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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

gleich ein Versuch der Geschichte der katholischen
Presse und ein Beitrag zur Entwicklung der
katholischen Bewegung in Deutschland. Von
Karl Bachen", Dr. jur. ner. Erster Band
(bis 1848). Köln, I: P. Bachem, 1912. -
LKaeun a les äökemts as ses quslitös, Die
Kehrseite der altpreußischen Tüchtigkeit, die
Unfähigkeit, moralische Eroberungen zu machen,
hat mancherlei weltgeschichtliche Folgen gehabt,
und es ist keine Übertreibung, wenn man die
Macht des Zentrums auf sie zurückführt. Der
freundliche Ton der Proklamation, die Friedrich
Wilhelm der Dritte am 6. April 1815,, an die
Einwohner der mit der Preußischen Monarchie
vereinigten Rheinlande" richtete, gewann die
Herzen, aber das preußische Regiment stieß
sie zurück durch den unbegründeten Zweifel
an ihrer Loyalität, den Verdacht der Hin¬
neigung zu Frankreich, durch schulmeisterliche
Bevormundung, bärbeißige, grämliche Be¬
kämpfung der Gewohnheiten und Lustbarkeiten
einer fröhlichen Bevölkerung, und durch grobe
Behandlung der gebildeten Bürgerschaft. Als
dann vollends das Versprechen, die vorgefun¬
denen Beamten im Besitz ihrer Posten und
im Genuß ihrer Einkünfte zu lassen, durch
engherzige Auslegung unwirksam gemacht
wurde, schlug die anfangs so günstige
Stimmung sichtbar um. Görres schrieb: "Die
Eintracht, die glücklich Wurzeln geschlagen, ist
zerstört; längst besänftigte Leidenschaften und
Abneigungen sind wieder aufgewacht, und
jeder Tag sieht die Kluft größer werden, die
verwandte, jetzt unter einem gerechten, wohl¬
wollenden Fürsten eng verbundenen Stämme
voneinander trennt." Die Mißstimmung
ergriff die evangelische Minderheit so gut wie
die katholische Mehrheit, aber dieser wurde
sehr bald noch weiterer Grund zu Beschwerden
geliefert, da dem Nachwuchs ihrer mittleren
und höheren Stände jede Aussicht auf Ver¬
sorgung im Staatsdienste geraubt wurde, und
die aus Altpreußen eingewanderten Beamten
Kristallisationspunktc für die Gründung neuer
evangelischer Kirchgemeinden bildeten, die sich
kräftiger Förderung von oben erfreuten. Was
jedoch am meisten erbitterte, das war der
Maulkorb. Keine Möglichkeit, öffentlich Be¬
schwerden auszusprechen bei der damaligen
Knebelung der Presse I Von den Iensurstüclchen,
die Bachem mitteilt, sei nur eins erwähnt.

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das zwar mit den Schmerzen der Rheinländer
nichts zu schaffen hat, dafür aber die Geistes¬
höhe der Behörden, die das Geistesleben der
Nation in die rechte Bahn leiten sollten, sehr
hübsch beleuchtet. Die Kölnische Zeitung be¬
kam eine Anzeige der Übersetzung der "Gött¬
lichen Komödie" von Philalethes (bekanntlich
Pseudonym des Königs Johann von Sachsen);
diese strich der Zensor, Polizeirat Doleschall,
mit der Begründung: mit göttlichen Dingen
dürfe nicht Komödie getrieben werden. Und
nun gar die Katholiken I Alle ihre Bemühungen
um Konzessionen für Zeitungen und Wochen¬
blätter blieben vergeblich, und außerhalb
Preußens erscheinende katholische Zeitschriften,
wie die Historisch-Politischen Blätter wurden
verboten. Darum standen die rheinischen
Katholiken in der Vorderston Reihe in dem
Kampfe um Preßfreiheit und eine Verfassung.
