Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.vom Disziplinarverfahren schon das Gesetz von 1852 besondere Formen des Verfahrens vor, durch die Als die entscheidenden Disziplinarbehörden erster Instanz sind indes für Um diese Quelle der Rechtsunsicherheit zu beseitigen, ist zu fordern, daß Tatsächlich wird dieser Forderung auch schon für die meisten höheren Die Rechtsungleichheit erklärt sich aus den Anschauungen früherer Zeiten, vom Disziplinarverfahren schon das Gesetz von 1852 besondere Formen des Verfahrens vor, durch die Als die entscheidenden Disziplinarbehörden erster Instanz sind indes für Um diese Quelle der Rechtsunsicherheit zu beseitigen, ist zu fordern, daß Tatsächlich wird dieser Forderung auch schon für die meisten höheren Die Rechtsungleichheit erklärt sich aus den Anschauungen früherer Zeiten, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322616"/> <fw type="header" place="top"> vom Disziplinarverfahren</fw><lb/> <p xml:id="ID_982" prev="#ID_981"> schon das Gesetz von 1852 besondere Formen des Verfahrens vor, durch die<lb/> dein Beschuldigten genügendes Gehör und eine hinreichende Verteidigung gesichert<lb/> werden soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_983"> Als die entscheidenden Disziplinarbehörden erster Instanz sind indes für<lb/> die weitaus größere Mehrzahl der Beamten die Provinzialbehörden, als Re¬<lb/> gierungen usw., eingesetzt. Verwaltungsbehörden aber sind ihrer Natur nach<lb/> nicht geeignet, nach strengem Recht zu urteilen. Ihr Amt ist es, das praktisch<lb/> Nützliche zu finden und dies in eine Form zu kleiden, die den geltenden Gesetzen<lb/> entspricht. Dabei ist es ihre Pflicht, sich nach den Weisungen und nach der Absicht<lb/> des Vorgesetzten zu richten. Diese Gewöhnung ist eine schlechte Vorbereitung<lb/> für ein unparteiisches Urteil. An sich wird schon das Urteil über die Verein¬<lb/> barkeit einer bestimmten politischen Tätigkeit mit der Beamtenstellung wesentlich<lb/> davon beeinflußt werden, ob die Richtung des betreffenden Beamten von dem<lb/> Beurteiler für richtig oder für unheilvoll gehalten wird. Bei Fragen der<lb/> Beamtendisziplin wird ein streng Konservativer anders urteilen als ein Libe¬<lb/> raler. Auch bei den Berufsrichtern lassen sich derartige Elemente der Sub¬<lb/> jektivität nicht völlig beseitigen, aber bei Verwaltungsbehörden ist obendrein die<lb/> Möglichkeit gegeben, daß die Zusammensetzung der Spruchkollegien nach den<lb/> Wünschen des jeweiligen Ministers erfolgt, und es ist nur menschlich, wenn<lb/> der eine oder der andere der Urteilenden, vielleicht ohne es zu wissen, doch<lb/> durch den Gedanken beeinflußt wird, was von oben gewünscht wird, und was<lb/> für sein Fortkommen förderlich ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_984"> Um diese Quelle der Rechtsunsicherheit zu beseitigen, ist zu fordern, daß<lb/> die Disziplinargerichte statt durch Verwaltungsbehörden durch Disziplinar-<lb/> kammern mit richterlichen Charakter gebildet werden. Es würde alsdann die<lb/> Leitung in der Hand eines Richters liegen und diesem müßten auch richterliche<lb/> Beisitzer zur Seite stehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_985"> Tatsächlich wird dieser Forderung auch schon für die meisten höheren<lb/> Beamten durch das Gesetz von 1352 genügt; denn für die Beamten, zu deren<lb/> Anstellung die Ernennung, Bestätigung oder Genehmigung durch den König<lb/> oder den Minister erforderlich ist, ist der Diszipltnarhof in Berlin die Dis¬<lb/> ziplinarbehörde erster Instanz; der Disziplinarhof aber hat unter seinen Mit¬<lb/> gliedern auch Richter aus dem höchsten preußischen Gerichtshofe. Wenn sür<lb/> die höheren Beamten diese Rechtssicherheit geboten ist, so ist sie doch für die<lb/> mittleren und unteren Beamten — zu ihnen kommen in diesem Falle die Ober¬<lb/> lehrer hinzu — erst recht geboten, da bei ihnen gerade — auch hier einschlie߬<lb/> lich der Oberlehrer — die eigene Rechtskenutnis durchschnittlich geringer ist, als<lb/> bei den bevorzugten höheren Beamten.</p><lb/> <p xml:id="ID_986" next="#ID_987"> Die Rechtsungleichheit erklärt sich aus den Anschauungen früherer Zeiten,<lb/> denen der verschiedene Gerichtsstand für die verschiedenen Stände recht und<lb/> natürlich erschien; jetzt aber ist diese Ungleichheit für das allgemeine Nechis-<lb/> gefühl unerträglich. Dementsprechend ist auch bereits durch das Zuständigkeits-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0214]
vom Disziplinarverfahren
schon das Gesetz von 1852 besondere Formen des Verfahrens vor, durch die
dein Beschuldigten genügendes Gehör und eine hinreichende Verteidigung gesichert
werden soll.
