Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
vom Disziplinarverfahren

Spannungen, die auch einmal in nicht ganz einwandfreier Weise sich entladen.
In derartigen Fällen, wo in augenblicklicher Hitze von der einen oder der
anderen Seite im Ausdruck oder sonstwie fehlgegriffen wird, wird ja meist die
richtige Einschätzung der Sache nachträglich das richtige Verhältnis von selbst
wiederherstellen. -- Vielleicht verdient hierbei Erwähnung, wie humorvoll und
mit wie feinem Verständnis für das Empfinden des Untergebenen einmal der
hochkonservative Oberpräsident von Pommern Senfft von Pilsach ein Einschreiten
gegen einen Beamten ablehnte, der respektwidrig von ihm gesprochen hatte. Er
meinte: "Das Schimpfen auf den Vorgesetzten gehört zu den Grundrechten des
preußischen Beamten; aber gehorchen muß er."

Aber nicht alles kann mit Humor und Freundlichkeit zurechtgelegt werden,
es muß auch einmal einfach die amtliche Erledigung der Sache eintreten.

Es kann nun kein Zweifel darüber sein, daß der Vorgesetzte das Recht
haben muß, bei Meinungsverschiedenheiten seinen Willen durchzusetzen und
gegebenenfalls den Untergebenen wegen seines Verhaltens zurechtzuweisen. Ebenso
selbstverständlich ist, daß der Untergebene, wenn er sich bei der Entscheidung
nicht beruhigen will, nachher die vorgesetzte Behörde anrufen darf. Zweifelhaft
kann nur sein, ob und wieweit es angemessen ist, daß Zurechtweisungen
des unmittelbaren Vorgesetzten schon den Charakter förmlicher Strafen haben
können.

Nach dem Gesetz werden die drei geringeren Strafen, die sogenannten
Ordnungsstrafen, die Warnung, der Verweis und die Geldbuße, von den Vor¬
gesetzten oder den vorgesetzten Behörden im gewöhnlichen Verwaltungsverfahren
festgesetzt, und jeder Vorgesetzte hat das Recht zu Warnungen und Verweisen.
Dem entspricht auch die Bestimmung in der neuen Dienstanweisung für die
Direktoren und Oberlehrer, obwohl die Standesvertretung, in der ebenso viel
Direktoren wie Oberlehrer vertreten waren, es anders gewünscht hatte. Dagegen
sind in der Dienstanweisung für die Rektoren der Gemeindeschulen diese zwar
für Vorgesetzte erklärt, das Strafrecht ist ihnen aber nicht gegeben worden.
Diese letzte Bestimmung steht im Gegensatz zu dem Gesetz von 1852 und erklärt
sich aus der Erkenntnis, daß das Strafrecht der Vorgesetzten nach den beson¬
deren Verhältnissen der einzelnen Beamtenklassen einzurichten ist. Diese aber
sind so mannigfaltig und so wandelbar, daß die näheren Vorschriften darüber,
wie es im bayerischen Beamtengesetz in Artikel 117 geschieht, am besten aus
dem Gesetz ausgeschieden und der Staatsregierung überlassen werden. Grund¬
sätzlich dürfte dabei davon auszugehen sein, daß das Recht zu förmlicher Be¬
strafung nicht im Interesse derer liegt, die durch nur einmalige Beförderung
Vorgesetzte ihrer früheren Amtsgenossen geworden sind, und bei denen das
amtliche enge Zusammenwirken zu geringe Sicherung gegen den Verdacht per¬
sönlicher Gereiztheit gewährt.

Die neueren Beamtengesetze der süddeutschen Staaten kennen übrigens die
Warnung nicht als förmliche Strafe. Daß sie notwendig sei, möchte ich auch


vom Disziplinarverfahren

Spannungen, die auch einmal in nicht ganz einwandfreier Weise sich entladen.
In derartigen Fällen, wo in augenblicklicher Hitze von der einen oder der
anderen Seite im Ausdruck oder sonstwie fehlgegriffen wird, wird ja meist die
richtige Einschätzung der Sache nachträglich das richtige Verhältnis von selbst
wiederherstellen. — Vielleicht verdient hierbei Erwähnung, wie humorvoll und
mit wie feinem Verständnis für das Empfinden des Untergebenen einmal der
hochkonservative Oberpräsident von Pommern Senfft von Pilsach ein Einschreiten
gegen einen Beamten ablehnte, der respektwidrig von ihm gesprochen hatte. Er
meinte: „Das Schimpfen auf den Vorgesetzten gehört zu den Grundrechten des
preußischen Beamten; aber gehorchen muß er."

Aber nicht alles kann mit Humor und Freundlichkeit zurechtgelegt werden,
es muß auch einmal einfach die amtliche Erledigung der Sache eintreten.

Es kann nun kein Zweifel darüber sein, daß der Vorgesetzte das Recht
haben muß, bei Meinungsverschiedenheiten seinen Willen durchzusetzen und
gegebenenfalls den Untergebenen wegen seines Verhaltens zurechtzuweisen. Ebenso
selbstverständlich ist, daß der Untergebene, wenn er sich bei der Entscheidung
nicht beruhigen will, nachher die vorgesetzte Behörde anrufen darf. Zweifelhaft
kann nur sein, ob und wieweit es angemessen ist, daß Zurechtweisungen
des unmittelbaren Vorgesetzten schon den Charakter förmlicher Strafen haben
können.