Sobald beides 1848 errungen war, fanden
die nun vor sich gehenden Zeitungsgründungen
Wohl vorbereiteten Boden. Denn während
die protestantischen Freiheitskämpen meistens
Kirchenfeinde waren, hatten auf katholischem
Boden Geistliche und Laien in einmütigem
Zusammenwirken eine reiche Erbauungs-,
Unterhaltungs- und Streitschriftenliteratur ge¬
schaffen, die das Volk im katholischen Sinne
aufklärte. Meine Wenigkeit ist ein Pröbchen
vom Erfolg dieser Aufklärungsarbeit. Mein
Vater war ein evangelischer Buchbinder, der
katholische Pfarrer sein bester Kunde, und
meine katholische Mutter sorgte dafür, daß ich
im Alter von zwölf bis vierzehn Jahren alle
diese katholischen Sachen zu lesen bekam. So
bin ich damals katholisch geworden. Die Feind¬
schaft der Konfesstonen und der Weltanschau¬
ungen erklärt es, daß der Anteil der Katho¬
liken an dem Politischen Ringen jener Zeit
in der dominierenden Literatur unbeachtet
bleibt und Görres höchstens als "der tolle
Görres, der anfängliche Revolutionär und
spätere Ultramontane" erwähnt wird, obgleich
er, wie Bachem richtig ausführt, der erste
deutsche Publizist großen Stils gewesen ist
und sein Freiheitsideal nicht das französisch-
jakobinische, sondern das mit der Monarchie
wohlverträgliche altgermanische war. Dem
Umschlage des ersten Jahrgangs des Rhei¬
nischen Merkur gab er die taciteische Aufschrift:
Oe minoribus rebus Principes consultant

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gleich ein Versuch der Geschichte der katholischen
Presse und ein Beitrag zur Entwicklung der
katholischen Bewegung in Deutschland. Von
Karl Bachen», Dr. jur. ner. Erster Band
(bis 1848). Köln, I: P. Bachem, 1912. -
LKaeun a les äökemts as ses quslitös, Die
Kehrseite der altpreußischen Tüchtigkeit, die
Unfähigkeit, moralische Eroberungen zu machen,
hat mancherlei weltgeschichtliche Folgen gehabt,
und es ist keine Übertreibung, wenn man die
Macht des Zentrums auf sie zurückführt. Der
freundliche Ton der Proklamation, die Friedrich
Wilhelm der Dritte am 6. April 1815,, an die
Einwohner der mit der Preußischen Monarchie
vereinigten Rheinlande" richtete, gewann die
Herzen, aber das preußische Regiment stieß
sie zurück durch den unbegründeten Zweifel
an ihrer Loyalität, den Verdacht der Hin¬
neigung zu Frankreich, durch schulmeisterliche
Bevormundung, bärbeißige, grämliche Be¬
kämpfung der Gewohnheiten und Lustbarkeiten
einer fröhlichen Bevölkerung, und durch grobe
Behandlung der gebildeten Bürgerschaft. Als
dann vollends das Versprechen, die vorgefun¬
denen Beamten im Besitz ihrer Posten und
im Genuß ihrer Einkünfte zu lassen, durch
engherzige Auslegung unwirksam gemacht
wurde, schlug die anfangs so günstige
Stimmung sichtbar um. Görres schrieb: „Die
Eintracht, die glücklich Wurzeln geschlagen, ist
zerstört; längst besänftigte Leidenschaften und
Abneigungen sind wieder aufgewacht, und
jeder Tag sieht die Kluft größer werden, die
verwandte, jetzt unter einem gerechten, wohl¬
wollenden Fürsten eng verbundenen Stämme
voneinander trennt." Die Mißstimmung
ergriff die evangelische Minderheit so gut wie
die katholische Mehrheit, aber dieser wurde
sehr bald noch weiterer Grund zu Beschwerden
geliefert, da dem Nachwuchs ihrer mittleren
und höheren Stände jede Aussicht auf Ver¬
sorgung im Staatsdienste geraubt wurde, und
die aus Altpreußen eingewanderten Beamten
Kristallisationspunktc für die Gründung neuer
evangelischer Kirchgemeinden bildeten, die sich
kräftiger Förderung von oben erfreuten. Was
jedoch am meisten erbitterte, das war der
Maulkorb. Keine Möglichkeit, öffentlich Be¬
schwerden auszusprechen bei der damaligen
Knebelung der Presse I Von den Iensurstüclchen,
die Bachem mitteilt, sei nur eins erwähnt.

