Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die See in der plattdeutschen Lyrik
"Holt up, Gesellen, un drinkt nich nec,
Dor lvpen dre Schepen in de See,
Beiname mit Hambörger Knechten:
Wen de uns kamen an Schipsboort
Den moot wi Walker fechten."
Se broggen Bussen und Pieken heruut,
Se Schoten wol mit Loot un Kruuk,
Dat 't wiet un fiel het klungen:
Do is so mennig Stolle Held
sieu Hart in Stükken sprungen.

Schiffsbeutegierig, strandbeutegierig waren die Friesen von je bis auf diese
Tage, vor allem die Snlter und die Helgolander. Die Blicke, mit denen ihre
Vorfahren durch Schaum und Brandung antreibenden Fahrzeugen entgegen¬
sahen, haben entschieden unserem heutigen Humanitätsgefühl nicht entsprochen,
sondern wünschten etwas ganz anderes. Etwas von der unheilvollen Kraft
dieses Blickes spricht aus des friesischen Dichters Fooke Hoissen Müllers Ballade
"Kork Helgos Oog" zu uns, obwohl es sich im übrigen darin nicht um Strand¬
beute handelt:

Ein Nachfahr Störtebekers und nicht minder frecher Plünderer Hamburger
Schiffe war Klaus Kniphoff, eine der poetischen Verherrlichung unbedingt würdige
Piratenfigur, denn als er nach dem Grasbrook geführt wurde, um dem Amts¬
nachfolger des berühmten Rosenfeld übergeben zu werden, weinten alle zuschauenden
Frauen und Mädchen aus Jammer über das allzufrüh dem Scharfrichter ver¬
fallene schöne junge Blut. Ein junger Hamburgischer Dichter, Gorch Font, hat
das von den Zeitgenossen anscheinend Versäumte nachgeholt und Kniphoffs Taten
und Schicksal ein dem Lüpkesschen Störtebekerliede ähnliches plattdeutsches Denkmal
gesetzt:

Burgen hat es an der Wasserkante nicht gegeben, außer in Ostfriesland,
an den Häuptlingssitzen, und das waren poesielose Steinlasten, keine Rittersitze
mit Reuter usw. Das, was man romantisch nennt, hat also auch in den
Menschen Plattdeutschlands mit ihrer vorwiegend auf die Realität der Dinge
gerichteten Sinnesart und der besonders den Dithmarschen und Friesen eigen-


Die See in der plattdeutschen Lyrik
„Holt up, Gesellen, un drinkt nich nec,
Dor lvpen dre Schepen in de See,
Beiname mit Hambörger Knechten:
Wen de uns kamen an Schipsboort
Den moot wi Walker fechten."
Se broggen Bussen und Pieken heruut,
Se Schoten wol mit Loot un Kruuk,
Dat 't wiet un fiel het klungen:
Do is so mennig Stolle Held
sieu Hart in Stükken sprungen.

Schiffsbeutegierig, strandbeutegierig waren die Friesen von je bis auf diese
Tage, vor allem die Snlter und die Helgolander. Die Blicke, mit denen ihre
Vorfahren durch Schaum und Brandung antreibenden Fahrzeugen entgegen¬
sahen, haben entschieden unserem heutigen Humanitätsgefühl nicht entsprochen,
sondern wünschten etwas ganz anderes. Etwas von der unheilvollen Kraft
dieses Blickes spricht aus des friesischen Dichters Fooke Hoissen Müllers Ballade
„Kork Helgos Oog" zu uns, obwohl es sich im übrigen darin nicht um Strand¬
beute handelt:

Ein Nachfahr Störtebekers und nicht minder frecher Plünderer Hamburger
Schiffe war Klaus Kniphoff, eine der poetischen Verherrlichung unbedingt würdige
Piratenfigur, denn als er nach dem Grasbrook geführt wurde, um dem Amts¬
nachfolger des berühmten Rosenfeld übergeben zu werden, weinten alle zuschauenden
Frauen und Mädchen aus Jammer über das allzufrüh dem Scharfrichter ver¬
fallene schöne junge Blut. Ein junger Hamburgischer Dichter, Gorch Font, hat
das von den Zeitgenossen anscheinend Versäumte nachgeholt und Kniphoffs Taten
und Schicksal ein dem Lüpkesschen Störtebekerliede ähnliches plattdeutsches Denkmal
gesetzt:

