Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Freiherr von Marschall werden konnte, und von Freund und Feind war ihm bescheinigt worden, daß Es liegt eine starke Tragik in dem Abschluß dieses reichen und fruchtbaren Wie man es in der Laufbahn des Staatsmannes öfter findet, hat auch Freiherr von Marschall werden konnte, und von Freund und Feind war ihm bescheinigt worden, daß Es liegt eine starke Tragik in dem Abschluß dieses reichen und fruchtbaren Wie man es in der Laufbahn des Staatsmannes öfter findet, hat auch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322415"/> <fw type="header" place="top"> Freiherr von Marschall</fw><lb/> <p xml:id="ID_10" prev="#ID_9"> werden konnte, und von Freund und Feind war ihm bescheinigt worden, daß<lb/> man ihn in erster Linie für fähig hielt, diese Aufgabe zu lösen. Fast zu über-<lb/> schwänglich, lauter jedenfalls, als die Klugheit gebot, war er als der Mann<lb/> des allgemeinen Vertrauens gepriesen worden. So sah er sich getragen von<lb/> der Hoffnung seines Volkes, von der Anerkennung der ganzen Welt. Viele<lb/> wußten gar nicht oder hatten es vergessen, daß Freiherr von Marschall schon<lb/> im siebzigsten Lebensjahre stand, also nahe jener Altersgrenze, nach deren Über¬<lb/> schreitung für die Mehrzahl der Menschen jeder Tag des Lebens als ein<lb/> besonderes Geschenk erscheint. Aber auch die Wissenden, die sich nicht verhehlen<lb/> konnten, daß Alter und Leiden bereits diese starke Natur zu erschüttern begannen,<lb/> vertrauten unwillkürlich angesichts der Frische des Geistes, der unverwüstlichen<lb/> Arbeitskraft und Zähigkeit, die in diesem robusten, mächtigen Körper wohnten,<lb/> auf die Hilfsquellen ungebrochener Lebenskraft, die die ganze Persönlichkeit in<lb/> sich barg. Marschall schien niemals zu den Naturen zu gehören, die ihre<lb/> Kräfte in rastloser, aufreibender Tätigkeit aufzehren und die man nur mit<lb/> Sorge an neue große Aufgaben herantreten sieht. Eine eigentümliche Mischung<lb/> von behäbiger Ruhe und lächelnder Leichtigkeit schien ihn über alles hinweg»<lb/> zutragen, woran sonst das Nervensystem gewöhnlicher Sterblicher Schiffbruch zu<lb/> leiden pflegt. Um so bitterer und unerwarteter empfindet man den harten Griff<lb/> des Schicksals, das diesen Starken nur drei Monate nach Beginn seiner neuen,<lb/> mit so großen Hoffnungen begleiteten Tätigkeit niedergeworfen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_11"> Es liegt eine starke Tragik in dem Abschluß dieses reichen und fruchtbaren<lb/> Lebens. Und doch! Den Verstorbenen selbst vermag man kaum zu beklagen,<lb/> wenn es wahr ist, was die Weisen aller Zeiten gelehrt haben, daß dem Menschen<lb/> kein größeres Glück begegnen kann, als von einem Höhepunkt abberufen zu<lb/> werden, wo er statt des Verzichts und der Entsagung, die so manches Leben<lb/> abschließen, den Ausblick in ein Land erfüllter Hoffnungen und errungener Er¬<lb/> folge genießen konnte. Und wenn es dem Leben des entschlafenen Staatsmannes<lb/> nicht an zahlreichen bitteren, sehr bitteren Stunden gefehlt hat, so ist er doch<lb/> durch diese hindurch zu immer größeren Erfolgen hindurchgedrungen. In der<lb/> Tat ist dieses Leben ein beständiger Aufstieg gewesen, und zwar nicht in dem<lb/> Sinne, wie wohl manchem Glückspilz ein Erfolg nach dem anderen in den<lb/> Schoß fällt; vielmehr ist es ein redlich erkämpftes und erarbeitetes Glück gewesen,<lb/> die Frucht eines inneren Wertes, der in Mühen und Erfahrungen geläutert<lb/> und gefestigt wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_12" next="#ID_13"> Wie man es in der Laufbahn des Staatsmannes öfter findet, hat auch<lb/> Marschall die Tätigkeit, die ihm im besten Sinne Lebensberuf werden und die<lb/> ihm die größten Erfolge bringen sollte, nicht von Anfang an als Ziel ins<lb/> Auge gefaßt; er hat ursprünglich nicht Diplomat werden wollen. Als unabhän¬<lb/> giger Mann, als Angehöriger einer der vornehmsten Familien seines Heimat¬<lb/> landes Baden, ist er allmählich in die politische Tätigkeit hineingeführt worden,<lb/> bis andere die Eigenart seiner Fähigkeiten erkannten und ihn an die Stelle</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
