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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Karl Salzer

"Für den Bub Wissens auch noch andere Leut als nur unser Herrgott. Wenn
der will, kann er zu uns als Ackerbursch kommen!"

Da ist Karl, der das mit Staunen hört, freudig erschrocken und eifert heraus:

"Ja, Vetter Holtner, das macht mir Spaß, und die Gaul hab ich für mein
Leben gern!"

Aber er denkt auch an seine Tante und fragt:

"Vetter Holtner, denn Ihr für meine Tante keinen Platz?"

"Nein!" entgegnet Hannes Holtner kurz und bündig, "für die ist kein Platz
mehr da. Wir haben jetzert schon mal drei alte Schachteln aus Gnad und Barm¬
herzigkeit aufgenommen, und da ist für eine, die uns wirklich noch was schaffen
könnt, kein Platz mehr da. Man kann doch auch die drei anderen nicht einfach
zum Kuckuck jagen!"

"Na, 's wird auch für mich noch einen Unterschlupf geben!" wirft Tante
Seelchen ein, seufzt einmal und sagt dann weiter: "Komm, jetzert will ich noch ein
paar Eier sieden für unterwegs, damit wir was zu essen haben!"

Hannes Holtner winkt mit der Hand ab:

"Die Male hat schon einen schönen Korb voll zurecht gemacht, Sette, du
brauchst nix zu tun als anmessen!"

Wie er sieht, daß das der Sette unangenehm ist, daß sie bei seinen Worten
verlegen wird, setzt er noch hinzu:

"Mußt net meinen, Sette, daß das die Male aus Lieb zu dir getan hätt.
Das fällt der Male garnet ein. Das hat sie getan, weil ich nix eß, was die
Male net gekocht hat. Manche Leut deuten uns das ja als Geiz aus, weil wir
unser Essen überallhin eingewickelt mitbringen, aber die Leut können denken und
sagen, was sie wollen!"

Sophie wird unruhig, und das erinnert die drei anderen an die Fahrt.
Hannes Holtner zieht die Uhr hervor, die mit einem Lederriemchen an die Weste
gebunden ist, wirft einen Blick darauf und treibt zur Eile an:

"Allo hopp, marsch, daß wir fortkommen, ich will den Gaul net so abjagen.
Sette, setz dein Kcipotthütchen auf und los!"

Er geht hinaus, um im Hofe die Kutsche zu wenden und dicht vor die
Haustür zu fahren.

Als Tante Seelchen und ihre Nichte, die immerwährend vor sich hinspricht
und dabei die Nase auf und ab rümpft wie ein Kaninchen, sich anschicken, in den
Wagen einzusteigen, sagt Holtner:

"Die reinsten Baronsleut!"

Karl und Seelchen empfinden das wie Hohn. Karl wird blutrot im Gesicht
und knirscht mit den Zähnen. Aber Tante Seelchen blickt den Hüner vorwurfsvoll
an und sagt zu ihm:

"Hannes, deine Grobheiten tun gut, aber dein Spott tut auch weh!"

Da sagt der Hannes Holtner, wo er einen Gefallen erweise, da Spotte er
nicht. Das sei nicht so gemeint, und wenn sie es anders haben wollte:

"Die reinsten Bettelbarone I"

Da lächelt Tante Seelchen wieder, und Karl empfindet die Grobheit wie eine
Erlösung aus der Beklemmung, in die ihn die vorausgehende Bemerkung ge¬
bracht hat.


Karl Salzer

„Für den Bub Wissens auch noch andere Leut als nur unser Herrgott. Wenn
der will, kann er zu uns als Ackerbursch kommen!"

Da ist Karl, der das mit Staunen hört, freudig erschrocken und eifert heraus:

„Ja, Vetter Holtner, das macht mir Spaß, und die Gaul hab ich für mein
Leben gern!"

Aber er denkt auch an seine Tante und fragt:

„Vetter Holtner, denn Ihr für meine Tante keinen Platz?"

„Nein!" entgegnet Hannes Holtner kurz und bündig, „für die ist kein Platz
mehr da. Wir haben jetzert schon mal drei alte Schachteln aus Gnad und Barm¬
herzigkeit aufgenommen, und da ist für eine, die uns wirklich noch was schaffen
könnt, kein Platz mehr da. Man kann doch auch die drei anderen nicht einfach
zum Kuckuck jagen!"

„Na, 's wird auch für mich noch einen Unterschlupf geben!" wirft Tante
Seelchen ein, seufzt einmal und sagt dann weiter: „Komm, jetzert will ich noch ein
paar Eier sieden für unterwegs, damit wir was zu essen haben!"

Hannes Holtner winkt mit der Hand ab:

„Die Male hat schon einen schönen Korb voll zurecht gemacht, Sette, du
brauchst nix zu tun als anmessen!"

Wie er sieht, daß das der Sette unangenehm ist, daß sie bei seinen Worten
verlegen wird, setzt er noch hinzu:

„Mußt net meinen, Sette, daß das die Male aus Lieb zu dir getan hätt.
Das fällt der Male garnet ein. Das hat sie getan, weil ich nix eß, was die
Male net gekocht hat. Manche Leut deuten uns das ja als Geiz aus, weil wir
unser Essen überallhin eingewickelt mitbringen, aber die Leut können denken und
sagen, was sie wollen!"

