Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Reichsspiegel anderen Winkel aufflammen könnte. Eine so einseitige Orientierung ist in wirt¬ Reichsspiegel anderen Winkel aufflammen könnte. Eine so einseitige Orientierung ist in wirt¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0205" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322607"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_939" prev="#ID_938" next="#ID_940"> anderen Winkel aufflammen könnte. Eine so einseitige Orientierung ist in wirt¬<lb/> schaftlichen Dingen unheilvoll. Gerade bei günstigen Zeiten muß der Kaufmann<lb/> wie der Industrielle eine Dosis Pessimismus sich bewahren, wenn er richtig<lb/> disponieren will. Nur auf diese Weise ist es möglich, der Gefahr der Über¬<lb/> anspannung, der Überproduktion und Überspekulation zu entgehen. Wenn nun<lb/> auch augenblicklich nach allgemeiner Überzeugung der europäische Frieden trotz<lb/> des Balkankrieges nicht als bedroht anzusehen ist, so wäre es doch ein schwerer<lb/> Fehler, diesen Krieg, bloß weil er lokalisiert ist. als nicht vorhanden anzusehen.<lb/> Die Börse schien hierzu im ersten Augenblick, wie das Aufschnellen der Kurse<lb/> bewies, nicht übel Lust zu haben. Aber nicht nur die Börsenspekulation, auch<lb/> die Industrie scheint teilweise geneigt, den Einfluß eines lokalisierten Balkan¬<lb/> krieges auf den Gang des Wirtschaftslebens gering einzuschätzen. Man hält<lb/> die augenblickliche Weltkonjunktur für so stark und in sich gefestigt, daß die<lb/> Störung im Südosten Europas ihr nichts anhaben kann. Die augenblickliche<lb/> Verschlechterung der Börsenlage ficht die Industrie wenig an, denn dringende<lb/> Emissionswünsche dürften, nachdem die großen Expanftonsprojekte durchgeführt<lb/> sind, zurzeit kaum bestehen. Die Geldverhältnisse sind zudem weit günstiger als<lb/> zu erwarten war, so daß wohl auch die Frage der Beschaffung industrieller<lb/> Kredite trotz der proklamierten Zurückhaltung der Banken keine wesentlichen<lb/> Schwierigkeiten bieten wird. Man glaubt daher in industriellen Kreisen, sich<lb/> von der hochgehenden Welle der Konjunktur emportragen lassen zu dürfen und<lb/> die Gunst des Augenblicks nach Kräften ausnützen zu müssen. Die Preis¬<lb/> erhöhungen des Roheisenverbandes, noch mehr die des Kohlensyndikats sind<lb/> ein treffender Beweis für diese Auffassung. Das Kohlensyndikat fühlt sich der¬<lb/> maßen als Herr der Situation, daß es kein Bedenken getragen hat, die jüngste<lb/> Preiserhöhung gegen den Willen des Fiskus zu dekretieren und es hierüber mit<lb/> dem letzteren zum Bruch kommen zu lassen. Der Fiskus hat sein Abkommen<lb/> mit dem Syndikat gelöst und öffentlich dokumentiert, daß er diese Preispolitik<lb/> des Syndikats für ungerechtfertigt und gemeinschädlich hält. Hier wird der<lb/> Industrie in einer wohl noch nie dagewesenen Art und Weise von Amts wegen<lb/> attestiert, daß sie den Bogen überspannt und sich in Gegensatz zu den<lb/> Forderungen stellt, die im Interesse der Konsumenten erhoben werden müssen.<lb/> In der Tat ist das Verhalten des Kohlensyndikats nur schwer begreiflich.<lb/> Man muß sich vergegenwärtigen, daß der Beitritt des Fiskus, welchem die<lb/> Einigung mit den übrigen Außenseitern folgte, für das Syndikat eine<lb/> nicht hoch genug zu schätzende Errungenschaft bedeutete. Denn durch diese<lb/> Einigung wurde das Kohlensyndikat des kostspieligen Wettbewerbs mit den<lb/> syndikatfreien Zechen überhoben. Diese Konkurrenz hatte zu den so drückend<lb/> empfundenen Umlagen geführt, welche zuletzt eine Höhe von zwölf Prozent des<lb/> Bruttoerlöses erreicht hatten und den größten Mißmut unter den Mitgliedern,<lb/> das heißt vor allem den reinen Zechen hervorriefen. Die Folgen der Einigung<lb/> waren daher in finanzieller Beziehung äußerst weittragend. Nicht nur, daß</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0205]
Reichsspiegel
anderen Winkel aufflammen könnte. Eine so einseitige Orientierung ist in wirt¬
schaftlichen Dingen unheilvoll. Gerade bei günstigen Zeiten muß der Kaufmann
wie der Industrielle eine Dosis Pessimismus sich bewahren, wenn er richtig
disponieren will. Nur auf diese Weise ist es möglich, der Gefahr der Über¬
anspannung, der Überproduktion und Überspekulation zu entgehen. Wenn nun
auch augenblicklich nach allgemeiner Überzeugung der europäische Frieden trotz
des Balkankrieges nicht als bedroht anzusehen ist, so wäre es doch ein schwerer
Fehler, diesen Krieg, bloß weil er lokalisiert ist. als nicht vorhanden anzusehen.
Die Börse schien hierzu im ersten Augenblick, wie das Aufschnellen der Kurse
bewies, nicht übel Lust zu haben. Aber nicht nur die Börsenspekulation, auch
die Industrie scheint teilweise geneigt, den Einfluß eines lokalisierten Balkan¬
krieges auf den Gang des Wirtschaftslebens gering einzuschätzen. Man hält
die augenblickliche Weltkonjunktur für so stark und in sich gefestigt, daß die
Störung im Südosten Europas ihr nichts anhaben kann. Die augenblickliche
Verschlechterung der Börsenlage ficht die Industrie wenig an, denn dringende
Emissionswünsche dürften, nachdem die großen Expanftonsprojekte durchgeführt
sind, zurzeit kaum bestehen. Die Geldverhältnisse sind zudem weit günstiger als
zu erwarten war, so daß wohl auch die Frage der Beschaffung industrieller
Kredite trotz der proklamierten Zurückhaltung der Banken keine wesentlichen
Schwierigkeiten bieten wird. Man glaubt daher in industriellen Kreisen, sich
von der hochgehenden Welle der Konjunktur emportragen lassen zu dürfen und
die Gunst des Augenblicks nach Kräften ausnützen zu müssen. Die Preis¬
erhöhungen des Roheisenverbandes, noch mehr die des Kohlensyndikats sind
ein treffender Beweis für diese Auffassung. Das Kohlensyndikat fühlt sich der¬
maßen als Herr der Situation, daß es kein Bedenken getragen hat, die jüngste
Preiserhöhung gegen den Willen des Fiskus zu dekretieren und es hierüber mit
dem letzteren zum Bruch kommen zu lassen. Der Fiskus hat sein Abkommen
mit dem Syndikat gelöst und öffentlich dokumentiert, daß er diese Preispolitik
des Syndikats für ungerechtfertigt und gemeinschädlich hält. Hier wird der
Industrie in einer wohl noch nie dagewesenen Art und Weise von Amts wegen
attestiert, daß sie den Bogen überspannt und sich in Gegensatz zu den
Forderungen stellt, die im Interesse der Konsumenten erhoben werden müssen.
In der Tat ist das Verhalten des Kohlensyndikats nur schwer begreiflich.
Man muß sich vergegenwärtigen, daß der Beitritt des Fiskus, welchem die
Einigung mit den übrigen Außenseitern folgte, für das Syndikat eine
nicht hoch genug zu schätzende Errungenschaft bedeutete. Denn durch diese
Einigung wurde das Kohlensyndikat des kostspieligen Wettbewerbs mit den
syndikatfreien Zechen überhoben. Diese Konkurrenz hatte zu den so drückend
empfundenen Umlagen geführt, welche zuletzt eine Höhe von zwölf Prozent des
Bruttoerlöses erreicht hatten und den größten Mißmut unter den Mitgliedern,
das heißt vor allem den reinen Zechen hervorriefen. Die Folgen der Einigung
waren daher in finanzieller Beziehung äußerst weittragend. Nicht nur, daß
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