Burgen hat es an der Wasserkante nicht gegeben, außer in Ostfriesland,
an den Häuptlingssitzen, und das waren poesielose Steinlasten, keine Rittersitze
mit Reuter usw. Das, was man romantisch nennt, hat also auch in den
Menschen Plattdeutschlands mit ihrer vorwiegend auf die Realität der Dinge
gerichteten Sinnesart und der besonders den Dithmarschen und Friesen eigen-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0187" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322589"/>
          <fw type="header" place="top"> Die See in der plattdeutschen Lyrik</fw><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_17" type="poem">
            <l> &#x201E;Holt up, Gesellen, un drinkt nich nec,<lb/>
Dor lvpen dre Schepen in de See,<lb/>
Beiname mit Hambörger Knechten:<lb/>
Wen de uns kamen an Schipsboort<lb/>
Den moot wi Walker fechten."</l>
            <l> Se broggen Bussen und Pieken heruut,<lb/>
Se Schoten wol mit Loot un Kruuk,<lb/>
Dat 't wiet un fiel het klungen:<lb/>
Do is so mennig Stolle Held<lb/>
sieu Hart in Stükken sprungen.</l>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_885"> Schiffsbeutegierig, strandbeutegierig waren die Friesen von je bis auf diese<lb/>
Tage, vor allem die Snlter und die Helgolander. Die Blicke, mit denen ihre<lb/>
Vorfahren durch Schaum und Brandung antreibenden Fahrzeugen entgegen¬<lb/>
sahen, haben entschieden unserem heutigen Humanitätsgefühl nicht entsprochen,<lb/>
sondern wünschten etwas ganz anderes. Etwas von der unheilvollen Kraft<lb/>
dieses Blickes spricht aus des friesischen Dichters Fooke Hoissen Müllers Ballade<lb/>
&#x201E;Kork Helgos Oog" zu uns, obwohl es sich im übrigen darin nicht um Strand¬<lb/>
beute handelt:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_18" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_886"> Ein Nachfahr Störtebekers und nicht minder frecher Plünderer Hamburger<lb/>
Schiffe war Klaus Kniphoff, eine der poetischen Verherrlichung unbedingt würdige<lb/>
Piratenfigur, denn als er nach dem Grasbrook geführt wurde, um dem Amts¬<lb/>
nachfolger des berühmten Rosenfeld übergeben zu werden, weinten alle zuschauenden<lb/>
Frauen und Mädchen aus Jammer über das allzufrüh dem Scharfrichter ver¬<lb/>
fallene schöne junge Blut. Ein junger Hamburgischer Dichter, Gorch Font, hat<lb/>
das von den Zeitgenossen anscheinend Versäumte nachgeholt und Kniphoffs Taten<lb/>
und Schicksal ein dem Lüpkesschen Störtebekerliede ähnliches plattdeutsches Denkmal<lb/>
gesetzt:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_19" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_887" next="#ID_888"> Burgen hat es an der Wasserkante nicht gegeben, außer in Ostfriesland,<lb/>
an den Häuptlingssitzen, und das waren poesielose Steinlasten, keine Rittersitze<lb/>
mit Reuter usw. Das, was man romantisch nennt, hat also auch in den<lb/>
Menschen Plattdeutschlands mit ihrer vorwiegend auf die Realität der Dinge<lb/>
gerichteten Sinnesart und der besonders den Dithmarschen und Friesen eigen-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0187] Die See in der plattdeutschen Lyrik „Holt up, Gesellen, un drinkt nich nec, Dor lvpen dre Schepen in de See, Beiname mit Hambörger Knechten: Wen de uns kamen an Schipsboort Den moot wi Walker fechten." Se broggen Bussen und Pieken heruut, Se Schoten wol mit Loot un Kruuk, Dat 't wiet un fiel het klungen: Do is so mennig Stolle Held sieu Hart in Stükken sprungen. Schiffsbeutegierig, strandbeutegierig waren die Friesen von je bis auf diese Tage, vor allem die Snlter und die Helgolander. Die Blicke, mit denen ihre Vorfahren durch Schaum und Brandung antreibenden Fahrzeugen entgegen¬ sahen, haben entschieden unserem heutigen Humanitätsgefühl nicht entsprochen, sondern wünschten etwas ganz anderes. Etwas von der unheilvollen Kraft dieses Blickes spricht aus des friesischen Dichters Fooke Hoissen Müllers Ballade „Kork Helgos Oog" zu uns, obwohl es sich im übrigen darin nicht um Strand¬ beute handelt: Ein Nachfahr Störtebekers und nicht minder frecher Plünderer Hamburger Schiffe war Klaus Kniphoff, eine der poetischen Verherrlichung unbedingt würdige Piratenfigur, denn als er nach dem Grasbrook geführt wurde, um dem Amts¬ nachfolger des berühmten Rosenfeld übergeben zu werden, weinten alle zuschauenden Frauen und Mädchen aus Jammer über das allzufrüh dem Scharfrichter ver¬ fallene schöne junge Blut. Ein junger Hamburgischer Dichter, Gorch Font, hat das von den Zeitgenossen anscheinend Versäumte nachgeholt und Kniphoffs Taten und Schicksal ein dem Lüpkesschen Störtebekerliede ähnliches plattdeutsches Denkmal gesetzt: Burgen hat es an der Wasserkante nicht gegeben, außer in Ostfriesland, an den Häuptlingssitzen, und das waren poesielose Steinlasten, keine Rittersitze mit Reuter usw. Das, was man romantisch nennt, hat also auch in den Menschen Plattdeutschlands mit ihrer vorwiegend auf die Realität der Dinge gerichteten Sinnesart und der besonders den Dithmarschen und Friesen eigen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/187
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/187>, abgerufen am 15.01.2025.