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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Die See in der plattdeutschen Lyrik

Diese elementaren und symbolischen Beziehungen der See zu den Schicksalen
des menschlichen Herzens finden sich noch zahlreicher als bei Groth bei älteren
und jüngeren friesischen, besonders ostfriesischen Dichtern wieder. Überhaupt hat
Ostfriesland eine garnicht unbedeutende plattdeutsche Lyrik hervorgebracht,
während sich unter den Schleswig-holsteinischen Hallig-, Insel- und Küstenfriesen
eine solche nicht entwickelte, jedenfalls weil hier, im Gegensatz zu Ostfriesland,
das Plattdeutsche das Friesische als Volks- und Verkehrssprache noch nicht hat
verdrängen können. Auch dort tritt die See wiederholt als Zerstörerin des
Liebesglückes auf, um so grausamer, wenn für die Geliebte ein Gretchenschicksal
hinzukommt:

De Planken triefen an d' Dick,
De Planken triefen an d' gröne Dick,
Dar steil 'n junk, junk Wicht (Mädchen).
Water um Wind,
Urner 't Hart is 'n Kind.
Micr Jung is vertrunken, vertrunken is see,
Micr Otter in 't Karkhoff, mien Jung in de See,
Geer Vader vor mien Kind.
De Köster hielt de Klok,
De Köster hielt de Dodenklvk,
Wal (Wohl) over 'n swart, swart Grase.
Eerde un Sand,
'n Paar Planken in d' Kant.
Un unrer un boven 'n Paar Planken swartbunt (schwarz-weiß)
Mit d' Jung in de See erst, mit d' Otter in d' Grund
Un naht hör lütjet Kind.

singt mit etwas sentimentalen Unterton der unglückliche Harbert Harberts.

Den gleichen volkstümlichen Ton trifft auch der ältere poetisch hochbegabte
Fooke Hoissen Müller, wenn er für den letzten Gruß des im Meere versunkenen
Geliebten die Schwalbenbotschaft wählt:

Schwaalkes, teco' Schwaalkes,
seggt, wat verteilt ji jo? --
"Wi logen wer um, dat Schipp stürbe Noort,
sieu beste Matrose full över Boord:
.Leeve Schwaalkes, do et de Wind tovör
Un bringt mien letzte goode Nacht to hör
In Dunkeln under de Boon.'"

Solche natürlichen und einfachen Grundmotive, die zwanglos aus der
Seele des niederdeutschen Volks quellen, sind selbstverständlich der gegebene
Stoff für seine Dichter, und es ist zu beklagen, daß so vorzügliche Talente wie
beispielsweise Müller und Harberts, denen sich noch manche anreihen ließen,


Die See in der plattdeutschen Lyrik

Diese elementaren und symbolischen Beziehungen der See zu den Schicksalen
des menschlichen Herzens finden sich noch zahlreicher als bei Groth bei älteren
und jüngeren friesischen, besonders ostfriesischen Dichtern wieder. Überhaupt hat
Ostfriesland eine garnicht unbedeutende plattdeutsche Lyrik hervorgebracht,
während sich unter den Schleswig-holsteinischen Hallig-, Insel- und Küstenfriesen
eine solche nicht entwickelte, jedenfalls weil hier, im Gegensatz zu Ostfriesland,
das Plattdeutsche das Friesische als Volks- und Verkehrssprache noch nicht hat
verdrängen können. Auch dort tritt die See wiederholt als Zerstörerin des
Liebesglückes auf, um so grausamer, wenn für die Geliebte ein Gretchenschicksal
hinzukommt:

De Planken triefen an d' Dick,
De Planken triefen an d' gröne Dick,
Dar steil 'n junk, junk Wicht (Mädchen).
Water um Wind,
Urner 't Hart is 'n Kind.
Micr Jung is vertrunken, vertrunken is see,
Micr Otter in 't Karkhoff, mien Jung in de See,
Geer Vader vor mien Kind.
De Köster hielt de Klok,
De Köster hielt de Dodenklvk,
Wal (Wohl) over 'n swart, swart Grase.
Eerde un Sand,
'n Paar Planken in d' Kant.
Un unrer un boven 'n Paar Planken swartbunt (schwarz-weiß)
Mit d' Jung in de See erst, mit d' Otter in d' Grund
Un naht hör lütjet Kind.

singt mit etwas sentimentalen Unterton der unglückliche Harbert Harberts.