Nach dem Gesetz werden die drei geringeren Strafen, die sogenannten
Ordnungsstrafen, die Warnung, der Verweis und die Geldbuße, von den Vor¬
gesetzten oder den vorgesetzten Behörden im gewöhnlichen Verwaltungsverfahren
festgesetzt, und jeder Vorgesetzte hat das Recht zu Warnungen und Verweisen.
Dem entspricht auch die Bestimmung in der neuen Dienstanweisung für die
Direktoren und Oberlehrer, obwohl die Standesvertretung, in der ebenso viel
Direktoren wie Oberlehrer vertreten waren, es anders gewünscht hatte. Dagegen
sind in der Dienstanweisung für die Rektoren der Gemeindeschulen diese zwar
für Vorgesetzte erklärt, das Strafrecht ist ihnen aber nicht gegeben worden.
Diese letzte Bestimmung steht im Gegensatz zu dem Gesetz von 1852 und erklärt
sich aus der Erkenntnis, daß das Strafrecht der Vorgesetzten nach den beson¬
deren Verhältnissen der einzelnen Beamtenklassen einzurichten ist. Diese aber
sind so mannigfaltig und so wandelbar, daß die näheren Vorschriften darüber,
wie es im bayerischen Beamtengesetz in Artikel 117 geschieht, am besten aus
dem Gesetz ausgeschieden und der Staatsregierung überlassen werden. Grund¬
sätzlich dürfte dabei davon auszugehen sein, daß das Recht zu förmlicher Be¬
strafung nicht im Interesse derer liegt, die durch nur einmalige Beförderung
Vorgesetzte ihrer früheren Amtsgenossen geworden sind, und bei denen das
amtliche enge Zusammenwirken zu geringe Sicherung gegen den Verdacht per¬
sönlicher Gereiztheit gewährt.

