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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Aarl Salzer

den Sarg stehen zu lassen, wenn sie ihre Ermahnungen nicht lasse. Karl aber
denkt daran, wie andere Tote begraben werden. Die Jungfer macht das Tor auf:

"Mo, geht, geht, gehet Karl means Kreuzt"

Karl nimmt das Kreuz auf und geht zum Tor hinaus. Die Viere schreiten
mit dem Sarge hinterdrein.

So wird der Schmied aus seinem Hause getragen.

Der seltsame Leichenzug bewegt sich durchs Dorf. Es läuten keine Glocken,
aber aus den Höfen klingt das Sensendengeln, und irgendwo tutet der Nacht¬
wächter elf Uhr. Der Mond steht hoch am Himmel und leuchtet dem Schmied
auf dem letzten Wege. Menschen sind keine mehr auf den Gassen, denn nur die
späten Sensendengler sind noch außer dem Bett. Wenn es ja bekannt geworden
wäre, um welche Stunde man den Selbstmörder begraben würde.. .1 Denn die
Schadenfreude tut wohl.

Es ist still. Nur hin und wieder schwirrt eine Eule, und hin und wieder
Schlusse einer der Sargträger zwischen den Zähnen hindurch eine halblaute Ver-
wünschung über die schwere Last. Sie haben ihre Not; sie stöhnen, sie ächzen.
Sie zerbeißen die Rosmarinzweige, die sie dem Brauche gemäß erhalten, zwischen
den aufeinander gepreßten Zähnen, aber sie müssen schweigen. Das ist dem Sohne
des Toten ein Trost. Seine Tränen fallen in den Gassenstaub. Wenn man da¬
nach fragen würde, so könnte er keine Auskunft geben, ob seine Tränen Tränen
der Trauer oder Tränen des Schmerzes über das ehrlose Begräbnis seien.

Es dauert ziemlich lange, bis die Fünfe mit dem toten Sechsten ihr Ziel
erreicht haben, obwohl es zum Friedhof gar nicht weit ist. Aber es geht bergauf.
Endlich sind sie am Pariser Tor. So heißt der Brückendurchgang, der den das
Dorf wie ein Gürtel umspannenden Park am Ausgange nach dem Friedhof
unterbricht.

Der Friedhof selbst liegt auf einem Rain, von einer Mauer umgeben und
einem Kranz hoher Kastanienbäume, die dunkel in die bläulichsilberne Mondnacht
ragen. Am eisernen Gittertore muß Karl das Kreuz senken, denn die Äste der
Bäume greifen tief herab.

Im Mondschein liegt der Erdaushub des Grabes. Karl geht darauf zu und
steht bald vor dem schmalen langen Schacht, der da in die Erde geschnitten ist.
Vorsichtig nähert er sich dem Rande und schaut hinunter. Man kann den Boden
nicht sehen, es ist zu dunkel dazu. Und so könnte man auf den Gedanken
kommen, daß dieser Schacht himmterreiche bis ins Feuer der Erde, bis in --
die HölleI

Karl tritt zurück und steckt das Kreuz in den Erdaufwurf. Hinter ihm wettert
der Schmittebuckel darüber, daß der Totengräber nicht da sei. Der Bursche hat
vergessen, ihn zu bestellen und heißt den einen der Kerle, den Mann, der nicht
weit entfernt wohnt, zu rufen. Aber der wirft die Bemerkung hin, Botengänge
wären mit den erhaltenen zwei Mark nicht bezahlt. Als Karl daraufhin ein
besonderes Trinkgeld in Aussicht stellt, läuft der Ollwangs-Maddhees davon und
kommt bald mit dem Totengräber zurück. Der schnarrt Karl an:

"Warum denn ihr denn nix gesagt, wann euern Vater begrawe werd? Mußt
wisse, um Mitternacht rum werrn net viel Leut begrawel"


Aarl Salzer

den Sarg stehen zu lassen, wenn sie ihre Ermahnungen nicht lasse. Karl aber
denkt daran, wie andere Tote begraben werden. Die Jungfer macht das Tor auf:

„Mo, geht, geht, gehet Karl means Kreuzt"

Karl nimmt das Kreuz auf und geht zum Tor hinaus. Die Viere schreiten
mit dem Sarge hinterdrein.

So wird der Schmied aus seinem Hause getragen.

Der seltsame Leichenzug bewegt sich durchs Dorf. Es läuten keine Glocken,
aber aus den Höfen klingt das Sensendengeln, und irgendwo tutet der Nacht¬
wächter elf Uhr. Der Mond steht hoch am Himmel und leuchtet dem Schmied
auf dem letzten Wege. Menschen sind keine mehr auf den Gassen, denn nur die
späten Sensendengler sind noch außer dem Bett. Wenn es ja bekannt geworden
wäre, um welche Stunde man den Selbstmörder begraben würde.. .1 Denn die
Schadenfreude tut wohl.

Es ist still. Nur hin und wieder schwirrt eine Eule, und hin und wieder
Schlusse einer der Sargträger zwischen den Zähnen hindurch eine halblaute Ver-
wünschung über die schwere Last. Sie haben ihre Not; sie stöhnen, sie ächzen.
Sie zerbeißen die Rosmarinzweige, die sie dem Brauche gemäß erhalten, zwischen
den aufeinander gepreßten Zähnen, aber sie müssen schweigen. Das ist dem Sohne
des Toten ein Trost. Seine Tränen fallen in den Gassenstaub. Wenn man da¬
nach fragen würde, so könnte er keine Auskunft geben, ob seine Tränen Tränen
der Trauer oder Tränen des Schmerzes über das ehrlose Begräbnis seien.