Sophie wird unruhig, und das erinnert die drei anderen an die Fahrt.
Hannes Holtner zieht die Uhr hervor, die mit einem Lederriemchen an die Weste
gebunden ist, wirft einen Blick darauf und treibt zur Eile an:

„Allo hopp, marsch, daß wir fortkommen, ich will den Gaul net so abjagen.
Sette, setz dein Kcipotthütchen auf und los!"

Er geht hinaus, um im Hofe die Kutsche zu wenden und dicht vor die
Haustür zu fahren.

Als Tante Seelchen und ihre Nichte, die immerwährend vor sich hinspricht
und dabei die Nase auf und ab rümpft wie ein Kaninchen, sich anschicken, in den
Wagen einzusteigen, sagt Holtner:

„Die reinsten Baronsleut!"

Karl und Seelchen empfinden das wie Hohn. Karl wird blutrot im Gesicht
und knirscht mit den Zähnen. Aber Tante Seelchen blickt den Hüner vorwurfsvoll
an und sagt zu ihm:

„Hannes, deine Grobheiten tun gut, aber dein Spott tut auch weh!"

Da sagt der Hannes Holtner, wo er einen Gefallen erweise, da Spotte er
nicht. Das sei nicht so gemeint, und wenn sie es anders haben wollte:

„Die reinsten Bettelbarone I"

Da lächelt Tante Seelchen wieder, und Karl empfindet die Grobheit wie eine
Erlösung aus der Beklemmung, in die ihn die vorausgehende Bemerkung ge¬
bracht hat.


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[0139] Karl Salzer „Für den Bub Wissens auch noch andere Leut als nur unser Herrgott. Wenn der will, kann er zu uns als Ackerbursch kommen!" Da ist Karl, der das mit Staunen hört, freudig erschrocken und eifert heraus: „Ja, Vetter Holtner, das macht mir Spaß, und die Gaul hab ich für mein Leben gern!" Aber er denkt auch an seine Tante und fragt: „Vetter Holtner, denn Ihr für meine Tante keinen Platz?" „Nein!" entgegnet Hannes Holtner kurz und bündig, „für die ist kein Platz mehr da. Wir haben jetzert schon mal drei alte Schachteln aus Gnad und Barm¬ herzigkeit aufgenommen, und da ist für eine, die uns wirklich noch was schaffen könnt, kein Platz mehr da. Man kann doch auch die drei anderen nicht einfach zum Kuckuck jagen!" „Na, 's wird auch für mich noch einen Unterschlupf geben!" wirft Tante Seelchen ein, seufzt einmal und sagt dann weiter: „Komm, jetzert will ich noch ein paar Eier sieden für unterwegs, damit wir was zu essen haben!" Hannes Holtner winkt mit der Hand ab: „Die Male hat schon einen schönen Korb voll zurecht gemacht, Sette, du brauchst nix zu tun als anmessen!" Wie er sieht, daß das der Sette unangenehm ist, daß sie bei seinen Worten verlegen wird, setzt er noch hinzu: „Mußt net meinen, Sette, daß das die Male aus Lieb zu dir getan hätt. Das fällt der Male garnet ein. Das hat sie getan, weil ich nix eß, was die Male net gekocht hat. Manche Leut deuten uns das ja als Geiz aus, weil wir unser Essen überallhin eingewickelt mitbringen, aber die Leut können denken und sagen, was sie wollen!" Sophie wird unruhig, und das erinnert die drei anderen an die Fahrt. Hannes Holtner zieht die Uhr hervor, die mit einem Lederriemchen an die Weste gebunden ist, wirft einen Blick darauf und treibt zur Eile an: „Allo hopp, marsch, daß wir fortkommen, ich will den Gaul net so abjagen. Sette, setz dein Kcipotthütchen auf und los!" Er geht hinaus, um im Hofe die Kutsche zu wenden und dicht vor die Haustür zu fahren. Als Tante Seelchen und ihre Nichte, die immerwährend vor sich hinspricht und dabei die Nase auf und ab rümpft wie ein Kaninchen, sich anschicken, in den Wagen einzusteigen, sagt Holtner: „Die reinsten Baronsleut!" Karl und Seelchen empfinden das wie Hohn. Karl wird blutrot im Gesicht und knirscht mit den Zähnen. Aber Tante Seelchen blickt den Hüner vorwurfsvoll an und sagt zu ihm: „Hannes, deine Grobheiten tun gut, aber dein Spott tut auch weh!" Da sagt der Hannes Holtner, wo er einen Gefallen erweise, da Spotte er nicht. Das sei nicht so gemeint, und wenn sie es anders haben wollte: „Die reinsten Bettelbarone I" Da lächelt Tante Seelchen wieder, und Karl empfindet die Grobheit wie eine Erlösung aus der Beklemmung, in die ihn die vorausgehende Bemerkung ge¬ bracht hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/139>, abgerufen am 15.01.2025.