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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Freiherr von Marschall

und wirkte hier als ein allgemein hochgeschätzter, verdienstvoller Mitarbeiter an
der Reichsgesetzgebung. Als solchen hat ihn auch Fürst Bismarck anerkannt.
Da die leidenschaftliche Erregung späterer Zeiten diese Tatsache zu verwischen
gesucht hat, ist es notwendig, auch daran zu erinnern. Allerdings lag die
Tätigkeit des Freiherrn von Marschall in diesen Jahren vorwiegend auf inner¬
politischem Gebiet, wie er denn z. B. um die Durchführung der Reichsversicherungs¬
gesetzgebung besondere Verdienste hat. Immerhin war seine Stellung der Form
nach eine diplomatische; tatsächlich war er dadurch auf das eingehendste an der
gesamten Reichspolitik interessiert und wurde und ihr gründlich vertraut. So
bildete die Tätigkeit Marschalls als badischer Gesandter den Übergang zu seiner
weiteren staatsmännischen Laufbahn.

Die Entlassung des Fürsten Bismarck im März 1890 brachte den bedeutungs¬
vollsten Wendepunkt im Leben Marschalls. Der Kaiser hatte bekanntlich gehofft,
den Grafen Herbert Bismarck auf seinem Posten als Staatssekretär des Aus¬
wärtigen Amts halten zu können. Aber Graf Herbert folgte seinem Vater, und
nun mußte auch für diese verantwortliche Stellung ein neuer Mann gesucht werden.
Hält man alle die Umstände und Einflüsse zusammen, die damals für die Wahl
des Nachfolgers bestimmend waren, so scheint es wohl begreiflich, daß sie auf
den badischen Gesandten in Berlin fallen mußte. Freiherr von Marschall wurde
also mit der Leitung des Auswärtigen Amts betraut und sah sich damit plötzlich
vor eine Aufgabe gestellt, an der ein Durchschnittscharakter unfehlbar gescheitert
wäre. Sein Vorgänger war der Sohn des Altreichskanzlers gewesen, der Ver¬
traute und das ausführende Organ seines großen Vaters. War auch Freiherr
von Marschall formell nur der Stellvertreter des Reichskanzlers, gingen auch die
großen Direktiven der auswärtigen Politik von: Kaiser selbst und vom Kanzler
aus, so wälzte sich doch auf den neuen Staatssekretär eine Verantwortungslast
von gewaltigem Umfange; ihm fiel zu einem großen Teil die Fortsetzung und
Erhaltung des Werkes zu, das der größte Staatsmann des Jahrhunderts begonnen
hatte. Und in dieser Aufgabe war er trotz aller Erfahrung und Vorbereitung
in wesentlichen Stücken ein Neuling. Aber sein festgefügter Charakter, noch
gestützt durch warme und doch besonnene Vaterlandsliebe und durch einen gesunden,
berechtigten Ehrgeiz -- den Ehrgeiz des tüchtigen Mannes, der weiß, was er
wert ist, und der seine Kräfte betätigen will, -- ließ ihn mutig in die Bresche
springen. Sein klarer, selbstsicherer Geist und seine ungebrochene Arbeitsfreudigkeit
und Energie mußten ihn: helfen, die Schwierigkeiten zu überwinden, deren Um¬
fang er sich nicht verhehlte. Er wußte wohl, daß er Fehler machen würde, aber
er durfte sich sagen, daß die Eigenart der Lage auch anderen die Lösung der
Aufgabe schwer, vielleicht noch schwerer machen würde, und so hielt er es für
seine Pflicht, getrost dem an ihn ergangenen Ruf zu folgen und seine beste Kraft
daran zu setzen. Es begann für ihn eine Zeit heftiger Anfeindungen. Den
erregten Gemütern jener Jahre -- und dazu gehörten damals Leute, denen sonst
kein Opfer für das Vaterland zu groß war, die aber in der Verbitterung über


