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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Abzweigungen der Bahnlinie nach Norddeich,
Bensersiel und Karolinensiel erleichtern das
Vordringen der Truppen bis ans Meer. An
diesem Küstenstriche kann das größte Still¬
schweigen bewahrt werden. Denn die Küste
ist schwer zugänglich, das Land nur dünn
besiedelt, große Städte fehlen ganz. Die
Leichter versammeln sich in den Mündungen
von sieben unbedeutenden Küstenflüßchen, wo
sie genügende Wassertiefe, einige Hafenanlagen
und Schleusentore finden. Eine Verbesserung
der Wasserläufe ist beabsichtigt und soll für
die Öffentlichkeit als Maßnahme zur Erleich¬
terung des Verkehrs mit den vorliegenden
Inseln erklärt werden. Entsprechend den sieben
Flüssen zerfällt das ganze Unternehmen in
sieben Unterabteilungen, die ihre Befehle von
der Hauptleitung in Esens erhalten, einem
Städtchen in der Mitte des Küstenstriches,
wenige Kilometer vom Meere gelegen. Die
letzten Vorbereitungen sollen monatelang vor¬
her getroffen und im Falle englischen Ver¬
dachtes als Maßnahmen der Landesverteidi¬
gung ausgegeben werden.

Als Landungsplatz an der englischen Küste
kommen nur zwei Punkte in Betracht: ent¬
weder die Küste von Essex zwischen Foulneß
und Brightlingsea oder der Wash. Letzterem ist
der Vorzug zu geben. Denn da England,
wenn es überhaupt einen Angriff auf seine
Küsten vermutet, die Verwendung großer
Transportschiffe voraussetzt, so ist ein solcher
Küstenstrich für die Landung der deutschen
Truppen zu wählen, wo man aller Wahr¬
scheinlichkeit nach die Deutschen nicht erwartet
und eine Verteidigung nicht vorbereitet hat.
Gerade die Nordseite des Wash, bekannt unter
dem Namen East Holland, bietet für die deutsche
Landung die günstigsten Bedingungen. Sie
ist Flachland, gegen die See durch Deiche
geschützt und wie Friesland mit Sandbänken
umsäumt, die bei Ebbe trocken liegen. Die
Deutschen finden also dieselben Verhältnisse
wieder, die ihnen von den heimischen Ge¬
wässern her bekannt und vertraut sind. Dabei
kann East Holland von Osten her durch die
Bostontiefe leicht erreicht werden. Dieser
natürliche Kanal hat bei Ebbe noch eine Tiefe
von 34 Fuß, bietet also eine vortreffliche Reede
für die zur Deckung beigegebenen Geschwader
und ist gegen die Dünung des offenen Meeres

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durch die vorliegenden Bänke des Long Sand
geschützt. Die deutschen Kriegsschiffe können
an diesen seichten Küsten noch mit Sicherheit
manövrieren, wo die englischen bereits fürchten
müssen, auf Grund zu laufen. Einen wei¬
teren Vorteil bietet die geringe Entfernung,
die von Borkum nur 24V, von Wcmgeroog
280 Seemeilen beträgt.

Für die Einschiffung in den Sielen der
ostfriesischen Küste stehen während einer zwölf-
stündigen Flutperiode stets 2^/z Stunden zur
Verfügung, wo das Wasser tief genug ist, um
die Boote über die Sandbänke ins offene
Meer zu bringen. Daß daS Unternehmen
auch bei sorgfältigster Vorbereitung höchst ge¬
wagt bleibt, bestreitet der Verfasser nicht, hebt
besonders hervor, wie gefährlich es für die
Deutschen werden müsse, wenn die Engländer
durch Zufall errieten, was vor sich gehe, und
nun einen Schwarm leicht gebauter Boote
entsendeten, welche die Deutschen während
ihrer Fahrt durch die schwierigen Gewässer
zwischen dem Festland und den Inseln un¬
vermutet überfielen. Trotz alledem hält Chil-
ders das Gelingen einer solchen Unternehmung
keineswegs für ausgeschlossen und findet jeden¬
falls, daß der mögliche Gewinn den hohen
Einsatz Wohl rechtfertige.