[Spaltenumbruch]

das zwar mit den Schmerzen der Rheinländer
nichts zu schaffen hat, dafür aber die Geistes¬
höhe der Behörden, die das Geistesleben der
Nation in die rechte Bahn leiten sollten, sehr
hübsch beleuchtet. Die Kölnische Zeitung be¬
kam eine Anzeige der Übersetzung der „Gött¬
lichen Komödie" von Philalethes (bekanntlich
Pseudonym des Königs Johann von Sachsen);
diese strich der Zensor, Polizeirat Doleschall,
mit der Begründung: mit göttlichen Dingen
dürfe nicht Komödie getrieben werden. Und
nun gar die Katholiken I Alle ihre Bemühungen
um Konzessionen für Zeitungen und Wochen¬
blätter blieben vergeblich, und außerhalb
Preußens erscheinende katholische Zeitschriften,
wie die Historisch-Politischen Blätter wurden
verboten. Darum standen die rheinischen
Katholiken in der Vorderston Reihe in dem
Kampfe um Preßfreiheit und eine Verfassung.
Sobald beides 1848 errungen war, fanden
die nun vor sich gehenden Zeitungsgründungen
Wohl vorbereiteten Boden. Denn während
die protestantischen Freiheitskämpen meistens
Kirchenfeinde waren, hatten auf katholischem
Boden Geistliche und Laien in einmütigem
Zusammenwirken eine reiche Erbauungs-,
Unterhaltungs- und Streitschriftenliteratur ge¬
schaffen, die das Volk im katholischen Sinne
aufklärte. Meine Wenigkeit ist ein Pröbchen
vom Erfolg dieser Aufklärungsarbeit. Mein
Vater war ein evangelischer Buchbinder, der
katholische Pfarrer sein bester Kunde, und
meine katholische Mutter sorgte dafür, daß ich
im Alter von zwölf bis vierzehn Jahren alle
diese katholischen Sachen zu lesen bekam. So
bin ich damals katholisch geworden. Die Feind¬
schaft der Konfesstonen und der Weltanschau¬
ungen erklärt es, daß der Anteil der Katho¬
liken an dem Politischen Ringen jener Zeit
in der dominierenden Literatur unbeachtet
bleibt und Görres höchstens als „der tolle
Görres, der anfängliche Revolutionär und
spätere Ultramontane" erwähnt wird, obgleich
er, wie Bachem richtig ausführt, der erste
deutsche Publizist großen Stils gewesen ist
und sein Freiheitsideal nicht das französisch-
jakobinische, sondern das mit der Monarchie
wohlverträgliche altgermanische war. Dem
Umschlage des ersten Jahrgangs des Rhei¬
nischen Merkur gab er die taciteische Aufschrift:
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[0195] Maßgebliches und Unmaßgebliches gleich ein Versuch der Geschichte der katholischen Presse und ein Beitrag zur Entwicklung der katholischen Bewegung in Deutschland. Von Karl Bachen», Dr. jur. ner. Erster Band (bis 1848). Köln, I: P. Bachem, 1912. - LKaeun a les äökemts as ses quslitös, Die Kehrseite der altpreußischen Tüchtigkeit, die Unfähigkeit, moralische Eroberungen zu machen, hat mancherlei weltgeschichtliche Folgen gehabt, und es ist keine Übertreibung, wenn man die Macht des Zentrums auf sie zurückführt. Der freundliche Ton der Proklamation, die Friedrich Wilhelm der Dritte am 6. April 1815,, an die Einwohner der mit der Preußischen Monarchie vereinigten Rheinlande" richtete, gewann die Herzen, aber das preußische Regiment stieß sie zurück durch den unbegründeten Zweifel an ihrer Loyalität, den Verdacht der Hin¬ neigung zu Frankreich, durch schulmeisterliche Bevormundung, bärbeißige, grämliche Be¬ kämpfung der Gewohnheiten und Lustbarkeiten einer fröhlichen Bevölkerung, und durch grobe Behandlung der gebildeten Bürgerschaft. Als dann vollends das Versprechen, die vorgefun¬ denen Beamten im Besitz ihrer Posten und im Genuß ihrer Einkünfte