Freiherr von Marschall

und wirkte hier als ein allgemein hochgeschätzter, verdienstvoller Mitarbeiter an
der Reichsgesetzgebung. Als solchen hat ihn auch Fürst Bismarck anerkannt.
Da die leidenschaftliche Erregung späterer Zeiten diese Tatsache zu verwischen
gesucht hat, ist es notwendig, auch daran zu erinnern. Allerdings lag die
Tätigkeit des Freiherrn von Marschall in diesen Jahren vorwiegend auf inner¬
politischem Gebiet, wie er denn z. B. um die Durchführung der Reichsversicherungs¬
gesetzgebung besondere Verdienste hat. Immerhin war seine Stellung der Form
nach eine diplomatische; tatsächlich war er dadurch auf das eingehendste an der
gesamten Reichspolitik interessiert und wurde und ihr gründlich vertraut. So
bildete die Tätigkeit Marschalls als badischer Gesandter den Übergang zu seiner
weiteren staatsmännischen Laufbahn.

Die Entlassung des Fürsten Bismarck im März 1890 brachte den bedeutungs¬
vollsten Wendepunkt im Leben Marschalls. Der Kaiser hatte bekanntlich gehofft,
den Grafen Herbert Bismarck auf seinem Posten als Staatssekretär des Aus¬
wärtigen Amts halten zu können. Aber Graf Herbert folgte seinem Vater, und
nun mußte auch für diese verantwortliche Stellung ein neuer Mann gesucht werden.
Hält man alle die Umstände und Einflüsse zusammen, die damals für die Wahl
des Nachfolgers bestimmend waren, so scheint es wohl begreiflich, daß sie auf
den badischen Gesandten in Berlin fallen mußte. Freiherr von Marschall wurde
also mit der Leitung des Auswärtigen Amts betraut und sah sich damit plötzlich
vor eine Aufgabe gestellt, an der ein Durchschnittscharakter unfehlbar gescheitert
wäre. Sein Vorgänger war der Sohn des Altreichskanzlers gewesen, der Ver¬
traute und das ausführende Organ seines großen Vaters. War auch Freiherr
von Marschall formell nur der Stellvertreter des Reichskanzlers, gingen auch die
großen Direktiven der auswärtigen Politik von: Kaiser selbst und vom Kanzler
aus, so wälzte sich doch auf den neuen Staatssekretär eine Verantwortungslast
von gewaltigem Umfange; ihm fiel zu einem großen Teil die Fortsetzung und
Erhaltung des Werkes zu, das der größte Staatsmann des Jahrhunderts begonnen
hatte. Und in dieser Aufgabe war er trotz aller Erfahrung und Vorbereitung
in wesentlichen Stücken ein Neuling. Aber sein festgefügter Charakter, noch
gestützt durch warme und doch besonnene Vaterlandsliebe und durch einen gesunden,
berechtigten Ehrgeiz — den Ehrgeiz des tüchtigen Mannes, der weiß, was er
wert ist, und der seine Kräfte betätigen will, — ließ ihn mutig in die Bresche
springen. Sein klarer, selbstsicherer Geist und seine ungebrochene Arbeitsfreudigkeit
und Energie mußten ihn: helfen, die Schwierigkeiten zu überwinden, deren Um¬
fang er sich nicht verhehlte. Er wußte wohl, daß er Fehler machen würde, aber
er durfte sich sagen, daß die Eigenart der Lage auch anderen die Lösung der
Aufgabe schwer, vielleicht noch schwerer machen würde, und so hielt er es für
seine Pflicht, getrost dem an ihn ergangenen Ruf zu folgen und seine beste Kraft
daran zu setzen. Es begann für ihn eine Zeit heftiger Anfeindungen. Den
erregten Gemütern jener Jahre — und dazu gehörten damals Leute, denen sonst
kein Opfer für das Vaterland zu groß war, die aber in der Verbitterung über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/17>, abgerufen am 15.01.2025.