dem Geiste des Christentums
identisch ist. Das Streben nach Reichtum verträgt sich so wenig mit dem
Christentum wie die Forderung einer absoluten Existenzsicherheit, die das Ver¬
trauen auf Gottes Vorsehung überflüssig macht. Dem Volke Israel ist vor etwa
dreitausend Jahren (Deuteronomium 28, 12) verheißen worden: Du wirst viele
Völker zinsen und von keinem gezinst werden; den Jüngern Jesu wurde nicht
allein das Streben nach Reichtum ausdrücklich verboten, sondern auch für diese
Welt nichts anderes als Verfolgung und Pein in Aussicht gestellt. Beide Ver¬
heißungen sind nicht allgemein in Erfüllung gegangen -- die meisten russischen
Juden schmachten heut in entsetzlicher Armut, und viele Christen erfreuen sich
des Wohlstandes, ohne ihrer Religion untreu zu werden -- aber doch im großen
und ganzen, so daß die Abstufung der Vermögenslagen genau dem Geiste der
Konfesstonen entspricht, da der Protestantismus in dieser wie in mancher anderen
Beziehung das Ergebnis eines Kompromisses ist. Wie der Kompromiß auf dem
wirtschaftlichen Gebiete zustande gekommen ist, hat Max Weber dargestellt, der
geradezu den Geist des modernen Kapitalismus aus dem Calvinismus hervor¬
gehen läßt. Im Mittelalter war eine kindlichere Form des Kompromisses
üblich: die reichen Fabrikanten, Kaufleute, Bankiers der italienischen Städte
pflegten auf dem Sterbebette einen Teil der gezogenen Wucherzinsen zu restituieren
oder von ihrem ungerechten Mammon kirchliche Stiftungen zu machen.

Protestantische Theologen haben ihre furchtbare Prädestinationslehre mit
der Annahme eines doppelten göttlichen Willens zu verteidigen gesucht: der
geoffenbarte Wille Gottes verbiete die Sünde, der verborgene erzwinge sie, um
durch die ewige Verdammnis der Sünder die Gerechtigkeit zu betätigen. An
diese ungeheuerliche Absicht Gottes glaubt heute natürlich kein Mensch, und die
theologische Schrulle, alle Geschehnisse der Welt unter dem Gesichtspunkte der
Sünde zu betrachten, haben wir uns abgewöhnt, aber der Schein zweier, mit¬
einander in Widerspruch stehender Willen Gottes ist tatsächlich vorhanden, denn
es waltet in der Welt weithin der Zwang zu dem, was die Theologie Sünde
nennt. Der Widerspruch löst sich durch eine Annahme, die der Gang der
Kulturentwicklung nahe legt. Wir sehen, daß, so wenig die Erhaltung des
einzelnen Menschenleibes und des Menschengeschlechts ohne Hunger nach Nahrung
und ohne den Geschlechtstrieb denkbar ist, so wenig auch die Kulturentwicklung
der Antriebe entbehren kann, die von niederen und unter Umständen böse
erscheinenden Trieben ausgehen. Die wichtigsten Entdeckungen und Erfindungen
sind allerdings von Forschern gemacht worden, denen es nicht um Geld und
Gut, sondern nur um die Wissenschaft zu tuu war, aber die praktische Ver¬
wendung der Entdeckungen und Erfindungen, die diesen erst ihre weltgeschichtliche
Bedeutung verleiht, die moderne Technik, würde ohne das Unternehmerinteresse
nicht in Fluß gekommen sein. An die Ausbildung des heutigen Geld- und
Kreditwesens, das ein unentbehrliches Glied des bestehenden Wirtschaftssystems


Katholizismus und Kultur

Vermögenserwerb gleichtun zu wollen, den Abfall vom Geiste der katholischen
Kirche bedeuten, der in dieser Beziehung mit dem Geiste des Christentums
identisch ist. Das Streben nach Reichtum verträgt sich so wenig mit dem
Christentum wie die Forderung einer absoluten Existenzsicherheit, die das Ver¬
trauen auf Gottes Vorsehung überflüssig macht. Dem Volke Israel ist vor etwa
dreitausend Jahren (Deuteronomium 28, 12) verheißen worden: Du wirst viele
Völker zinsen und von keinem gezinst werden; den Jüngern Jesu wurde nicht
allein das Streben nach Reichtum ausdrücklich verboten, sondern auch für diese
Welt nichts anderes als Verfolgung und Pein in Aussicht gestellt. Beide Ver¬
heißungen sind nicht allgemein in Erfüllung gegangen — die meisten russischen
Juden schmachten heut in entsetzlicher Armut, und viele Christen erfreuen sich
des Wohlstandes, ohne ihrer Religion untreu zu werden — aber doch im großen
und ganzen, so daß die Abstufung der Vermögenslagen genau dem Geiste der
Konfesstonen entspricht, da der Protestantismus in dieser wie in mancher anderen
Beziehung das Ergebnis eines Kompromisses ist. Wie der Kompromiß auf dem
wirtschaftlichen Gebiete zustande gekommen ist, hat Max Weber dargestellt, der
geradezu den Geist des modernen Kapitalismus aus dem Calvinismus hervor¬
gehen läßt. Im Mittelalter war eine kindlichere Form des Kompromisses
üblich: die reichen Fabrikanten, Kaufleute, Bankiers der italienischen Städte
pflegten auf dem Sterbebette einen Teil der gezogenen Wucherzinsen zu restituieren
oder von ihrem ungerechten Mammon kirchliche Stiftungen zu machen.