zu lassen, durch engherzige Auslegung unwirksam gemacht wurde, schlug die anfangs so günstige Stimmung sichtbar um. Görres schrieb: „Die Eintracht, die glücklich Wurzeln geschlagen, ist zerstört; längst besänftigte Leidenschaften und Abneigungen sind wieder aufgewacht, und jeder Tag sieht die Kluft größer werden, die verwandte, jetzt unter einem gerechten, wohl¬ wollenden Fürsten eng verbundenen Stämme voneinander trennt." Die Mißstimmung ergriff die evangelische Minderheit so gut wie die katholische Mehrheit, aber dieser wurde sehr bald noch weiterer Grund zu Beschwerden geliefert, da dem Nachwuchs ihrer mittleren und höheren Stände jede Aussicht auf Ver¬ sorgung im Staatsdienste geraubt wurde, und die aus Altpreußen eingewanderten Beamten Kristallisationspunktc für die Gründung neuer evangelischer Kirchgemeinden bildeten, die sich kräftiger Förderung von oben erfreuten. Was jedoch am meisten erbitterte, das war der Maulkorb. Keine Möglichkeit, öffentlich Be¬ schwerden auszusprechen bei der damaligen Knebelung der Presse I Von den Iensurstüclchen, die Bachem mitteilt, sei nur eins erwähnt. das zwar mit den Schmerzen der Rheinländer nichts zu schaffen hat, dafür aber die Geistes¬ höhe der Behörden, die das Geistesleben der Nation in die rechte Bahn leiten sollten, sehr hübsch beleuchtet. Die Kölnische Zeitung be¬ kam eine Anzeige der Übersetzung der „Gött¬ lichen Komödie" von Philalethes (bekanntlich Pseudonym des Königs Johann von Sachsen); diese strich der Zensor, Polizeirat Doleschall, mit der Begründung: mit göttlichen Dingen dürfe nicht Komödie getrieben werden. Und nun gar die Katholiken I Alle ihre Bemühungen um Konzessionen für Zeitungen und Wochen¬ blätter blieben vergeblich, und außerhalb Preußens erscheinende katholische Zeitschriften, wie die Historisch-Politischen Blätter wurden verboten. Darum standen die rheinischen Katholiken in der Vorderston Reihe in dem Kampfe um Preßfreiheit und eine Verfassung. Sobald beides 1848 errungen war, fanden die nun vor sich gehenden Zeitungsgründungen Wohl vorbereiteten Boden. Denn während die protestantischen Freiheitskämpen meistens Kirchenfeinde waren, hatten auf katholischem Boden Geistliche und Laien in einmütigem Zusammenwirken eine reiche Erbauungs-, Unterhaltungs- und Streitschriftenliteratur ge¬ schaffen, die das Volk im katholischen Sinne aufklärte. Meine Wenigkeit ist ein Pröbchen vom Erfolg dieser Aufklärungsarbeit. Mein Vater war ein evangelischer Buchbinder, der katholische Pfarrer sein bester Kunde, und meine katholische Mutter sorgte dafür, daß ich im Alter von zwölf bis vierzehn Jahren alle diese katholischen Sachen zu lesen bekam. So bin ich damals katholisch geworden. Die Feind¬ schaft der Konfesstonen und der Weltanschau¬ ungen erklärt es, daß der Anteil der Katho¬ liken an dem Politischen Ringen jener Zeit in der dominierenden Literatur unbeachtet bleibt und Görres höchstens als „der tolle Görres, der anfängliche Revolutionär und spätere Ultramontane" erwähnt wird, obgleich er, wie Bachem richtig ausführt, der erste deutsche Publizist großen Stils gewesen ist und sein Freiheitsideal nicht das französisch- jakobinische, sondern das mit der Monarchie wohlverträgliche altgermanische war. Dem Umschlage des ersten Jahrgangs des Rhei¬ nischen Merkur gab er die taciteische Aufschrift: Oe minoribus rebus Principes consultant

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/195>, abgerufen am 15.01.2025.