Den gleichen volkstümlichen Ton trifft auch der ältere poetisch hochbegabte
Fooke Hoissen Müller, wenn er für den letzten Gruß des im Meere versunkenen
Geliebten die Schwalbenbotschaft wählt:

Schwaalkes, teco' Schwaalkes,
seggt, wat verteilt ji jo? —
„Wi logen wer um, dat Schipp stürbe Noort,
sieu beste Matrose full över Boord:
.Leeve Schwaalkes, do et de Wind tovör
Un bringt mien letzte goode Nacht to hör
In Dunkeln under de Boon.'"

Solche natürlichen und einfachen Grundmotive, die zwanglos aus der
Seele des niederdeutschen Volks quellen, sind selbstverständlich der gegebene
Stoff für seine Dichter, und es ist zu beklagen, daß so vorzügliche Talente wie
beispielsweise Müller und Harberts, denen sich noch manche anreihen ließen,


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[0190] Die See in der plattdeutschen Lyrik Diese elementaren und symbolischen Beziehungen der See zu den Schicksalen des menschlichen Herzens finden sich noch zahlreicher als bei Groth bei älteren und jüngeren friesischen, besonders ostfriesischen Dichtern wieder. Überhaupt hat Ostfriesland eine garnicht unbedeutende plattdeutsche Lyrik hervorgebracht, während sich unter den Schleswig-holsteinischen Hallig-, Insel- und Küstenfriesen eine solche nicht entwickelte, jedenfalls weil hier, im Gegensatz zu Ostfriesland, das Plattdeutsche das Friesische als Volks- und Verkehrssprache noch nicht hat verdrängen können. Auch dort tritt die See wiederholt als Zerstörerin des Liebesglückes auf, um so grausamer, wenn für die Geliebte ein Gretchenschicksal hinzukommt: De Planken triefen an d' Dick, De Planken triefen an d' gröne Dick, Dar steil 'n junk, junk Wicht (Mädchen). Water um Wind, Urner 't Hart is 'n Kind. Micr Jung is vertrunken, vertrunken is see, Micr Otter in 't Karkhoff, mien Jung in de See, Geer Vader vor mien Kind. De Köster hielt de Klok, De Köster hielt de Dodenklvk, Wal (Wohl) over 'n swart, swart Grase. Eerde un Sand, 'n Paar Planken in d' Kant. Un unrer un boven 'n Paar Planken swartbunt (schwarz-weiß) Mit d' Jung in de See erst, mit d' Otter in d' Grund Un naht hör lütjet Kind. singt mit etwas sentimentalen Unterton der unglückliche Harbert Harberts. Den gleichen volkstümlichen Ton trifft auch der ältere poetisch hochbegabte Fooke Hoissen Müller, wenn er für den letzten Gruß des im Meere versunkenen Geliebten die Schwalbenbotschaft wählt: Schwaalkes, teco' Schwaalkes, seggt, wat verteilt ji jo? — „Wi logen wer um, dat Schipp stürbe Noort, sieu beste Matrose full över Boord: .Leeve Schwaalkes, do et de Wind tovör Un bringt mien letzte goode Nacht to hör In Dunkeln under de Boon.'" Solche natürlichen und einfachen Grundmotive, die zwanglos aus der Seele des niederdeutschen Volks quellen, sind selbstverständlich der gegebene Stoff für seine Dichter, und es ist zu beklagen, daß so vorzügliche Talente wie beispielsweise Müller und Harberts, denen sich noch manche anreihen ließen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/190>, abgerufen am 15.01.2025.