Wie der deutsche Generalstab über den
Plan einer Landung in England denkt und
welche Rolle er hierbei den friesischen Inseln
zuweist, ist unbekannt. Allerdings scheint man
jetzt diesen vorgeschobenen Bollwerken unserer
Nordseeküste von beiden Seiten größere Be¬
deutung beizumessen. In aller Stille sind
von unserer Seite starke Befestigungswerke
aufgeführt worden, und welches lebhafte
Interesse die Engländer gerade diesem Teil
unserer Küstenlinie entgegenbringen, ist uns
aus dem Spionagefall der beiden englischen
Offiziere vom vergangenen Jahre sattsam in
Erinnerung.

Die Kenntnis nun, welche Childers von
den deutschen Küstengewässern, von dem
Strich zwischen Flensburg und Kiel nicht
minder als von den Watten zwischen Kux-
haven und Borkum, entwickelt, ist geradezu
auffällig genau. Wenngleich in letzter Linie
auch bei ihm der Hauptzweck ist, die Gründe
für einen erhöhten Seeschutz Großbritanniens
möglichst eindringlich darzulegen, so zeichnet

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Abzweigungen der Bahnlinie nach Norddeich,
Bensersiel und Karolinensiel erleichtern das
Vordringen der Truppen bis ans Meer. An
diesem Küstenstriche kann das größte Still¬
schweigen bewahrt werden. Denn die Küste
ist schwer zugänglich, das Land nur dünn
besiedelt, große Städte fehlen ganz. Die
Leichter versammeln sich in den Mündungen
von sieben unbedeutenden Küstenflüßchen, wo
sie genügende Wassertiefe, einige Hafenanlagen
und Schleusentore finden. Eine Verbesserung
der Wasserläufe ist beabsichtigt und soll für
die Öffentlichkeit als Maßnahme zur Erleich¬
terung des Verkehrs mit den vorliegenden
Inseln erklärt werden. Entsprechend den sieben
Flüssen zerfällt das ganze Unternehmen in
sieben Unterabteilungen, die ihre Befehle von
der Hauptleitung in Esens erhalten, einem
Städtchen in der Mitte des Küstenstriches,
wenige Kilometer vom Meere gelegen. Die
letzten Vorbereitungen sollen monatelang vor¬
her getroffen und im Falle englischen Ver¬
dachtes als Maßnahmen der Landesverteidi¬
gung ausgegeben werden.

Als Landungsplatz an der englischen Küste
kommen nur zwei Punkte in Betracht: ent¬
weder die Küste von Essex zwischen Foulneß
und Brightlingsea oder der Wash. Letzterem ist
der Vorzug zu geben. Denn da England,
wenn es überhaupt einen Angriff auf seine
Küsten vermutet, die Verwendung großer
Transportschiffe voraussetzt, so ist ein solcher
Küstenstrich für die Landung der deutschen
Truppen zu wählen, wo man aller Wahr¬
scheinlichkeit nach die Deutschen nicht erwartet
und eine Verteidigung nicht vorbereitet hat.
Gerade die Nordseite des Wash, bekannt unter
dem Namen East Holland, bietet für die deutsche
Landung die günstigsten Bedingungen. Sie
ist Flachland, gegen die See durch Deiche
geschützt und wie Friesland mit Sandbänken
umsäumt, die bei Ebbe trocken liegen. Die
Deutschen finden also dieselben Verhältnisse
wieder, die ihnen von den heimischen Ge¬
wässern her bekannt und vertraut sind. Dabei
kann East Holland von Osten her durch die
Bostontiefe leicht erreicht werden. Dieser
natürliche Kanal hat bei Ebbe noch eine Tiefe
von 34 Fuß, bietet also eine vortreffliche Reede
für die zur Deckung beigegebenen Geschwader
und ist gegen die Dünung des offenen Meeres

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durch die vorliegenden Bänke des Long Sand
geschützt. Die deutschen Kriegsschiffe können
an diesen seichten Küsten noch mit Sicherheit
manövrieren, wo die englischen bereits fürchten
müssen, auf Grund zu laufen. Einen wei¬
teren Vorteil bietet die geringe Entfernung,
die von Borkum nur 24V, von Wcmgeroog
280 Seemeilen beträgt.

