Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Am Bau der deutschen Zukunft machen sucht, jede Lebensfunktion in tausend Abhängigkeiten hineinzieht, hat Zu der mit der Mechanisierung verlangten inneren Wandlung, zu der Auf diesen Wegen ins Prophetenland können wir demi Verfasser nicht Aber vielleicht ist Rathenaus für die Gegenwart verzichtender Ausblick aus Am Bau der deutschen Zukunft machen sucht, jede Lebensfunktion in tausend Abhängigkeiten hineinzieht, hat Zu der mit der Mechanisierung verlangten inneren Wandlung, zu der Auf diesen Wegen ins Prophetenland können wir demi Verfasser nicht Aber vielleicht ist Rathenaus für die Gegenwart verzichtender Ausblick aus <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322517"/> <fw type="header" place="top"> Am Bau der deutschen Zukunft</fw><lb/> <p xml:id="ID_468" prev="#ID_467"> machen sucht, jede Lebensfunktion in tausend Abhängigkeiten hineinzieht, hat<lb/> Rathenau in glänzender und geistvoller Weise, wenn auch nicht ohne Einseitigkeit<lb/> geschildert. Man hat den Eindruck, als ob ihm der gigantische Mechanismus,<lb/> dem nachgerade alle menschlichen Betätigungsgebiete zustreben, selbst so ungeheuer<lb/> imponiere, daß es sür ihn einer Willensanstrengung bedürfe, um sich von der<lb/> Suggestion zu befreien. Er sieht in dem Ergebnis des Mechanisierungsprozesses —<lb/> dies auch als Probe für die Ausdrucksweise unseres Autors — „einen Zug<lb/> von Spezialisierung und Abstraktion, von gewallter Zwangsläufigkeit, von zweck¬<lb/> haftem, rezeptmäßigem Denken, ohne Überraschung und ohne Humor, von<lb/> komplizierter Gleichförmigkeit". Die ethische Kategorie der Einfügung des<lb/> Individuums in diese Maschine ist die Verantwortlichkeit, die an die Stelle der<lb/> autonomen Pflicht getreten ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_469"> Zu der mit der Mechanisierung verlangten inneren Wandlung, zu der<lb/> Einfügung der autonomen Persönlichkeit in die Gegebenheiten des Objekts sind<lb/> nach Rathenau die germanischen Herren des Abendlandes nicht fähig; „gegen<lb/> Städte, Stände, Konstitutionen, Demokratie, Verkehr, Handel und Industrie<lb/> haben sie sich mannhaft gewehrt, und noch jetzt bedeuten alle konservativen<lb/> Programme nichts weiter als Umschreibungsformeln des unbewußten Willens<lb/> gegen die Mechanisierung". Nur dem Umstände also, daß sich die für das<lb/> germanische Prinzip tödliche Mechanisierung nicht völlig durchgesetzt hat, ist die<lb/> Erhaltung des transzendenten Inhalts im deutschen Geistesleben zu verdanken,<lb/> das Fortbestehen von Innerlichkeit und Freiheit, Aufopferung und Wahrheits¬<lb/> liebe, Mut und Treue. Aber Rathenau ist der Meinung, daß die Epoche der<lb/> Mechanisierung in der Evolution der Menschheit nichts anderes bedeute als<lb/> einen Durchgang, der zugleich ein Übergang sei zu einer höheren Entwicklungsstufe,<lb/> indem die Not eine Auslese zu Neuem, Größerem hervorrufe. So würde der<lb/> Mechanismus überwunden durch einen gewaltigen seelischen Ausschwung der<lb/> (europäischen?) Menschheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_470"> Auf diesen Wegen ins Prophetenland können wir demi Verfasser nicht<lb/> folgen. Für uns bedeutet die Mechanisierung die Not und Gefahr des Augen¬<lb/> blicks (vgl. auch meine Ausführungen in Heft 14 dieses Jahrgangs, S. 16 f.).<lb/> Uns ist dieses Zeitalter nicht ein respektvoll zu verehrender Übergang zu höheren<lb/> Stufen des Daseins, sondern eine Epoche der Erkrankung, an der unser Volk<lb/> zugrunde gehen kann. Und eigentlich hätte nach den gegebenen Prämissen<lb/> Rathenaus Buch ausklingen müssen in einen Aufruf an die unsichtbare Kirche<lb/> der Mechanisierten, an die germanische Ketzergemeinde in der fanatisierten Masse<lb/> der Rechtgläubigen des materialistisch-mechanistischen „Fortschritts". Noch ist<lb/> ja der nach Rathenau so „komplizierte und schwierige Beruf des Einsiedlers"<lb/> (im Sinne der Bewahrung persönlicher Autonomie) auch in der allgemeinen<lb/> Abhängigkeit nicht ausgestorben.</p><lb/> <p xml:id="ID_471" next="#ID_472"> Aber vielleicht ist Rathenaus für die Gegenwart verzichtender Ausblick aus<lb/> ein hinter aller Mechanisierung liegendes Sonnenland der Seele darauf zurück-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0115]
Am Bau der deutschen Zukunft
machen sucht, jede Lebensfunktion in tausend Abhängigkeiten hineinzieht, hat
Rathenau in glänzender und geistvoller Weise, wenn auch nicht ohne Einseitigkeit
geschildert. Man hat den Eindruck, als ob ihm der gigantische Mechanismus,
dem nachgerade alle menschlichen Betätigungsgebiete zustreben, selbst so ungeheuer
imponiere, daß es sür ihn einer Willensanstrengung bedürfe, um sich von der
Suggestion zu befreien. Er sieht in dem Ergebnis des Mechanisierungsprozesses —
dies auch als Probe für die Ausdrucksweise unseres Autors — „einen Zug
von Spezialisierung und Abstraktion, von gewallter Zwangsläufigkeit, von zweck¬
haftem, rezeptmäßigem Denken, ohne Überraschung und ohne Humor, von
komplizierter Gleichförmigkeit". Die ethische Kategorie der Einfügung des
Individuums in diese Maschine ist die Verantwortlichkeit, die an die Stelle der
autonomen Pflicht getreten ist.
Zu der mit der Mechanisierung verlangten inneren Wandlung, zu der
Einfügung der autonomen Persönlichkeit in die Gegebenheiten des Objekts sind
nach Rathenau die germanischen Herren des Abendlandes nicht fähig; „gegen
Städte, Stände, Konstitutionen, Demokratie, Verkehr, Handel und Industrie
haben sie sich mannhaft gewehrt, und noch jetzt bedeuten alle konservativen
Programme nichts weiter als Umschreibungsformeln des unbewußten Willens
gegen die Mechanisierung". Nur dem Umstände also, daß sich die für das
germanische Prinzip tödliche Mechanisierung nicht völlig durchgesetzt hat, ist die
Erhaltung des transzendenten Inhalts im deutschen Geistesleben zu verdanken,
das Fortbestehen von Innerlichkeit und Freiheit, Aufopferung und Wahrheits¬
liebe, Mut und Treue. Aber Rathenau ist der Meinung, daß die Epoche der
Mechanisierung in der Evolution der Menschheit nichts anderes bedeute als
einen Durchgang, der zugleich ein Übergang sei zu einer höheren Entwicklungsstufe,
indem die Not eine Auslese zu Neuem, Größerem hervorrufe. So würde der
Mechanismus überwunden durch einen gewaltigen seelischen Ausschwung der
(europäischen?) Menschheit.
Auf diesen Wegen ins Prophetenland können wir demi Verfasser nicht
folgen. Für uns bedeutet die Mechanisierung die Not und Gefahr des Augen¬
blicks (vgl. auch meine Ausführungen in Heft 14 dieses Jahrgangs, S. 16 f.).
Uns ist dieses Zeitalter nicht ein respektvoll zu verehrender Übergang zu höheren
Stufen des Daseins, sondern eine Epoche der Erkrankung, an der unser Volk
zugrunde gehen kann. Und eigentlich hätte nach den gegebenen Prämissen
Rathenaus Buch ausklingen müssen in einen Aufruf an die unsichtbare Kirche
der Mechanisierten, an die germanische Ketzergemeinde in der fanatisierten Masse
der Rechtgläubigen des materialistisch-mechanistischen „Fortschritts". Noch ist
ja der nach Rathenau so „komplizierte und schwierige Beruf des Einsiedlers"
(im Sinne der Bewahrung persönlicher Autonomie) auch in der allgemeinen
Abhängigkeit nicht ausgestorben.
Aber vielleicht ist Rathenaus für die Gegenwart verzichtender Ausblick aus
ein hinter aller Mechanisierung liegendes Sonnenland der Seele darauf zurück-
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