Als die entscheidenden Disziplinarbehörden erster Instanz sind indes für
die weitaus größere Mehrzahl der Beamten die Provinzialbehörden, als Re¬
gierungen usw., eingesetzt. Verwaltungsbehörden aber sind ihrer Natur nach
nicht geeignet, nach strengem Recht zu urteilen. Ihr Amt ist es, das praktisch
Nützliche zu finden und dies in eine Form zu kleiden, die den geltenden Gesetzen
entspricht. Dabei ist es ihre Pflicht, sich nach den Weisungen und nach der Absicht
des Vorgesetzten zu richten. Diese Gewöhnung ist eine schlechte Vorbereitung
für ein unparteiisches Urteil. An sich wird schon das Urteil über die Verein¬
barkeit einer bestimmten politischen Tätigkeit mit der Beamtenstellung wesentlich
davon beeinflußt werden, ob die Richtung des betreffenden Beamten von dem
Beurteiler für richtig oder für unheilvoll gehalten wird. Bei Fragen der
Beamtendisziplin wird ein streng Konservativer anders urteilen als ein Libe¬
raler. Auch bei den Berufsrichtern lassen sich derartige Elemente der Sub¬
jektivität nicht völlig beseitigen, aber bei Verwaltungsbehörden ist obendrein die
Möglichkeit gegeben, daß die Zusammensetzung der Spruchkollegien nach den
Wünschen des jeweiligen Ministers erfolgt, und es ist nur menschlich, wenn
der eine oder der andere der Urteilenden, vielleicht ohne es zu wissen, doch
durch den Gedanken beeinflußt wird, was von oben gewünscht wird, und was
für sein Fortkommen förderlich ist.
Um diese Quelle der Rechtsunsicherheit zu beseitigen, ist zu fordern, daß
die Disziplinargerichte statt durch Verwaltungsbehörden durch Disziplinar-
kammern mit richterlichen Charakter gebildet werden. Es würde alsdann die
Leitung in der Hand eines Richters liegen und diesem müßten auch richterliche
Beisitzer zur Seite stehen.
Tatsächlich wird dieser Forderung auch schon für die meisten höheren
Beamten durch das Gesetz von 1352 genügt; denn für die Beamten, zu deren
Anstellung die Ernennung, Bestätigung oder Genehmigung durch den König
oder den Minister erforderlich ist, ist der Diszipltnarhof in Berlin die Dis¬
ziplinarbehörde erster Instanz; der Disziplinarhof aber hat unter seinen Mit¬
gliedern auch Richter aus dem höchsten preußischen Gerichtshofe. Wenn sür
die höheren Beamten diese Rechtssicherheit geboten ist, so ist sie doch für die
mittleren und unteren Beamten — zu ihnen kommen in diesem Falle die Ober¬
lehrer hinzu — erst recht geboten, da bei ihnen gerade — auch hier einschlie߬
lich der Oberlehrer — die eigene Rechtskenutnis durchschnittlich geringer ist, als
bei den bevorzugten höheren Beamten.
Die Rechtsungleichheit erklärt sich aus den Anschauungen früherer Zeiten,
denen der verschiedene Gerichtsstand für die verschiedenen Stände recht und
natürlich erschien; jetzt aber ist diese Ungleichheit für das allgemeine Nechis-
gefühl unerträglich. Dementsprechend ist auch bereits durch das Zuständigkeits-
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