Protestantische Theologen haben ihre furchtbare Prädestinationslehre mit
der Annahme eines doppelten göttlichen Willens zu verteidigen gesucht: der
geoffenbarte Wille Gottes verbiete die Sünde, der verborgene erzwinge sie, um
durch die ewige Verdammnis der Sünder die Gerechtigkeit zu betätigen. An
diese ungeheuerliche Absicht Gottes glaubt heute natürlich kein Mensch, und die
theologische Schrulle, alle Geschehnisse der Welt unter dem Gesichtspunkte der
Sünde zu betrachten, haben wir uns abgewöhnt, aber der Schein zweier, mit¬
einander in Widerspruch stehender Willen Gottes ist tatsächlich vorhanden, denn
es waltet in der Welt weithin der Zwang zu dem, was die Theologie Sünde
nennt. Der Widerspruch löst sich durch eine Annahme, die der Gang der
Kulturentwicklung nahe legt. Wir sehen, daß, so wenig die Erhaltung des
einzelnen Menschenleibes und des Menschengeschlechts ohne Hunger nach Nahrung
und ohne den Geschlechtstrieb denkbar ist, so wenig auch die Kulturentwicklung
der Antriebe entbehren kann, die von niederen und unter Umständen böse
erscheinenden Trieben ausgehen. Die wichtigsten Entdeckungen und Erfindungen
sind allerdings von Forschern gemacht worden, denen es nicht um Geld und
Gut, sondern nur um die Wissenschaft zu tuu war, aber die praktische Ver¬
wendung der Entdeckungen und Erfindungen, die diesen erst ihre weltgeschichtliche
Bedeutung verleiht, die moderne Technik, würde ohne das Unternehmerinteresse
nicht in Fluß gekommen sein. An die Ausbildung des heutigen Geld- und
Kreditwesens, das ein unentbehrliches Glied des bestehenden Wirtschaftssystems


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[0226] Katholizismus und Kultur Vermögenserwerb gleichtun zu wollen, den Abfall vom Geiste der katholischen Kirche bedeuten, der in dieser Beziehung mit dem Geiste des Christentums identisch ist. Das Streben nach Reichtum verträgt sich so wenig mit dem Christentum wie die Forderung einer absoluten Existenzsicherheit, die das Ver¬ trauen auf Gottes Vorsehung überflüssig macht. Dem Volke Israel ist vor etwa dreitausend Jahren (Deuteronomium 28, 12) verheißen worden: Du wirst viele Völker zinsen und von keinem gezinst werden; den Jüngern Jesu wurde nicht allein das Streben nach Reichtum ausdrücklich verboten, sondern auch für diese Welt nichts anderes als Verfolgung und Pein in Aussicht gestellt. Beide Ver¬ heißungen sind nicht allgemein in Erfüllung gegangen — die meisten russischen Juden schmachten heut in entsetzlicher Armut, und viele Christen erfreuen sich des Wohlstandes, ohne ihrer Religion untreu zu werden — aber doch im großen und ganzen, so daß die Abstufung der Vermögenslagen genau dem Geiste der Konfesstonen entspricht, da der Protestantismus in dieser wie in mancher anderen Beziehung das Ergebnis eines Kompromisses ist. Wie der Kompromiß auf dem wirtschaftlichen Gebiete zustande gekommen ist, hat Max Weber dargestellt, der geradezu den Geist des modernen Kapitalismus aus dem Calvinismus hervor¬ gehen läßt. Im Mittelalter war eine kindlichere Form des Kompromisses üblich: die reichen Fabrikanten, Kaufleute, Bankiers der italienischen Städte pflegten auf dem Sterbebette einen Teil der gezogenen Wucherzinsen zu restituieren oder von ihrem ungerechten Mammon kirchliche Stiftungen zu machen. Protestantische Theologen haben ihre furchtbare Prädestinationslehre mit der Annahme eines doppelten göttlichen Willens zu verteidigen gesucht: der geoffenbarte Wille Gottes verbiete die Sünde, der verborgene erzwinge sie, um durch die ewige Verdammnis der Sünder die Gerechtigkeit zu betätigen. An diese ungeheuerliche Absicht Gottes glaubt heute natürlich kein Mensch, und die theologische Schrulle, alle Geschehnisse der Welt unter dem Gesichtspunkte der Sünde zu betrachten, haben wir uns abgewöhnt, aber der Schein zweier, mit¬ einander in Widerspruch stehender Willen Gottes ist tatsächlich vorhanden, denn es waltet in der Welt weithin der Zwang zu dem, was die Theologie Sünde nennt. Der Widerspruch löst sich durch eine Annahme, die der Gang der Kulturentwicklung nahe legt. Wir sehen, daß, so wenig die Erhaltung des einzelnen Menschenleibes und des Menschengeschlechts ohne Hunger nach Nahrung und ohne den Geschlechtstrieb denkbar ist, so wenig auch die Kulturentwicklung der Antriebe entbehren kann, die von niederen und unter Umständen böse erscheinenden Trieben ausgehen. Die wichtigsten Entdeckungen und Erfindungen sind allerdings von Forschern gemacht worden, denen es nicht um Geld und Gut, sondern nur um die Wissenschaft zu tuu war, aber die praktische Ver¬ wendung der Entdeckungen und Erfindungen, die diesen erst ihre weltgeschichtliche Bedeutung verleiht, die moderne Technik, würde ohne das Unternehmerinteresse nicht in Fluß gekommen sein. An die Ausbildung des heutigen Geld- und Kreditwesens, das ein unentbehrliches Glied des bestehenden Wirtschaftssystems

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/226>, abgerufen am 15.01.2025.