Für die Einschiffung in den Sielen der
ostfriesischen Küste stehen während einer zwölf-
stündigen Flutperiode stets 2^/z Stunden zur
Verfügung, wo das Wasser tief genug ist, um
die Boote über die Sandbänke ins offene
Meer zu bringen. Daß daS Unternehmen
auch bei sorgfältigster Vorbereitung höchst ge¬
wagt bleibt, bestreitet der Verfasser nicht, hebt
besonders hervor, wie gefährlich es für die
Deutschen werden müsse, wenn die Engländer
durch Zufall errieten, was vor sich gehe, und
nun einen Schwarm leicht gebauter Boote
entsendeten, welche die Deutschen während
ihrer Fahrt durch die schwierigen Gewässer
zwischen dem Festland und den Inseln un¬
vermutet überfielen. Trotz alledem hält Chil-
ders das Gelingen einer solchen Unternehmung
keineswegs für ausgeschlossen und findet jeden¬
falls, daß der mögliche Gewinn den hohen
Einsatz Wohl rechtfertige.

Wie der deutsche Generalstab über den
Plan einer Landung in England denkt und
welche Rolle er hierbei den friesischen Inseln
zuweist, ist unbekannt. Allerdings scheint man
jetzt diesen vorgeschobenen Bollwerken unserer
Nordseeküste von beiden Seiten größere Be¬
deutung beizumessen. In aller Stille sind
von unserer Seite starke Befestigungswerke
aufgeführt worden, und welches lebhafte
Interesse die Engländer gerade diesem Teil
unserer Küstenlinie entgegenbringen, ist uns
aus dem Spionagefall der beiden englischen
Offiziere vom vergangenen Jahre sattsam in
Erinnerung.

Die Kenntnis nun, welche Childers von
den deutschen Küstengewässern, von dem
Strich zwischen Flensburg und Kiel nicht
minder als von den Watten zwischen Kux-
haven und Borkum, entwickelt, ist geradezu
auffällig genau. Wenngleich in letzter Linie
auch bei ihm der Hauptzweck ist, die Gründe
für einen erhöhten Seeschutz Großbritanniens
möglichst eindringlich darzulegen, so zeichnet

