Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Karl Salzer ließen ihn das Dienstverhältnis gar nicht fühlen und waren zu ihm wie zu Anfangs hatte er jeden der beiden Brüder "Vetter Holtner" gerufen. Da Als die Schwester der beiden das hörte, meinte sie, wenn das mit den Das war ja nun dem Karl ein bißchen schwer geworden, weil er eigentlich Tante Seelchen wohnte jetzt in Pfeddersheim und arbeitete in der Konserven¬ Karl hatte ihr wirklich das Möbel, das ihr gehörte, herüberfahren dürfen Und ein schöner Weg ist das. Am schönsten wird er, wenn man einmal das Zu Füßen der Anhöhe, über die sie hinwegläuft, liegt der zu dem alten Karl Salzer ließen ihn das Dienstverhältnis gar nicht fühlen und waren zu ihm wie zu Anfangs hatte er jeden der beiden Brüder „Vetter Holtner" gerufen. Da Als die Schwester der beiden das hörte, meinte sie, wenn das mit den Das war ja nun dem Karl ein bißchen schwer geworden, weil er eigentlich Tante Seelchen wohnte jetzt in Pfeddersheim und arbeitete in der Konserven¬ Karl hatte ihr wirklich das Möbel, das ihr gehörte, herüberfahren dürfen Und ein schöner Weg ist das. Am schönsten wird er, wenn man einmal das Zu Füßen der Anhöhe, über die sie hinwegläuft, liegt der zu dem alten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0183" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322585"/> <fw type="header" place="top"> Karl Salzer</fw><lb/> <p xml:id="ID_867" prev="#ID_866"> ließen ihn das Dienstverhältnis gar nicht fühlen und waren zu ihm wie zu<lb/> ihrem Kinde.</p><lb/> <p xml:id="ID_868"> Anfangs hatte er jeden der beiden Brüder „Vetter Holtner" gerufen. Da<lb/> waren aber stets Verwechslungen vorgekommen. Der Hannes wußte nicht, ob er<lb/> oder sein Bruder gemeint war, und auch der Vinzenz mußte den Burschen immer<lb/> erst fragen, ob er von ihm oder dem Hannes etwas wolle. Auf einmal sagte der<lb/> Hannes, nun habe er sich gerade genug über diesen „Kuddelmuddel" geärgert, der<lb/> Karl solle zu ihm von jetzt ab Unkel Hannes und zu seinem Bruder Unkel Vinzenz<lb/> sagen. Das geschah aber auch deshalb, weil sie den Jungen recht lieb ge¬<lb/> wonnen hatten.</p><lb/> <p xml:id="ID_869"> Als die Schwester der beiden das hörte, meinte sie, wenn das mit den<lb/> Unkeln so in seiner Richtigkeit wäre, dann könnte der Karl zu ihr doch auch<lb/> Tante Male rufen.</p><lb/> <p xml:id="ID_870"> Das war ja nun dem Karl ein bißchen schwer geworden, weil er eigentlich<lb/> zu niemand anders als zu seiner wirklichen Tante, zu seiner Mutter Schwester,<lb/> Tante sagen wollte. Aber die Male war, richtig betrachtet, fast gerade so gut zu<lb/> ihm wie Tante Seelchen. Wenn sie morgens ins Feld fuhren, steckte sie ihm<lb/> immer rasch noch etwas Besonderes zu, ein paar saftige süße Birnen, eine Tasche<lb/> voll Frühzwetschcn und dergleichen mehr. Darum entschloß der Bursche sich doch,<lb/> Tante Male zu rufen. Aber gleichzeitig nahm er sich vor, dabei stets auch an<lb/> Tante Seelchen zu denken.</p><lb/> <p xml:id="ID_871"> Tante Seelchen wohnte jetzt in Pfeddersheim und arbeitete in der Konserven¬<lb/> fabrik. Es gefiel ihr ganz gut. Anfangs störte es sie ein wenig, daß dort gar<lb/> so viele Protestanten wohnen, während in Spelzheim die Katholiken überwiegen.<lb/> Aber sie gewöhnte sich daran und war bald so weit, daß sie nicht immer, wenn<lb/> sie mit jemand, den sie noch nicht näher kannte, sprach, sich heimlich fragen mußte:<lb/> ist der nun katholisch oder evangelisch?</p><lb/> <p xml:id="ID_872"> Karl hatte ihr wirklich das Möbel, das ihr gehörte, herüberfahren dürfen<lb/> und kam nun alle Sonntage nach dem Mittagessen zu ihr, blieb bei ihr bis zum<lb/> Nachtessen und machte sich dann über Kneisenheim wieder auf den Heimweg.</p><lb/> <p xml:id="ID_873"> Und ein schöner Weg ist das. Am schönsten wird er, wenn man einmal das<lb/> im Tale liegende Kneisenheim verlassen hat und auf der Anhöhe ist, von der aus<lb/> die Straße schnurgerade nach Spelzheim hinunterläuft. Sonst sind ja so schnur¬<lb/> gerade Straßen sehr langweilig. Aber die Kneisenheimer Chaussee ist es deshalb<lb/> nicht, weil man von ihr aus gar hübsche Aussicht genießen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_874"> Zu Füßen der Anhöhe, über die sie hinwegläuft, liegt der zu dem alten<lb/> Schlosse der Herzoge von Dalberg gehörende große Park. Und in sein grünes<lb/> Wipfelmeer schaut man da hinein. Wie eine Insel lugt daraus hervor der spitz-<lb/> haubige Turm mit dem weit ausladenden Storchennest darauf. Gar häufig kreisen<lb/> die Störche über dem Park und lassen sich klappernd in ihr Nest nieder. Oder<lb/> sie fliegen hinaus in die Klauern, das in einiger Entfernung vom Dorfe liegende<lb/> Waldgebiet, in dessen Sümpfen die roten Langbeine sich Frösche fangen. Auf<lb/> dem Rückwege ruhen sie sich meist auf dem Kirchdache noch einmal aus, das mit<lb/> dem Glockentürme links vom Pariser Tor über die Wipfellinie des Schloßgartens<lb/> ragt. Wenn Karl das von der Kneisenheimer Chaussee aus beobachtet, fallen ihm<lb/> alle Storchensprüchelchen ein, die er als kleiner Bub dem Vogel zugeschrien hat.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0183]
Karl Salzer
ließen ihn das Dienstverhältnis gar nicht fühlen und waren zu ihm wie zu
ihrem Kinde.