Es dauert ziemlich lange, bis die Fünfe mit dem toten Sechsten ihr Ziel
erreicht haben, obwohl es zum Friedhof gar nicht weit ist. Aber es geht bergauf.
Endlich sind sie am Pariser Tor. So heißt der Brückendurchgang, der den das
Dorf wie ein Gürtel umspannenden Park am Ausgange nach dem Friedhof
unterbricht.

Der Friedhof selbst liegt auf einem Rain, von einer Mauer umgeben und
einem Kranz hoher Kastanienbäume, die dunkel in die bläulichsilberne Mondnacht
ragen. Am eisernen Gittertore muß Karl das Kreuz senken, denn die Äste der
Bäume greifen tief herab.

Im Mondschein liegt der Erdaushub des Grabes. Karl geht darauf zu und
steht bald vor dem schmalen langen Schacht, der da in die Erde geschnitten ist.
Vorsichtig nähert er sich dem Rande und schaut hinunter. Man kann den Boden
nicht sehen, es ist zu dunkel dazu. Und so könnte man auf den Gedanken
kommen, daß dieser Schacht himmterreiche bis ins Feuer der Erde, bis in —
die HölleI

Karl tritt zurück und steckt das Kreuz in den Erdaufwurf. Hinter ihm wettert
der Schmittebuckel darüber, daß der Totengräber nicht da sei. Der Bursche hat
vergessen, ihn zu bestellen und heißt den einen der Kerle, den Mann, der nicht
weit entfernt wohnt, zu rufen. Aber der wirft die Bemerkung hin, Botengänge
wären mit den erhaltenen zwei Mark nicht bezahlt. Als Karl daraufhin ein
besonderes Trinkgeld in Aussicht stellt, läuft der Ollwangs-Maddhees davon und
kommt bald mit dem Totengräber zurück. Der schnarrt Karl an:

„Warum denn ihr denn nix gesagt, wann euern Vater begrawe werd? Mußt
wisse, um Mitternacht rum werrn net viel Leut begrawel"


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[0180] Aarl Salzer den Sarg stehen zu lassen, wenn sie ihre Ermahnungen nicht lasse. Karl aber denkt daran, wie andere Tote begraben werden. Die Jungfer macht das Tor auf: „Mo, geht, geht, gehet Karl means Kreuzt" Karl nimmt das Kreuz auf und geht zum Tor hinaus. Die Viere schreiten mit dem Sarge hinterdrein. So wird der Schmied aus seinem Hause getragen. Der seltsame Leichenzug bewegt sich durchs Dorf. Es läuten keine Glocken, aber aus den Höfen klingt das Sensendengeln, und irgendwo tutet der Nacht¬ wächter elf Uhr. Der Mond steht hoch am Himmel und leuchtet dem Schmied auf dem letzten Wege. Menschen sind keine mehr auf den Gassen, denn nur die späten Sensendengler sind noch außer dem Bett. Wenn es ja bekannt geworden wäre, um welche Stunde man den Selbstmörder begraben würde.. .1 Denn die Schadenfreude tut wohl. Es ist still. Nur hin und wieder schwirrt eine Eule, und hin und wieder Schlusse einer der Sargträger zwischen den Zähnen hindurch eine halblaute Ver- wünschung über die schwere Last. Sie haben ihre Not; sie stöhnen, sie ächzen. Sie zerbeißen die Rosmarinzweige, die sie dem Brauche gemäß erhalten, zwischen den aufeinander gepreßten Zähnen, aber sie müssen schweigen. Das ist dem Sohne des Toten ein Trost. Seine Tränen fallen in den Gassenstaub. Wenn man da¬ nach fragen würde, so könnte er keine Auskunft geben, ob seine Tränen Tränen der Trauer oder Tränen des Schmerzes über das ehrlose Begräbnis seien. Es dauert ziemlich lange, bis die Fünfe mit dem toten Sechsten ihr Ziel erreicht haben, obwohl es zum Friedhof gar nicht weit ist. Aber es geht bergauf. Endlich sind sie am Pariser Tor. So heißt der Brückendurchgang, der den das Dorf wie ein Gürtel umspannenden Park am Ausgange nach dem Friedhof unterbricht. Der Friedhof selbst liegt auf einem Rain, von einer Mauer umgeben und einem Kranz hoher Kastanienbäume, die dunkel in die bläulichsilberne Mondnacht ragen. Am eisernen Gittertore muß Karl das Kreuz senken, denn die Äste der Bäume greifen tief herab. Im Mondschein liegt der Erdaushub des Grabes. Karl geht darauf zu und steht bald vor dem schmalen langen Schacht, der da in die Erde geschnitten ist. Vorsichtig nähert er sich dem Rande und schaut hinunter. Man kann den Boden nicht sehen, es ist zu dunkel dazu. Und so könnte man auf den Gedanken kommen, daß dieser Schacht himmterreiche bis ins Feuer der Erde, bis in — die HölleI Karl tritt zurück und steckt das Kreuz in den Erdaufwurf. Hinter ihm wettert der Schmittebuckel darüber, daß der Totengräber nicht da sei. Der Bursche hat vergessen, ihn zu bestellen und heißt den einen der Kerle, den Mann, der nicht weit entfernt wohnt, zu rufen. Aber der wirft die Bemerkung hin, Botengänge wären mit den erhaltenen zwei Mark nicht bezahlt. Als Karl daraufhin ein besonderes Trinkgeld in Aussicht stellt, läuft der Ollwangs-Maddhees davon und kommt bald mit dem Totengräber zurück. Der schnarrt Karl an: „Warum denn ihr denn nix gesagt, wann euern Vater begrawe werd? Mußt wisse, um Mitternacht rum werrn net viel Leut begrawel"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/180>, abgerufen am 15.01.2025.