Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Kcirl Salzer Und als er zu ihr heimkommt, setzt er sich auf ihren Schoß und läßt sich "So ist es schön, Tante Seelchen, aber heut ist es das letzte Malt" 9. Der Abschied war überstanden. Obwohl Karl, wie er es seiner Tante mehr als hundertmal versicherte, sehr Er hätte auch gerne noch einmal mit dem Vorschlaghammer auf den Amboß Und so ganz zuletzt hatte Karl noch einmal sehr tief geseufzt und war dann Doch das ist jetzt vorbei, und die Gewohnheit will sich schon wieder ein¬ Karl steht jetzt morgens um vier auf. Seine Stube liegt über dem Pferdestall, Über dem Bette hängt zu Häupten ein kleines Kreuz, an der Lüngswand Vierzehn Tage war er nun schon in seinem neuen Dienst. Eigentlich mußte Kcirl Salzer Und als er zu ihr heimkommt, setzt er sich auf ihren Schoß und läßt sich „So ist es schön, Tante Seelchen, aber heut ist es das letzte Malt" 9. Der Abschied war überstanden. Obwohl Karl, wie er es seiner Tante mehr als hundertmal versicherte, sehr Er hätte auch gerne noch einmal mit dem Vorschlaghammer auf den Amboß Und so ganz zuletzt hatte Karl noch einmal sehr tief geseufzt und war dann Doch das ist jetzt vorbei, und die Gewohnheit will sich schon wieder ein¬ Karl steht jetzt morgens um vier auf. Seine Stube liegt über dem Pferdestall, Über dem Bette hängt zu Häupten ein kleines Kreuz, an der Lüngswand Vierzehn Tage war er nun schon in seinem neuen Dienst. Eigentlich mußte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0182" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322584"/> <fw type="header" place="top"> Kcirl Salzer</fw><lb/> <p xml:id="ID_857"> Und als er zu ihr heimkommt, setzt er sich auf ihren Schoß und läßt sich<lb/> hätscheln wie ein kleines Kind. Und da er ganz willenlos ist, zieht die Jungfer<lb/> ihn aus und bringt ihn ins Bett, setzt sich zu ihm auf den Bettrand und<lb/> streichelt ihm die Wangen und das Haar. Da wird es friedlich in seiner Seele,<lb/> und er sagt:</p><lb/> <p xml:id="ID_858"> „So ist es schön, Tante Seelchen, aber heut ist es das letzte Malt"</p><lb/> <div n="2"> <head> 9.</head><lb/> <p xml:id="ID_859"> Der Abschied war überstanden.</p><lb/> <p xml:id="ID_860"> Obwohl Karl, wie er es seiner Tante mehr als hundertmal versicherte, sehr<lb/> gern zu Vetter Holtner ging, so kehrte er doch auch am Tor noch mehr als zehnmal<lb/> wieder um und hatte ihr noch dieses und jenes zu sagen, als ob sie sich im Leben<lb/> nie mehr wiedersahen.</p><lb/> <p xml:id="ID_861"> Er hätte auch gerne noch einmal mit dem Vorschlaghammer auf den Amboß<lb/> gehauen, daß es mächtig geklungen hätte, aber die Werkstättetür war ja versiegelt.<lb/> Schließlich hätte er ja auch das Fenster eindrücken können, aber Tante Seelchen<lb/> hatte ihm abgeraten. Man könne ihm das als Siegelverletzung auslegen, und<lb/> dann müsse er am Ende ins „Knechen"; das Gericht verstehe keinen Spaß.</p><lb/> <p xml:id="ID_862"> Und so ganz zuletzt hatte Karl noch einmal sehr tief geseufzt und war dann<lb/> wirklich gegangen. Im neuen Heim aber hatte er dann tagelang sein schweres<lb/> Herz herumgetragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_863"> Doch das ist jetzt vorbei, und die Gewohnheit will sich schon wieder ein¬<lb/> stellen; die Gewohnheit, die ja den Menschen schließlich auch zur Maschine machen<lb/> kann, die aber auch ein gutes Seelenpflaster ist, unter dem die Wunden verharschen.</p><lb/> <p xml:id="ID_864"> Karl steht jetzt morgens um vier auf. Seine Stube liegt über dem Pferdestall,<lb/> in dem drei kräftige Ackergäule stehen. Vom Stalle aus gelangt man auf einer<lb/> Leiter durch eine Luke in das Stübchen. Es ist frisch getüncht worden; die Decke<lb/> weiß, die Wände rosa mit einem grünen Strich oben herum. Und darin steht ein<lb/> Bett, ein Stuhl, ein Tisch, ein Waschgestell, ein Kleiderschrank und ein Stiefel¬<lb/> knecht. An der Wand über dem Waschgestell hängt der Kammkasten und darüber<lb/> der Spiegel, gerade so groß, daß man den Kopf und den Hals darin sehen kann,<lb/> um das Haar schön kämmen und Sonntagsmorgens sehen zu können, wie der<lb/> Schlips sitzt. Werktags bindet der Bauer keinen Kragen um.