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[0147] Maßgebliches und Unmaßgebliches Abzweigungen der Bahnlinie nach Norddeich, Bensersiel und Karolinensiel erleichtern das Vordringen der Truppen bis ans Meer. An diesem Küstenstriche kann das größte Still¬ schweigen bewahrt werden. Denn die Küste ist schwer zugänglich, das Land nur dünn besiedelt, große Städte fehlen ganz. Die Leichter versammeln sich in den Mündungen von sieben unbedeutenden Küstenflüßchen, wo sie genügende Wassertiefe, einige Hafenanlagen und Schleusentore finden. Eine Verbesserung der Wasserläufe ist beabsichtigt und soll für die Öffentlichkeit als Maßnahme zur Erleich¬ terung des Verkehrs mit den vorliegenden Inseln erklärt werden. Entsprechend den sieben Flüssen zerfällt das ganze Unternehmen in sieben Unterabteilungen, die ihre Befehle von der Hauptleitung in Esens erhalten, einem Städtchen in der Mitte des Küstenstriches, wenige Kilometer vom Meere gelegen. Die letzten Vorbereitungen sollen monatelang vor¬ her getroffen und im Falle englischen Ver¬ dachtes als Maßnahmen der Landesverteidi¬ gung ausgegeben werden. Als Landungsplatz an der englischen Küste kommen nur zwei Punkte in Betracht: ent¬ weder die Küste von Essex zwischen Foulneß und Brightlingsea oder der Wash. Letzterem ist der Vorzug zu geben. Denn da England, wenn es überhaupt einen Angriff auf seine Küsten vermutet, die Verwendung großer Transportschiffe voraussetzt, so ist ein solcher Küstenstrich für die Landung der deutschen Truppen zu wählen, wo man aller Wahr¬ scheinlichkeit nach die Deutschen nicht erwartet und eine Verteidigung nicht vorbereitet hat. Gerade die Nordseite des Wash, bekannt unter dem Namen East Holland, bietet für die deutsche Landung die günstigsten Bedingungen. Sie ist Flachland, gegen die See durch Deiche geschützt und wie Friesland mit Sandbänken umsäumt, die bei Ebbe trocken liegen. Die Deutschen finden also dieselben Verhältnisse wieder, die ihnen von den heimischen Ge¬ wässern her bekannt und vertraut sind. Dabei kann East Holland von Osten her durch die Bostontiefe leicht erreicht werden. Dieser natürliche Kanal hat bei Ebbe noch eine Tiefe von 34 Fuß, bietet also eine vortreffliche Reede für die zur Deckung beigegebenen Geschwader und ist gegen die Dünung des offenen Meeres durch die vorliegenden Bänke des Long Sand geschützt. Die deutschen Kriegsschiffe können an diesen seichten Küsten noch mit Sicherheit manövrieren, wo die englischen bereits fürchten müssen, auf Grund zu laufen. Einen wei¬ teren Vorteil bietet die geringe Entfernung, die von Borkum nur 24V, von Wcmgeroog 280 Seemeilen beträgt. Für die Einschiffung in den Sielen der ostfriesischen Küste stehen während einer zwölf- stündigen Flutperiode stets 2^/z Stunden zur Verfügung, wo das Wasser tief genug ist, um die Boote über die Sandbänke ins offene Meer zu bringen. Daß daS Unternehmen auch bei sorgfältigster Vorbereitung höchst ge¬ wagt bleibt, bestreitet der Verfasser nicht, hebt besonders hervor, wie gefährlich es für die Deutschen werden müsse, wenn die Engländer durch Zufall errieten, was vor sich gehe, und nun einen Schwarm leicht gebauter Boote entsendeten, welche die Deutschen während ihrer Fahrt durch die schwierigen Gewässer zwischen dem Festland und den Inseln un¬ vermutet überfielen. Trotz alledem hält Chil- ders das Gelingen einer solchen Unternehmung keineswegs für ausgeschlossen und findet jeden¬ falls, daß der mögliche Gewinn den hohen Einsatz Wohl rechtfertige. Wie der deutsche Generalstab über den Plan einer Landung in England denkt und welche Rolle er hierbei den friesischen Inseln zuweist, ist unbekannt. Allerdings scheint man jetzt diesen vorgeschobenen Bollwerken unserer Nordseeküste von beiden Seiten größere Be¬ deutung beizumessen. In aller Stille sind von unserer Seite starke Befestigungswerke aufgeführt worden, und welches lebhafte Interesse die Engländer gerade diesem Teil unserer Küstenlinie entgegenbringen, ist uns aus dem Spionagefall der beiden englischen Offiziere vom vergangenen Jahre sattsam in Erinnerung. Die Kenntnis nun, welche Childers von den deutschen Küstengewässern, von dem Strich zwischen Flensburg und Kiel nicht minder als von den Watten zwischen Kux- haven und Borkum, entwickelt, ist geradezu auffällig genau. Wenngleich in letzter Linie auch bei ihm der Hauptzweck ist, die Gründe für einen erhöhten Seeschutz Großbritanniens möglichst eindringlich darzulegen, so zeichnet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/147>, abgerufen am 15.01.2025.