Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Katholizismus und Kultur und in der Teilnahme am höheren Geistesleben steht es um die deutschen Katho¬ Wird nun nach den Ursachen der "Zurückgebliebenheit" gefragt, so leugnet Katholizismus und Kultur und in der Teilnahme am höheren Geistesleben steht es um die deutschen Katho¬ Wird nun nach den Ursachen der „Zurückgebliebenheit" gefragt, so leugnet <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0220" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322622"/> <fw type="header" place="top"> Katholizismus und Kultur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1007" prev="#ID_1006"> und in der Teilnahme am höheren Geistesleben steht es um die deutschen Katho¬<lb/> liken in der Zunahme derKopfzahl. DieBevölkerungsbewegung ist in den verschiedenen<lb/> Staaten des Reiches und in den Provinzen der größeren Staaten verschieden verlaufen.<lb/> Für Preußen gilt, daß die Zahl der Katholiken bis 1848 prozentual ab-, von<lb/> da zugenommen hat. Seit 1871 beträgt das Mehr 2,60 Prozent. Die Zahl<lb/> der Protestanten ist von 1867 bis 1907 von 15988934 auf 23847 337. die<lb/> Zahl der Katholiken von 8268169 auf 13352444 (1906) gestiegen. Diese stärkere<lb/> Zunahme führt Rost auf die Einwanderer slawischer und italienischer Arbeiter<lb/> zurück und findet diesen Zuwachs wenig erfreulich, weil diese Einwanderer der<lb/> ärmsten und ungebildetsten Schicht angehören und ihre Pastorierung bedeutende<lb/> Kosten verursacht, die ohnehin ungünstige Lage der Katholiken also noch ver¬<lb/> schlimmert. Daß sich die Katholiken vor den Protestanten und den Juden durch<lb/> größere Fruchtbarkeit auszeichnen, hebt natürlich auch er hervor — die katho¬<lb/> lische Familie hat durchschnittlich ein Kind mehr als die protestantische —<lb/> und gleich Wolf (siehe dasHeft22 derGrenzbo'.en Jhrg. 1912; die beiden haben unab¬<lb/> hängig voneinander gearbeitet) weist auch er nach, daß das Mehr nicht etwa<lb/> auf Rechnung des polnischen Teils kommt, überdies, daß sich wohlhabende<lb/> katholische Gegenden darin ebenso verhalten wie die armen. Aber die größere<lb/> Fruchtbarkeit würde ohne die Einwanderung eine stärkere prozentuale Ver¬<lb/> mehrung der Katholiken nicht zur Folge haben, weil ihre Wirkung teils durch<lb/> größere Sterblichkeit (hauptsächlich Kindersterblichkeit) aufgewogen wird, teils<lb/> durch den Verlust vieler Diasporakinder, die aus Mischehen stammen oder aus<lb/> anderen Ursachen evangelisch erzogen werden. Die evangelische Diaspora in<lb/> katholischen Gegenden besteht aus gut situierten Beamten, die, vom Staate auf<lb/> mannigfache Weise begünstigt, es leicht haben, für die Erziehung der Kinder in<lb/> ihrer Konfession zu sorgen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1008" next="#ID_1009"> Wird nun nach den Ursachen der „Zurückgebliebenheit" gefragt, so leugnet<lb/> Rost ganz entschieden, daß die angebliche Jnferioritüt darunter sei. Dagegen<lb/> spreche die hohe wirtschaftliche und Kulturblüte der italienischen, niederländischen,<lb/> deutschen Städte im Mittelalter und der heutige Kulturzustand der katholischen<lb/> Rheinländer. Wenn in neuerer Zeit England und das überwiegend protestan¬<lb/> tische Deutschland die größeren katholischen Nationen wirtschaftlich überflügelt<lb/> haben, so erkläre sich das aus dem Umstände, daß beide reich an Kohle und<lb/> Eisen sind, diese beiden Stoffe aber im Maschinenzeitalter den Rückgrat des<lb/> Wirtschaftslebens ausmachen. Aus demselben Grunde sei das kleine katholische<lb/> Belgien der industriellste Staat des Kontinents, und der Glanz Englands werde<lb/> zudem durch seinen schrecklichen Pauperismus arg getrübt. Was Deutschland<lb/> betrifft, so sei die ungünstige Lage der Katholiken auf folgende drei Ursachen<lb/> zurückzuführen. Im Resormationszeitalter seien der neuen Kirche die freien<lb/> Reichsstädte und die Ebene zugefallen, beide von einer regeren Bevölkerung<lb/> bewohnt als die katholisch gebliebenen Gebirge mit ihren Bauern (woraus doch<lb/> folgt, daß zwischen größerer Regsamkeit und der neuen Konfession eine innere</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0220]
Katholizismus und Kultur
und in der Teilnahme am höheren Geistesleben steht es um die deutschen Katho¬
liken in der Zunahme derKopfzahl. DieBevölkerungsbewegung ist in den verschiedenen
Staaten des Reiches und in den Provinzen der größeren Staaten verschieden verlaufen.
