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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Acirl Salzcr

Unter der aufgewandten Energie ordnen sich die Gedanken in Reih und Glied, und
er fragt:

"Seid ihr bald fertig? Denn die Gummere müssen gleich aus dem Haus,
weil der Gäulsjud den Rapp wieder holt, wenn's nur erst dunkel worden ist!"

Da zählen die arbeitenden Männer und Weiber und Mädchen nicht weiter.
Sie halten inne und richten sich auf und haben verwunderte Fragen in den Augen.

Jetzt erst merkt Karl, daß er eigentlich zu viel gesagt habe, und tut nun so,
als sei das gar nichts Besonderes:

"Ja, so ist es, ihr LeutI"

Er schiebt die Hände in die Hosentaschen und geht aus den Pferdestall zu,
um die fragenden Augen nicht mehr zu sehen.

Die Leute in der Scheuer aber arbeiten weiter und pfeifen durch die Zähne.
So also stehen die Sachen. Sie sehen sich an, und dann sagt einer laut genug,
daß Karl es hören kann:

"Werrn wir dann do unsern Lohn von dere Woch krieje?"

Da senkt der Bursche den Kopf tief, so daß er fast unter dem Rande
des unteren Stalltürflügels verschwindet. Auf diese Frage kann Karl Salzer keine
Antwort geben, und seine Gedanken haspeln die Antwort auf die Katechismusfrage:
Der Selbstmörder überhäuft die Seinigen mit Schmach und Schande.

Ein Weh zuckt wie ein Peitschenhieb in das Herz och Selbstmördersohnes.
Es hätte zugleich auch ein Haß gegen den Vater darin aufwachen können. Aber
dieses Herz war und ist zu stark mit der dahingeschiedenen Seele verklammert.
So ist nur ein unsagbares Weh, eine abgrundtiefe Traurigkeit, eine trostlose Ver¬
lassenheit in dem erschütterten Kindesherz.

Der Rappe wendet sich um und wiehert, als er seinen Futtermeister sieht:
Wwwjijhihihi! und wirft den Kopf in die Höhe und mustert und stampft und peitscht
die Flanken, die schwarzglänzenden, mit dem Schweife.

Karl ruckt auf, öffnet die Stalltür und geht hinein. Von der Haferkiste
schiebt er den Deckel, schöpft eine Handvoll der langen, spitzen Körner auf und
reicht sie dem Tiere dar. Der freie Arm umschließt den flachen Pferdehals, und
der Bubenkopf lehnt dawider. Der Rappe frißt und leckt danach die gütige Hand.
Der gequälte Mensch empfindet das wie einen liebkosenden Trost und preßt zum
Danke dasür die Nüstern des Tieres an die Brust, stürmisch und innig; und durch
Tränen preßt er die Worte:

"Adscheh, mein lieber, lieber, lieber, lieber Rapp, adscheh!"

Und noch ein Platschen mit der Hand auf den Hals und die Vorderblätter
und dann hinaus aus dem Stalle zu Tante Seelchen ins Haus.

Sie scharrt die erloschenen Kohlen aus der Feuerung des Herdes, um ihn
für die Zubereitung des Nachtessens neu zu heizen. (Fortsetzung folgt)




Acirl Salzcr

Unter der aufgewandten Energie ordnen sich die Gedanken in Reih und Glied, und
er fragt:

„Seid ihr bald fertig? Denn die Gummere müssen gleich aus dem Haus,
weil der Gäulsjud den Rapp wieder holt, wenn's nur erst dunkel worden ist!"

Da zählen die arbeitenden Männer und Weiber und Mädchen nicht weiter.
Sie halten inne und richten sich auf und haben verwunderte Fragen in den Augen.

Jetzt erst merkt Karl, daß er eigentlich zu viel gesagt habe, und tut nun so,
als sei das gar nichts Besonderes:

„Ja, so ist es, ihr LeutI"

Er schiebt die Hände in die Hosentaschen und geht aus den Pferdestall zu,
um die fragenden Augen nicht mehr zu sehen.

Die Leute in der Scheuer aber arbeiten weiter und pfeifen durch die Zähne.
So also stehen die Sachen. Sie sehen sich an, und dann sagt einer laut genug,
daß Karl es hören kann:

„Werrn wir dann do unsern Lohn von dere Woch krieje?"

Da senkt der Bursche den Kopf tief, so daß er fast unter dem Rande
des unteren Stalltürflügels verschwindet. Auf diese Frage kann Karl Salzer keine
Antwort geben, und seine Gedanken haspeln die Antwort auf die Katechismusfrage:
Der Selbstmörder überhäuft die Seinigen mit Schmach und Schande.

Ein Weh zuckt wie ein Peitschenhieb in das Herz och Selbstmördersohnes.
Es hätte zugleich auch ein Haß gegen den Vater darin aufwachen können. Aber
dieses Herz war und ist zu stark mit der dahingeschiedenen Seele verklammert.
So ist nur ein unsagbares Weh, eine abgrundtiefe Traurigkeit, eine trostlose Ver¬
lassenheit in dem erschütterten Kindesherz.

Der Rappe wendet sich um und wiehert, als er seinen Futtermeister sieht:
Wwwjijhihihi! und wirft den Kopf in die Höhe und mustert und stampft und peitscht
die Flanken, die schwarzglänzenden, mit dem Schweife.

Karl ruckt auf, öffnet die Stalltür und geht hinein. Von der Haferkiste
schiebt er den Deckel, schöpft eine Handvoll der langen, spitzen Körner auf und
reicht sie dem Tiere dar. Der freie Arm umschließt den flachen Pferdehals, und
der Bubenkopf lehnt dawider. Der Rappe frißt und leckt danach die gütige Hand.
Der gequälte Mensch empfindet das wie einen liebkosenden Trost und preßt zum
Danke dasür die Nüstern des Tieres an die Brust, stürmisch und innig; und durch
Tränen preßt er die Worte:

„Adscheh, mein lieber, lieber, lieber, lieber Rapp, adscheh!"

Und noch ein Platschen mit der Hand auf den Hals und die Vorderblätter
und dann hinaus aus dem Stalle zu Tante Seelchen ins Haus.

Sie scharrt die erloschenen Kohlen aus der Feuerung des Herdes, um ihn
für die Zubereitung des Nachtessens neu zu heizen. (Fortsetzung folgt)




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[0634] Acirl Salzcr Unter der aufgewandten Energie ordnen sich die Gedanken in Reih und Glied, und er fragt: „Seid ihr bald fertig? Denn die Gummere müssen gleich aus dem Haus, weil der Gäulsjud den Rapp wieder holt, wenn's nur erst dunkel worden ist!" Da zählen die arbeitenden Männer und Weiber und Mädchen nicht weiter. Sie halten inne und richten sich auf und haben verwunderte Fragen in den Augen. Jetzt erst merkt Karl, daß er eigentlich zu viel gesagt habe, und tut nun so, als sei das gar nichts Besonderes: „Ja, so ist es, ihr LeutI" Er schiebt die Hände in die Hosentaschen und geht aus den Pferdestall zu, um die fragenden Augen nicht mehr zu sehen. Die Leute in der Scheuer aber arbeiten weiter und pfeifen durch die Zähne. So also stehen die Sachen. Sie sehen sich an, und dann sagt einer laut genug, daß Karl es hören kann: „Werrn wir dann do unsern Lohn von dere Woch krieje?" Da senkt der Bursche den Kopf tief, so daß er fast unter dem Rande des unteren Stalltürflügels verschwindet. Auf diese Frage kann Karl Salzer keine Antwort geben, und seine Gedanken haspeln die Antwort auf die Katechismusfrage: Der Selbstmörder überhäuft die Seinigen mit Schmach und Schande. Ein Weh zuckt wie ein Peitschenhieb in das Herz och Selbstmördersohnes. Es hätte zugleich auch ein Haß gegen den Vater darin aufwachen können. Aber dieses Herz war und ist zu stark mit der dahingeschiedenen Seele verklammert. So ist nur ein unsagbares Weh, eine abgrundtiefe Traurigkeit, eine trostlose Ver¬ lassenheit in dem erschütterten Kindesherz. Der Rappe wendet sich um und wiehert, als er seinen Futtermeister sieht: Wwwjijhihihi! und wirft den Kopf in die Höhe und mustert und stampft und peitscht die Flanken, die schwarzglänzenden, mit dem Schweife. Karl ruckt auf, öffnet die Stalltür und geht hinein. Von der Haferkiste schiebt er den Deckel, schöpft eine Handvoll der langen, spitzen Körner auf und reicht sie dem Tiere dar. Der freie Arm umschließt den flachen Pferdehals, und der Bubenkopf lehnt dawider. Der Rappe frißt und leckt danach die gütige Hand. Der gequälte Mensch empfindet das wie einen liebkosenden Trost und preßt zum Danke dasür die Nüstern des Tieres an die Brust, stürmisch und innig; und durch Tränen preßt er die Worte: „Adscheh, mein lieber, lieber, lieber, lieber Rapp, adscheh!" Und noch ein Platschen mit der Hand auf den Hals und die Vorderblätter und dann hinaus aus dem Stalle zu Tante Seelchen ins Haus. Sie scharrt die erloschenen Kohlen aus der Feuerung des Herdes, um ihn für die Zubereitung des Nachtessens neu zu heizen. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/634>, abgerufen am 22.07.2024.