Die neueren Beamtengesetze der süddeutschen Staaten kennen übrigens die
Warnung nicht als förmliche Strafe. Daß sie notwendig sei, möchte ich auch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322612"/>
          <fw type="header" place="top"> vom Disziplinarverfahren</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_957" prev="#ID_956"> Spannungen, die auch einmal in nicht ganz einwandfreier Weise sich entladen.<lb/>
In derartigen Fällen, wo in augenblicklicher Hitze von der einen oder der<lb/>
anderen Seite im Ausdruck oder sonstwie fehlgegriffen wird, wird ja meist die<lb/>
richtige Einschätzung der Sache nachträglich das richtige Verhältnis von selbst<lb/>
wiederherstellen. &#x2014; Vielleicht verdient hierbei Erwähnung, wie humorvoll und<lb/>
mit wie feinem Verständnis für das Empfinden des Untergebenen einmal der<lb/>
hochkonservative Oberpräsident von Pommern Senfft von Pilsach ein Einschreiten<lb/>
gegen einen Beamten ablehnte, der respektwidrig von ihm gesprochen hatte. Er<lb/>
meinte: &#x201E;Das Schimpfen auf den Vorgesetzten gehört zu den Grundrechten des<lb/>
preußischen Beamten; aber gehorchen muß er."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_958"> Aber nicht alles kann mit Humor und Freundlichkeit zurechtgelegt werden,<lb/>
es muß auch einmal einfach die amtliche Erledigung der Sache eintreten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_959"> Es kann nun kein Zweifel darüber sein, daß der Vorgesetzte das Recht<lb/>
haben muß, bei Meinungsverschiedenheiten seinen Willen durchzusetzen und<lb/>
gegebenenfalls den Untergebenen wegen seines Verhaltens zurechtzuweisen. Ebenso<lb/>
selbstverständlich ist, daß der Untergebene, wenn er sich bei der Entscheidung<lb/>
nicht beruhigen will, nachher die vorgesetzte Behörde anrufen darf. Zweifelhaft<lb/>
kann nur sein, ob und wieweit es angemessen ist, daß Zurechtweisungen<lb/>
des unmittelbaren Vorgesetzten schon den Charakter förmlicher Strafen haben<lb/>
können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_960"> Nach dem Gesetz werden die drei geringeren Strafen, die sogenannten<lb/>
Ordnungsstrafen, die Warnung, der Verweis und die Geldbuße, von den Vor¬<lb/>
gesetzten oder den vorgesetzten Behörden im gewöhnlichen Verwaltungsverfahren<lb/>
festgesetzt, und jeder Vorgesetzte hat das Recht zu Warnungen und Verweisen.<lb/>
Dem entspricht auch die Bestimmung in der neuen Dienstanweisung für die<lb/>
Direktoren und Oberlehrer, obwohl die Standesvertretung, in der ebenso viel<lb/>
Direktoren wie Oberlehrer vertreten waren, es anders gewünscht hatte. Dagegen<lb/>
sind in der Dienstanweisung für die Rektoren der Gemeindeschulen diese zwar<lb/>
für Vorgesetzte erklärt, das Strafrecht ist ihnen aber nicht gegeben worden.<lb/>
Diese letzte Bestimmung steht im Gegensatz zu dem Gesetz von 1852 und erklärt<lb/>
sich aus der Erkenntnis, daß das Strafrecht der Vorgesetzten nach den beson¬<lb/>
deren Verhältnissen der einzelnen Beamtenklassen einzurichten ist. Diese aber<lb/>
sind so mannigfaltig und so wandelbar, daß die näheren Vorschriften darüber,<lb/>
wie es im bayerischen Beamtengesetz in Artikel 117 geschieht, am besten aus<lb/>
dem Gesetz ausgeschieden und der Staatsregierung überlassen werden. Grund¬<lb/>
sätzlich dürfte dabei davon auszugehen sein, daß das Recht zu förmlicher Be¬<lb/>
strafung nicht im Interesse derer liegt, die durch nur einmalige Beförderung<lb/>
Vorgesetzte ihrer früheren Amtsgenossen geworden sind, und bei denen das<lb/>
amtliche enge Zusammenwirken zu geringe Sicherung gegen den Verdacht per¬<lb/>
sönlicher Gereiztheit gewährt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_961" next="#ID_962"> Die neueren Beamtengesetze der süddeutschen Staaten kennen übrigens die<lb/>
Warnung nicht als förmliche Strafe.  Daß sie notwendig sei, möchte ich auch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0210] vom Disziplinarverfahren Spannungen, die auch einmal in nicht ganz einwandfreier Weise sich entladen. In derartigen Fällen, wo in augenblicklicher Hitze von der einen oder der anderen Seite im Ausdruck oder sonstwie fehlgegriffen wird, wird ja meist die richtige Einschätzung der Sache nachträglich das richtige Verhältnis von selbst wiederherstellen. — Vielleicht verdient hierbei Erwähnung, wie humorvoll und mit wie feinem Verständnis für das Empfinden des Untergebenen einmal der hochkonservative Oberpräsident von Pommern Senfft von Pilsach ein Einschreiten gegen einen Beamten ablehnte, der respektwidrig von ihm gesprochen hatte. Er meinte: „Das Schimpfen auf den Vorgesetzten gehört zu den Grundrechten des preußischen Beamten; aber gehorchen muß er." Aber nicht alles kann mit Humor und Freundlichkeit zurechtgelegt werden, es muß auch einmal einfach die amtliche Erledigung der Sache eintreten. Es kann nun kein Zweifel darüber sein, daß der Vorgesetzte das Recht haben muß, bei Meinungsverschiedenheiten seinen Willen durchzusetzen und gegebenenfalls den Untergebenen wegen seines Verhaltens zurechtzuweisen. Ebenso selbstverständlich ist, daß der Untergebene, wenn er sich bei der Entscheidung nicht beruhigen will, nachher die vorgesetzte Behörde anrufen darf. Zweifelhaft kann nur sein, ob und wieweit es angemessen ist, daß Zurechtweisungen des unmittelbaren Vorgesetzten schon den Charakter förmlicher Strafen haben können. Nach dem Gesetz werden die drei geringeren Strafen, die sogenannten Ordnungsstrafen, die Warnung, der Verweis und die Geldbuße, von den Vor¬ gesetzten oder den vorgesetzten Behörden im gewöhnlichen Verwaltungsverfahren festgesetzt, und jeder Vorgesetzte hat das Recht zu Warnungen und Verweisen. Dem entspricht auch die Bestimmung in der neuen Dienstanweisung für die Direktoren und Oberlehrer, obwohl die Standesvertretung, in der ebenso viel Direktoren wie Oberlehrer vertreten waren, es anders gewünscht hatte. Dagegen sind in der Dienstanweisung für die Rektoren der Gemeindeschulen diese zwar für Vorgesetzte erklärt, das Strafrecht ist ihnen aber nicht gegeben worden. Diese letzte Bestimmung steht im Gegensatz zu dem Gesetz von 1852 und erklärt sich aus der Erkenntnis, daß das Strafrecht der Vorgesetzten nach den beson¬ deren Verhältnissen der einzelnen Beamtenklassen einzurichten ist. Diese aber sind so mannigfaltig und so wandelbar, daß die näheren Vorschriften darüber, wie es im bayerischen Beamtengesetz in Artikel 117 geschieht, am besten aus dem Gesetz ausgeschieden und der Staatsregierung überlassen werden. Grund¬ sätzlich dürfte dabei davon auszugehen sein, daß das Recht zu förmlicher Be¬ strafung nicht im Interesse derer liegt, die durch nur einmalige Beförderung Vorgesetzte ihrer früheren Amtsgenossen geworden sind, und bei denen das amtliche enge Zusammenwirken zu geringe Sicherung gegen den Verdacht per¬ sönlicher Gereiztheit gewährt. Die neueren Beamtengesetze der süddeutschen Staaten kennen übrigens die Warnung nicht als förmliche Strafe. Daß sie notwendig sei, möchte ich auch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/210
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/210>, abgerufen am 15.01.2025.