Anfangs hatte er jeden der beiden Brüder „Vetter Holtner" gerufen. Da
waren aber stets Verwechslungen vorgekommen. Der Hannes wußte nicht, ob er
oder sein Bruder gemeint war, und auch der Vinzenz mußte den Burschen immer
erst fragen, ob er von ihm oder dem Hannes etwas wolle. Auf einmal sagte der
Hannes, nun habe er sich gerade genug über diesen „Kuddelmuddel" geärgert, der
Karl solle zu ihm von jetzt ab Unkel Hannes und zu seinem Bruder Unkel Vinzenz
sagen. Das geschah aber auch deshalb, weil sie den Jungen recht lieb ge¬
wonnen hatten.
Als die Schwester der beiden das hörte, meinte sie, wenn das mit den
Unkeln so in seiner Richtigkeit wäre, dann könnte der Karl zu ihr doch auch
Tante Male rufen.
Das war ja nun dem Karl ein bißchen schwer geworden, weil er eigentlich
zu niemand anders als zu seiner wirklichen Tante, zu seiner Mutter Schwester,
Tante sagen wollte. Aber die Male war, richtig betrachtet, fast gerade so gut zu
ihm wie Tante Seelchen. Wenn sie morgens ins Feld fuhren, steckte sie ihm
immer rasch noch etwas Besonderes zu, ein paar saftige süße Birnen, eine Tasche
voll Frühzwetschcn und dergleichen mehr. Darum entschloß der Bursche sich doch,
Tante Male zu rufen. Aber gleichzeitig nahm er sich vor, dabei stets auch an
Tante Seelchen zu denken.
Tante Seelchen wohnte jetzt in Pfeddersheim und arbeitete in der Konserven¬
fabrik. Es gefiel ihr ganz gut. Anfangs störte es sie ein wenig, daß dort gar
so viele Protestanten wohnen, während in Spelzheim die Katholiken überwiegen.
Aber sie gewöhnte sich daran und war bald so weit, daß sie nicht immer, wenn
sie mit jemand, den sie noch nicht näher kannte, sprach, sich heimlich fragen mußte:
ist der nun katholisch oder evangelisch?
Karl hatte ihr wirklich das Möbel, das ihr gehörte, herüberfahren dürfen
und kam nun alle Sonntage nach dem Mittagessen zu ihr, blieb bei ihr bis zum
Nachtessen und machte sich dann über Kneisenheim wieder auf den Heimweg.
Und ein schöner Weg ist das. Am schönsten wird er, wenn man einmal das
im Tale liegende Kneisenheim verlassen hat und auf der Anhöhe ist, von der aus
die Straße schnurgerade nach Spelzheim hinunterläuft. Sonst sind ja so schnur¬
gerade Straßen sehr langweilig. Aber die Kneisenheimer Chaussee ist es deshalb
nicht, weil man von ihr aus gar hübsche Aussicht genießen kann.
Zu Füßen der Anhöhe, über die sie hinwegläuft, liegt der zu dem alten
Schlosse der Herzoge von Dalberg gehörende große Park. Und in sein grünes
Wipfelmeer schaut man da hinein. Wie eine Insel lugt daraus hervor der spitz-
haubige Turm mit dem weit ausladenden Storchennest darauf. Gar häufig kreisen
die Störche über dem Park und lassen sich klappernd in ihr Nest nieder. Oder
sie fliegen hinaus in die Klauern, das in einiger Entfernung vom Dorfe liegende
Waldgebiet, in dessen Sümpfen die roten Langbeine sich Frösche fangen. Auf
dem Rückwege ruhen sie sich meist auf dem Kirchdache noch einmal aus, das mit
dem Glockentürme links vom Pariser Tor über die Wipfellinie des Schloßgartens
ragt. Wenn Karl das von der Kneisenheimer Chaussee aus beobachtet, fallen ihm
alle Storchensprüchelchen ein, die er als kleiner Bub dem Vogel zugeschrien hat.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |