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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Am Bau der deutschen Zukunft

Bemessung des Mehrstimmrechts nicht entgangen. Dazu scheint sie ihm nur
erreichbar gegen Gewährung des reinparlamentarischen Regierungssystems. Hier
wie in anderen Einzelheiten stehen Breysig und Frymann weit voneinander.
Aber in einem gehen sie zusammen: eine völlige innere Umkehr, ein Umdenken
scheint beiden nötig, soll der Niedergang unseres Volkes aufgehalten werden.
Und zwar scheinen mir Frymanns Projekte zu einer Regeneration auf Grund
der Durchsetzung einer radikaldeutschen Gesinnung den vorliegenden Anzeichen
nach immer noch leichter ausführbar, als die in der Richtung aristokratischer
Gestaltung des Volkskörpers sich bewegenden Vorschläge Breysigs. An sich sollte
ja beides zusammengehen. Aber der Grad der Erschlaffung und der Zersetzung
in den Grundüberzeugungen des Volkes gestattet uns nicht darauf zu hoffen.
Auch die Durchsetzung seiner Anregungen erwartet Frymann erst von einer
gewaltigen Katastrophe, die den Boden für entschieden nationale Politik bereiten
wird. Zu tief erscheint das Übel eingewurzelt; Mittel von lebensgefährlicher
Drastik sind vonnöten.

Diese Katastrophentheorie auf dem Gebiete der Heilung unserer nationalen
Leiden wird heute im stillen von vielen Vaterlandsfreunden vertreten, wenn sich
auch im Innern eines jeden ein Widerstand gegen die Anerkennung einer solchen
Notwendigkeit regt. Mag aber nun eine Operation auf Leben und Tod
erforderlich sein oder nicht, sicherlich haben einstweilen und später auch der
Hygieniker und Therapeutiker des Volkskörpers das Ihre zu sagen. Wir werden
unermüdet fortfahren müssen, neue Vergiftung fernzuhalten und die vorhandenen
Gifte durch Stärkung der gesunden Säfte im Volke zu bekämpfen und nach
Möglichkeit auszuscheiden.

Die Zeit ruft nach weitsichtigen Staatsmännern, die solche Symptome, wie
sie die in diesen Blättern erwähnten Bücher darstellen, zu deuten wissen, die
den reinen Idealismus und die Liebe der Verfasser zu ihrem Volke werten und
ihre Hochziele anerkennen. Die Gefolgschaft ist bereit; werden die Führer sich
zur rechten Zeit einstellen?




Grenzboten IV 191216
Am Bau der deutschen Zukunft

Bemessung des Mehrstimmrechts nicht entgangen. Dazu scheint sie ihm nur
erreichbar gegen Gewährung des reinparlamentarischen Regierungssystems. Hier
wie in anderen Einzelheiten stehen Breysig und Frymann weit voneinander.
Aber in einem gehen sie zusammen: eine völlige innere Umkehr, ein Umdenken
scheint beiden nötig, soll der Niedergang unseres Volkes aufgehalten werden.
Und zwar scheinen mir Frymanns Projekte zu einer Regeneration auf Grund
der Durchsetzung einer radikaldeutschen Gesinnung den vorliegenden Anzeichen
nach immer noch leichter ausführbar, als die in der Richtung aristokratischer
Gestaltung des Volkskörpers sich bewegenden Vorschläge Breysigs. An sich sollte
ja beides zusammengehen. Aber der Grad der Erschlaffung und der Zersetzung
in den Grundüberzeugungen des Volkes gestattet uns nicht darauf zu hoffen.
Auch die Durchsetzung seiner Anregungen erwartet Frymann erst von einer
gewaltigen Katastrophe, die den Boden für entschieden nationale Politik bereiten
wird. Zu tief erscheint das Übel eingewurzelt; Mittel von lebensgefährlicher
Drastik sind vonnöten.

Diese Katastrophentheorie auf dem Gebiete der Heilung unserer nationalen
Leiden wird heute im stillen von vielen Vaterlandsfreunden vertreten, wenn sich
auch im Innern eines jeden ein Widerstand gegen die Anerkennung einer solchen
Notwendigkeit regt. Mag aber nun eine Operation auf Leben und Tod
erforderlich sein oder nicht, sicherlich haben einstweilen und später auch der
Hygieniker und Therapeutiker des Volkskörpers das Ihre zu sagen. Wir werden
unermüdet fortfahren müssen, neue Vergiftung fernzuhalten und die vorhandenen
Gifte durch Stärkung der gesunden Säfte im Volke zu bekämpfen und nach
Möglichkeit auszuscheiden.

Die Zeit ruft nach weitsichtigen Staatsmännern, die solche Symptome, wie
sie die in diesen Blättern erwähnten Bücher darstellen, zu deuten wissen, die
den reinen Idealismus und die Liebe der Verfasser zu ihrem Volke werten und
ihre Hochziele anerkennen. Die Gefolgschaft ist bereit; werden die Führer sich
zur rechten Zeit einstellen?




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[0120] Am Bau der deutschen Zukunft Bemessung des Mehrstimmrechts nicht entgangen. Dazu scheint sie ihm nur erreichbar gegen Gewährung des reinparlamentarischen Regierungssystems. Hier wie in anderen Einzelheiten stehen Breysig und Frymann weit voneinander. Aber in einem gehen sie zusammen: eine völlige innere Umkehr, ein Umdenken scheint beiden nötig, soll der Niedergang unseres Volkes aufgehalten werden. Und zwar scheinen mir Frymanns Projekte zu einer Regeneration auf Grund der Durchsetzung einer radikaldeutschen Gesinnung den vorliegenden Anzeichen nach immer noch leichter ausführbar, als die in der Richtung aristokratischer Gestaltung des Volkskörpers sich bewegenden Vorschläge Breysigs. An sich sollte ja beides zusammengehen. Aber der Grad der Erschlaffung und der Zersetzung in den Grundüberzeugungen des Volkes gestattet uns nicht darauf zu hoffen. Auch die Durchsetzung seiner Anregungen erwartet Frymann erst von einer gewaltigen Katastrophe, die den Boden für entschieden nationale Politik bereiten wird. Zu tief erscheint das Übel eingewurzelt; Mittel von lebensgefährlicher Drastik sind vonnöten. Diese Katastrophentheorie auf dem Gebiete der Heilung unserer nationalen Leiden wird heute im stillen von vielen Vaterlandsfreunden vertreten, wenn sich auch im Innern eines jeden ein Widerstand gegen die Anerkennung einer solchen Notwendigkeit regt. Mag aber nun eine Operation auf Leben und Tod erforderlich sein oder nicht, sicherlich haben einstweilen und später auch der Hygieniker und Therapeutiker des Volkskörpers das Ihre zu sagen. Wir werden unermüdet fortfahren müssen, neue Vergiftung fernzuhalten und die vorhandenen Gifte durch Stärkung der gesunden Säfte im Volke zu bekämpfen und nach Möglichkeit auszuscheiden. Die Zeit ruft nach weitsichtigen Staatsmännern, die solche Symptome, wie sie die in diesen Blättern erwähnten Bücher darstellen, zu deuten wissen, die den reinen Idealismus und die Liebe der Verfasser zu ihrem Volke werten und ihre Hochziele anerkennen. Die Gefolgschaft ist bereit; werden die Führer sich zur rechten Zeit einstellen? Grenzboten IV 191216

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/120>, abgerufen am 15.01.2025.