Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Max Dreyer Hier herrscht die Majestät des Kindes, und so wird dieser elternlose, verstoßene Der junge Optimismus, die jungen lieben Illusionen, der Knabenseele ernstes Im "Probekandidaten" stellt Max Dreyer auf dem Boden der ihm Der Drang zur absoluten Wahrhaftigkeit, den wir als eine der persön¬ Von seiner Heimathliebe, seiner Freude an freier Weite, und seinem Hang Ans Dreyers eigener Erde aber steht vor allem in Starrheit und Selbst¬ Grenzboten IV 1912 12
Max Dreyer Hier herrscht die Majestät des Kindes, und so wird dieser elternlose, verstoßene Der junge Optimismus, die jungen lieben Illusionen, der Knabenseele ernstes Im „Probekandidaten" stellt Max Dreyer auf dem Boden der ihm Der Drang zur absoluten Wahrhaftigkeit, den wir als eine der persön¬ Von seiner Heimathliebe, seiner Freude an freier Weite, und seinem Hang Ans Dreyers eigener Erde aber steht vor allem in Starrheit und Selbst¬ Grenzboten IV 1912 12
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322502"/> <fw type="header" place="top"> Max Dreyer</fw><lb/> <p xml:id="ID_418" prev="#ID_417"> Hier herrscht die Majestät des Kindes, und so wird dieser elternlose, verstoßene<lb/> Wicht zum Liebesgott (Amor, der lächelnde Knabe) und Glückbringer.</p><lb/> <p xml:id="ID_419"> Der junge Optimismus, die jungen lieben Illusionen, der Knabenseele ernstes<lb/> Suchen und Sichweiten, das triebhafte Sprießen, des Erwachens Scheu und spröde<lb/> Auflehnung dagegen findet gütig lächelnde und ehrfürchtige Schilderung. Die<lb/> tiefsten und reinsten Töne für die Not dieser Jahre mit ihrer Qual, ihren<lb/> Kämpfen und ihrem Überschwang hat Max Dreyer in seinem innerlichsten<lb/> Stück: „Die siebzehnjährigen" gefunden, wo knabenhafte Reinheit und elemen¬<lb/> tare weibliche Raubtiernatur gcgeneinanderstehen und eine zarte Seele eigentlich<lb/> an einem Irrtum zerbricht. Von Reinheit getragen ist auch „Venu3 ^matkusia",<lb/> ein historisches Stück, dessen fanatischer Jugendheld an dem Zwist der politisch<lb/> gebotenen Keuschheitsforderung und dem Zwang des Blutes zugrunde geht.<lb/> In den Dramen „Der Probekandidat" und „Der Sieger", die an künstlerischer<lb/> Vertiefung manches zu wünschen übrig lassen, ferner im „Hans" begegnen wir<lb/> einem weiteren Dreyerschen Zug: der unbedingten Wahrhaftigkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_420"> Im „Probekandidaten" stellt Max Dreyer auf dem Boden der ihm<lb/> vertrauten Schule eine klare, reinliche, tief wahre Persönlichkeit der unwahr¬<lb/> haftigen, von Herkommen, Streberei und Selbstsucht regierten Menge gegen¬<lb/> über. Um die Wahrheit und Freiheit des Unterrichts geht es. Prächtige,<lb/> ganz eigen gesehene Menschenbilder hat Dreyer hier gefunden. In dem von<lb/> sonnigem Behagen und scharfer Nordseeluft gleichermaßen durchwehten Drama<lb/> „Hans" ist dem Dichter eine aufrechte und klare Frauengestalt von verhaltener<lb/> Güte und Innerlichkeit, die durch die Liebe Weisheit und Verstehen lernt, trefflich<lb/> gelungen. — Um das Eigene der Persönlichkeit und in der Kunst geht es auch<lb/> im nächsten Drama, „Der Sieger", einer leider gänzlich unfertigen Arbeit, die<lb/> zum Kampfstück geworden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_421"> Der Drang zur absoluten Wahrhaftigkeit, den wir als eine der persön¬<lb/> lichsten Eigenschaften Dreyers bezeichnen, führt statt künstlerischer Notwendigkeit<lb/> in einigen späteren Werken die Feder. („Puß", „LLLlesia triumplmns".)</p><lb/> <p xml:id="ID_422"> Von seiner Heimathliebe, seiner Freude an freier Weite, und seinem Hang<lb/> zur Erde, seinem angeborenen Mecklenburger Land und von aufrechten,<lb/> helläugiger Menschen, um die der Duft der Scholle weht, durch deren Seele<lb/> der Meerwind fährt, von Menschen, die auf eigener Erde wurzeln und<lb/> im eigenen Wesen ihr Genüge haben, erzählen die Novellen „Lautes und<lb/> Leises", „Strand". Auf seinem Heimatboden ist „Des Pfarrers Tochter von<lb/> Streladorf" entstanden. Dort sind anch die Blumen Dreverscher Kunst gewachsen,<lb/> die seiner Sprache wahrsten .Klang bekommen haben: sein plattdeutsches Gedicht¬<lb/> buch „Nah Huus", das Frische und Schelmerei und leichte Wehmut vereint.</p><lb/> <p xml:id="ID_423"> Ans Dreyers eigener Erde aber steht vor allem in Starrheit und Selbst¬<lb/> herrlichkeit „Ohm Peter", stehen die drei Helden seines Romans „Auf eigener Erde",<lb/> diese starken, ragenden, bis ans Ende sich selbst getreuen Naturen, auf die man,<lb/> trotz mancher Mängel, vieler Schwächen — nicht ohne Ergriffenheit sehen kann.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1912 12</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0101]
Max Dreyer
Hier herrscht die Majestät des Kindes, und so wird dieser elternlose, verstoßene
Wicht zum Liebesgott (Amor, der lächelnde Knabe) und Glückbringer.
Der junge Optimismus, die jungen lieben Illusionen, der Knabenseele ernstes
Suchen und Sichweiten, das triebhafte Sprießen, des Erwachens Scheu und spröde
Auflehnung dagegen findet gütig lächelnde und ehrfürchtige Schilderung. Die
tiefsten und reinsten Töne für die Not dieser Jahre mit ihrer Qual, ihren
Kämpfen und ihrem Überschwang hat Max Dreyer in seinem innerlichsten
Stück: „Die siebzehnjährigen" gefunden, wo knabenhafte Reinheit und elemen¬
tare weibliche Raubtiernatur gcgeneinanderstehen und eine zarte Seele eigentlich
an einem Irrtum zerbricht. Von Reinheit getragen ist auch „Venu3 ^matkusia",
ein historisches Stück, dessen fanatischer Jugendheld an dem Zwist der politisch
gebotenen Keuschheitsforderung und dem Zwang des Blutes zugrunde geht.
In den Dramen „Der Probekandidat" und „Der Sieger", die an künstlerischer
Vertiefung manches zu wünschen übrig lassen, ferner im „Hans" begegnen wir
einem weiteren Dreyerschen Zug: der unbedingten Wahrhaftigkeit.
Im „Probekandidaten" stellt Max Dreyer auf dem Boden der ihm
vertrauten Schule eine klare, reinliche, tief wahre Persönlichkeit der unwahr¬
haftigen, von Herkommen, Streberei und Selbstsucht regierten Menge gegen¬
über. Um die Wahrheit und Freiheit des Unterrichts geht es. Prächtige,
ganz eigen gesehene Menschenbilder hat Dreyer hier gefunden. In dem von
sonnigem Behagen und scharfer Nordseeluft gleichermaßen durchwehten Drama
„Hans" ist dem Dichter eine aufrechte und klare Frauengestalt von verhaltener
Güte und Innerlichkeit, die durch die Liebe Weisheit und Verstehen lernt, trefflich
gelungen. — Um das Eigene der Persönlichkeit und in der Kunst geht es auch
im nächsten Drama, „Der Sieger", einer leider gänzlich unfertigen Arbeit, die
zum Kampfstück geworden ist.
Der Drang zur absoluten Wahrhaftigkeit, den wir als eine der persön¬
lichsten Eigenschaften Dreyers bezeichnen, führt statt künstlerischer Notwendigkeit
in einigen späteren Werken die Feder. („Puß", „LLLlesia triumplmns".)
Von seiner Heimathliebe, seiner Freude an freier Weite, und seinem Hang
zur Erde, seinem angeborenen Mecklenburger Land und von aufrechten,
helläugiger Menschen, um die der Duft der Scholle weht, durch deren Seele
der Meerwind fährt, von Menschen, die auf eigener Erde wurzeln und
im eigenen Wesen ihr Genüge haben, erzählen die Novellen „Lautes und
Leises", „Strand". Auf seinem Heimatboden ist „Des Pfarrers Tochter von
Streladorf" entstanden. Dort sind anch die Blumen Dreverscher Kunst gewachsen,
die seiner Sprache wahrsten .Klang bekommen haben: sein plattdeutsches Gedicht¬
buch „Nah Huus", das Frische und Schelmerei und leichte Wehmut vereint.
Ans Dreyers eigener Erde aber steht vor allem in Starrheit und Selbst¬
herrlichkeit „Ohm Peter", stehen die drei Helden seines Romans „Auf eigener Erde",
diese starken, ragenden, bis ans Ende sich selbst getreuen Naturen, auf die man,
trotz mancher Mängel, vieler Schwächen — nicht ohne Ergriffenheit sehen kann.
Grenzboten IV 1912 12
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |