Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Rcichsspiegcl Deutschland hat im vorigen Jahre in der internationalen Politik durch eine Die "Lokalisierung" des Balkankrieges und die Vereinbarung der Rcichsspiegcl Deutschland hat im vorigen Jahre in der internationalen Politik durch eine Die „Lokalisierung" des Balkankrieges und die Vereinbarung der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0198" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322600"/> <fw type="header" place="top"> Rcichsspiegcl</fw><lb/> <p xml:id="ID_919"> Deutschland hat im vorigen Jahre in der internationalen Politik durch eine<lb/> Situation hindurchgehen müssen, die seitens der Opposition als ein zweites Olmütz<lb/> bezeichnet wurde. Wir haben stets einen entgegengesetzten Standpunkt eingenommen,<lb/> in dem Bewußtsein, daß das Reich seine Kräfte nicht zersplittern durste. Die verant¬<lb/> wortlichen Diplomaten haben in der ganzen Zeit der Marokkokämpfe eine solche Fülle<lb/> von Selbstbeherrschung bewiesen und haben sich trotz der schwersten Angriffe so frei<lb/> von jeder Eitelkeit gezeigt, daß sie uns auch da die größte Hochachtung ab¬<lb/> nötigen, wo wir mit den einzelnen Maßnahmen nicht einverstanden sein können.<lb/> Und ich denke mir, daß von dieser Hochachtung aus sich auch das Vertrauen<lb/> entwickeln wird in die weitere Führung unserer internationalen Geschäfte. Die<lb/> Neuordnung der Balkanfrage steht schon seit Jahren vor der Tür. Aber noch<lb/> in keinem Stadium hat sie so sehr den Stempel einer Aktion gegen den Drei¬<lb/> bund getragen, wie gegenwärtig. Und wie Preußen seinerzeit der „deutschen<lb/> Einheitsfrage" Rechnung tragen mußte, so trägt heute die auswärtige Politik<lb/> Deutschlands der „mitteleuropäischen" Rechnung: unsere Diplomatie treibt<lb/> reichsdeutsche Politik im Rahmen des Dreibundes, dieses seit mehr<lb/> als zwanzig Jahren als Friedenshort erprobten Gefüges. Das Attentat auf<lb/> den Dreibund, das in dem Vorgehen Englands und Rußlands und der kleinen<lb/> Balkanstaaten lag, mißglückte an der Festigkeit des Dreibundes: Österreich-<lb/> Ungarn und Italien haben durch ihr Verhalten bewiesen, welchen Wert für sie<lb/> der Bund hat. Dieses durch den schnellen Friedenschluß zu Ouchy, jenes durch<lb/> die Bereitwilligkeit, mit der es — trotz schwerwiegendster Bedenken — die<lb/> Hand zur Verständigung mit Rußland geboten. Der Dreibund ist nicht nur<lb/> intakt geblieben, der ihn angreifende Dreiverband erzittert in seinen Fugen,<lb/> nachdem sich herausgestellt hat, daß die französischen Interessen denen der<lb/> deutschen Nation viel verwandter sind als denen Englands, nachdem sich weiter<lb/> herausgestellt hat, daß Albion durchaus nicht geneigt ist seinem russischen Freunde<lb/> in dessen Bestreben die Dardanellenstraße zu beherrschen, beizustehen. So sind<lb/> an der Lokalisierung des Balkankrieges zwar die realen Verhältnisse schuld,<lb/> aber das Verdienst sie richtig bewertet und die gewonnene Erkenntnis recht¬<lb/> zeitig in die Wagschale geworfen zu haben, müssen wir diesmal doch den Diplo¬<lb/> maten zugestehen. Und aus dieser Feststellung ziehe ich den weiteren beruhigenden<lb/> Schluß, daß unsere Diplomaten auch befähigt sein werden, den Augenblick richtig<lb/> zu erkennen, wenn die Entscheidungen der internationalen Politik in die Hände<lb/> der Armecleitung zu legen sein werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_920" next="#ID_921"> Die „Lokalisierung" des Balkankrieges und die Vereinbarung der<lb/> Mächte, wonach territorial der solus quo auch der Balkanhalbinsel, soweit<lb/> es sich um die Türkei handelt, erhalten bleiben soll, legt die Frage<lb/> nahe, wer denn nach dem Kriege, in dem doch irgendjemand Sieger<lb/> bleiben oder unterliegen muß, die Zeche bezahlen soll. Bisher sind alle die<lb/> Großmächte in Mitleidenschaft gezogen, deren Balkanhandel durch den Krieg<lb/> berührt wird; der Ausgang des Krieges, wird das wirtschaftliche Interesse</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0198]
Rcichsspiegcl
Deutschland hat im vorigen Jahre in der internationalen Politik durch eine
Situation hindurchgehen müssen, die seitens der Opposition als ein zweites Olmütz
bezeichnet wurde. Wir haben stets einen entgegengesetzten Standpunkt eingenommen,
in dem Bewußtsein, daß das Reich seine Kräfte nicht zersplittern durste. Die verant¬
wortlichen Diplomaten haben in der ganzen Zeit der Marokkokämpfe eine solche Fülle
von Selbstbeherrschung bewiesen und haben sich trotz der schwersten Angriffe so frei
von jeder Eitelkeit gezeigt, daß sie uns auch da die größte Hochachtung ab¬
nötigen, wo wir mit den einzelnen Maßnahmen nicht einverstanden sein können.