Für Preußen gilt, daß die Zahl der Katholiken bis 1848 prozentual ab-, von
da zugenommen hat. Seit 1871 beträgt das Mehr 2,60 Prozent. Die Zahl
der Protestanten ist von 1867 bis 1907 von 15988934 auf 23847 337. die
Zahl der Katholiken von 8268169 auf 13352444 (1906) gestiegen. Diese stärkere
Zunahme führt Rost auf die Einwanderer slawischer und italienischer Arbeiter
zurück und findet diesen Zuwachs wenig erfreulich, weil diese Einwanderer der
ärmsten und ungebildetsten Schicht angehören und ihre Pastorierung bedeutende
Kosten verursacht, die ohnehin ungünstige Lage der Katholiken also noch ver¬
schlimmert. Daß sich die Katholiken vor den Protestanten und den Juden durch
größere Fruchtbarkeit auszeichnen, hebt natürlich auch er hervor — die katho¬
lische Familie hat durchschnittlich ein Kind mehr als die protestantische —
und gleich Wolf (siehe dasHeft22 derGrenzbo'.en Jhrg. 1912; die beiden haben unab¬
hängig voneinander gearbeitet) weist auch er nach, daß das Mehr nicht etwa
auf Rechnung des polnischen Teils kommt, überdies, daß sich wohlhabende
katholische Gegenden darin ebenso verhalten wie die armen. Aber die größere
Fruchtbarkeit würde ohne die Einwanderung eine stärkere prozentuale Ver¬
mehrung der Katholiken nicht zur Folge haben, weil ihre Wirkung teils durch
größere Sterblichkeit (hauptsächlich Kindersterblichkeit) aufgewogen wird, teils
durch den Verlust vieler Diasporakinder, die aus Mischehen stammen oder aus
anderen Ursachen evangelisch erzogen werden. Die evangelische Diaspora in
katholischen Gegenden besteht aus gut situierten Beamten, die, vom Staate auf
mannigfache Weise begünstigt, es leicht haben, für die Erziehung der Kinder in
ihrer Konfession zu sorgen.
Wird nun nach den Ursachen der „Zurückgebliebenheit" gefragt, so leugnet
Rost ganz entschieden, daß die angebliche Jnferioritüt darunter sei. Dagegen
spreche die hohe wirtschaftliche und Kulturblüte der italienischen, niederländischen,
deutschen Städte im Mittelalter und der heutige Kulturzustand der katholischen
Rheinländer. Wenn in neuerer Zeit England und das überwiegend protestan¬
tische Deutschland die größeren katholischen Nationen wirtschaftlich überflügelt
haben, so erkläre sich das aus dem Umstände, daß beide reich an Kohle und
Eisen sind, diese beiden Stoffe aber im Maschinenzeitalter den Rückgrat des
Wirtschaftslebens ausmachen. Aus demselben Grunde sei das kleine katholische
Belgien der industriellste Staat des Kontinents, und der Glanz Englands werde
zudem durch seinen schrecklichen Pauperismus arg getrübt. Was Deutschland
betrifft, so sei die ungünstige Lage der Katholiken auf folgende drei Ursachen
zurückzuführen. Im Resormationszeitalter seien der neuen Kirche die freien
Reichsstädte und die Ebene zugefallen, beide von einer regeren Bevölkerung
bewohnt als die katholisch gebliebenen Gebirge mit ihren Bauern (woraus doch
folgt, daß zwischen größerer Regsamkeit und der neuen Konfession eine innere
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