</p><lb/> <p xml:id="ID_865"> Über dem Bette hängt zu Häupten ein kleines Kreuz, an der Lüngswand<lb/> ein schreiend bunter Öldruck, die heilige Familie darstellend. Das Bett steht so,<lb/> daß dem Karl die Sonne beizeiten ins Gesicht scheinen kann, wenn sie nur am<lb/> Himmel ist und nicht von Wolken verborgen wird. Sie muß ihre goldenen<lb/> Strahlen durch zwei Fensterchen schicken, die mehr lang als hoch sind. Einen<lb/> Ofen hat das Stübchen nicht. Der Vetter Holtner hatte gesagt, einen Ofen brauche<lb/> der Karl nicht, weil seine Bude gleich über dem Gäulsstall liege. Da sei es viel<lb/> molliger als ein Ofen machen könne. Wenn es Sommers zu heiß würde, solle<lb/> er die Fenster offen lassen, und nachts brauche dann auch der oberste Flügel der<lb/> zweiteiligen Stalltür nicht geschlossen zu werden, dann ziehe es schön durch, und<lb/> der Karl schlafe luftig.</p><lb/> <p xml:id="ID_866" next="#ID_867"> Vierzehn Tage war er nun schon in seinem neuen Dienst. Eigentlich mußte<lb/> er sagen, daß er mehr zu Hause als im Dienst war. Denn die drei Geschwister</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0182]
Kcirl Salzer
Und als er zu ihr heimkommt, setzt er sich auf ihren Schoß und läßt sich
hätscheln wie ein kleines Kind. Und da er ganz willenlos ist, zieht die Jungfer
ihn aus und bringt ihn ins Bett, setzt sich zu ihm auf den Bettrand und
streichelt ihm die Wangen und das Haar. Da wird es friedlich in seiner Seele,
und er sagt:
„So ist es schön, Tante Seelchen, aber heut ist es das letzte Malt"
9.
Der Abschied war überstanden.
Obwohl Karl, wie er es seiner Tante mehr als hundertmal versicherte, sehr
gern zu Vetter Holtner ging, so kehrte er doch auch am Tor noch mehr als zehnmal
wieder um und hatte ihr noch dieses und jenes zu sagen, als ob sie sich im Leben
nie mehr wiedersahen.
Er hätte auch gerne noch einmal mit dem Vorschlaghammer auf den Amboß
gehauen, daß es mächtig geklungen hätte, aber die Werkstättetür war ja versiegelt.
Schließlich hätte er ja auch das Fenster eindrücken können, aber Tante Seelchen
hatte ihm abgeraten. Man könne ihm das als Siegelverletzung auslegen, und
dann müsse er am Ende ins „Knechen"; das Gericht verstehe keinen Spaß.
Und so ganz zuletzt hatte Karl noch einmal sehr tief geseufzt und war dann
wirklich gegangen. Im neuen Heim aber hatte er dann tagelang sein schweres
Herz herumgetragen.
Doch das ist jetzt vorbei, und die Gewohnheit will sich schon wieder ein¬
stellen; die Gewohnheit, die ja den Menschen schließlich auch zur Maschine machen
kann, die aber auch ein gutes Seelenpflaster ist, unter dem die Wunden verharschen.
Karl steht jetzt morgens um vier auf. Seine Stube liegt über dem Pferdestall,
in dem drei kräftige Ackergäule stehen. Vom Stalle aus gelangt man auf einer
Leiter durch eine Luke in das Stübchen. Es ist frisch getüncht worden; die Decke
weiß, die Wände rosa mit einem grünen Strich oben herum. Und darin steht ein
Bett, ein Stuhl, ein Tisch, ein Waschgestell, ein Kleiderschrank und ein Stiefel¬
knecht. An der Wand über dem Waschgestell hängt der Kammkasten und darüber
der Spiegel, gerade so groß, daß man den Kopf und den Hals darin sehen kann,
um das Haar schön kämmen und Sonntagsmorgens sehen zu können, wie der
Schlips sitzt. Werktags bindet der Bauer keinen Kragen um.
Über dem Bette hängt zu Häupten ein kleines Kreuz, an der Lüngswand
ein schreiend bunter Öldruck, die heilige Familie darstellend. Das Bett steht so,
daß dem Karl die Sonne beizeiten ins Gesicht scheinen kann, wenn sie nur am
Himmel ist und nicht von Wolken verborgen wird. Sie muß ihre goldenen
Strahlen durch zwei Fensterchen schicken, die mehr lang als hoch sind. Einen
Ofen hat das Stübchen nicht. Der Vetter Holtner hatte gesagt, einen Ofen brauche
der Karl nicht, weil seine Bude gleich über dem Gäulsstall liege. Da sei es viel
molliger als ein Ofen machen könne. Wenn es Sommers zu heiß würde, solle
er die Fenster offen lassen, und nachts brauche dann auch der oberste Flügel der
zweiteiligen Stalltür nicht geschlossen zu werden, dann ziehe es schön durch, und
der Karl schlafe luftig.
Vierzehn Tage war er nun schon in seinem neuen Dienst. Eigentlich mußte
er sagen, daß er mehr zu Hause als im Dienst war. Denn die drei Geschwister
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