Und ich denke mir, daß von dieser Hochachtung aus sich auch das Vertrauen
entwickeln wird in die weitere Führung unserer internationalen Geschäfte. Die
Neuordnung der Balkanfrage steht schon seit Jahren vor der Tür. Aber noch
in keinem Stadium hat sie so sehr den Stempel einer Aktion gegen den Drei¬
bund getragen, wie gegenwärtig. Und wie Preußen seinerzeit der „deutschen
Einheitsfrage" Rechnung tragen mußte, so trägt heute die auswärtige Politik
Deutschlands der „mitteleuropäischen" Rechnung: unsere Diplomatie treibt
reichsdeutsche Politik im Rahmen des Dreibundes, dieses seit mehr
als zwanzig Jahren als Friedenshort erprobten Gefüges. Das Attentat auf
den Dreibund, das in dem Vorgehen Englands und Rußlands und der kleinen
Balkanstaaten lag, mißglückte an der Festigkeit des Dreibundes: Österreich-
Ungarn und Italien haben durch ihr Verhalten bewiesen, welchen Wert für sie
der Bund hat. Dieses durch den schnellen Friedenschluß zu Ouchy, jenes durch
die Bereitwilligkeit, mit der es — trotz schwerwiegendster Bedenken — die
Hand zur Verständigung mit Rußland geboten. Der Dreibund ist nicht nur
intakt geblieben, der ihn angreifende Dreiverband erzittert in seinen Fugen,
nachdem sich herausgestellt hat, daß die französischen Interessen denen der
deutschen Nation viel verwandter sind als denen Englands, nachdem sich weiter
herausgestellt hat, daß Albion durchaus nicht geneigt ist seinem russischen Freunde
in dessen Bestreben die Dardanellenstraße zu beherrschen, beizustehen. So sind
an der Lokalisierung des Balkankrieges zwar die realen Verhältnisse schuld,
aber das Verdienst sie richtig bewertet und die gewonnene Erkenntnis recht¬
zeitig in die Wagschale geworfen zu haben, müssen wir diesmal doch den Diplo¬
maten zugestehen. Und aus dieser Feststellung ziehe ich den weiteren beruhigenden
Schluß, daß unsere Diplomaten auch befähigt sein werden, den Augenblick richtig
zu erkennen, wenn die Entscheidungen der internationalen Politik in die Hände
der Armecleitung zu legen sein werden.
Die „Lokalisierung" des Balkankrieges und die Vereinbarung der
Mächte, wonach territorial der solus quo auch der Balkanhalbinsel, soweit
es sich um die Türkei handelt, erhalten bleiben soll, legt die Frage
nahe, wer denn nach dem Kriege, in dem doch irgendjemand Sieger
bleiben oder unterliegen muß, die Zeche bezahlen soll. Bisher sind alle die
Großmächte in Mitleidenschaft gezogen, deren Balkanhandel durch den Krieg
berührt wird; der Ausgang des Krieges, wird das wirtschaftliche Interesse
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