Freiherr von Marschall
werden konnte, und von Freund und Feind war ihm bescheinigt worden, daß
man ihn in erster Linie für fähig hielt, diese Aufgabe zu lösen. Fast zu über-
schwänglich, lauter jedenfalls, als die Klugheit gebot, war er als der Mann
des allgemeinen Vertrauens gepriesen worden. So sah er sich getragen von
der Hoffnung seines Volkes, von der Anerkennung der ganzen Welt. Viele
wußten gar nicht oder hatten es vergessen, daß Freiherr von Marschall schon
im siebzigsten Lebensjahre stand, also nahe jener Altersgrenze, nach deren Über¬
schreitung für die Mehrzahl der Menschen jeder Tag des Lebens als ein
besonderes Geschenk erscheint. Aber auch die Wissenden, die sich nicht verhehlen
konnten, daß Alter und Leiden bereits diese starke Natur zu erschüttern begannen,
vertrauten unwillkürlich angesichts der Frische des Geistes, der unverwüstlichen
Arbeitskraft und Zähigkeit, die in diesem robusten, mächtigen Körper wohnten,
auf die Hilfsquellen ungebrochener Lebenskraft, die die ganze Persönlichkeit in
sich barg. Marschall schien niemals zu den Naturen zu gehören, die ihre
Kräfte in rastloser, aufreibender Tätigkeit aufzehren und die man nur mit
Sorge an neue große Aufgaben herantreten sieht. Eine eigentümliche Mischung
von behäbiger Ruhe und lächelnder Leichtigkeit schien ihn über alles hinweg»
zutragen, woran sonst das Nervensystem gewöhnlicher Sterblicher Schiffbruch zu
leiden pflegt. Um so bitterer und unerwarteter empfindet man den harten Griff
des Schicksals, das diesen Starken nur drei Monate nach Beginn seiner neuen,
mit so großen Hoffnungen begleiteten Tätigkeit niedergeworfen hat.
Es liegt eine starke Tragik in dem Abschluß dieses reichen und fruchtbaren
Lebens. Und doch! Den Verstorbenen selbst vermag man kaum zu beklagen,
wenn es wahr ist, was die Weisen aller Zeiten gelehrt haben, daß dem Menschen
kein größeres Glück begegnen kann, als von einem Höhepunkt abberufen zu
werden, wo er statt des Verzichts und der Entsagung, die so manches Leben
abschließen, den Ausblick in ein Land erfüllter Hoffnungen und errungener Er¬
folge genießen konnte. Und wenn es dem Leben des entschlafenen Staatsmannes
nicht an zahlreichen bitteren, sehr bitteren Stunden gefehlt hat, so ist er doch
durch diese hindurch zu immer größeren Erfolgen hindurchgedrungen. In der
Tat ist dieses Leben ein beständiger Aufstieg gewesen, und zwar nicht in dem
Sinne, wie wohl manchem Glückspilz ein Erfolg nach dem anderen in den
Schoß fällt; vielmehr ist es ein redlich erkämpftes und erarbeitetes Glück gewesen,
die Frucht eines inneren Wertes, der in Mühen und Erfahrungen geläutert
und gefestigt wird.
Wie man es in der Laufbahn des Staatsmannes öfter findet, hat auch
Marschall die Tätigkeit, die ihm im besten Sinne Lebensberuf werden und die
ihm die größten Erfolge bringen sollte, nicht von Anfang an als Ziel ins
Auge gefaßt; er hat ursprünglich nicht Diplomat werden wollen. Als unabhän¬
giger Mann, als Angehöriger einer der vornehmsten Familien seines Heimat¬
landes Baden, ist er allmählich in die politische Tätigkeit hineingeführt worden,
bis andere die Eigenart seiner Fähigkeiten erkannten und ihn an die Stelle
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