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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Aarl Salzcr

der Verkäufer verpflichtet wäre, die Anzahlung von dreihundert Mark zurück¬
zugeben. Sie sehen also ...!"

Tante Seelchen schüttelt nur den Kopf. Der Bürgermeister auch. Karl schießen
die Tränen in die Augen. Den schönen Rappen, der wiehert, wenn er ihn füttert,
soll er wieder hergeben!

Der Bürgermeister sagt zu dem Pferdehändler:

"Katzengold, wenn das so richtig ist, könnt Ihr Euch ja den Gaul holen,
das heißt, der Herr Amtsrichter muß einverstanden sein! Einen guten Rat gebe
ich Euch aber: laßt den Gaul stehen, bis es dunkel ist, sonst hauen die draußen
vor dem Tor Euch das Tier vor Wut kaput!"

Der Jude sieht das ein und bescheidet sich; er wird also den Gaul nach
Eintritt der Dunkelheit holen. Während er ins Haus geht zu dem Polizeidiener,
um von ihm zu erfahren, was die Untersuchung ergeben habe, besichtigen die
anderen die Werkstätte.

Tante Seelchen gibt an, mit dem Besitzstand gut vertraut zu sein. Fremdes
Eigentum könne sie nicht darunter bemerken. Um ganz sicher zu sein, ruft man
den Gesellen aus der Scheuer herbei. Nein, es sei nichts Geliehenes da. Daraufhin
wird auch die Werkstätte versiegelt.

Die Herren gehen wieder ins Haus, der Amtsrichter will dem Seelchen aus¬
einandersetzen, was zu geschehen habe.

Die Altjungfer fragt, ob Karl, der Bub, auch dabei sein könne. Es wäre
ihr schon lieber, daß der auch alles zu wissen bekäme, wenn er auch noch nicht
majorenn sei. Denn auf der Welt könne allerhand vorkommen und man wisse
nie, wie lang man noch da sein dürfe.

"Ja!" sagt der Amtsrichter, "der darf schon dabei sein!"

So kommt denn auch Karl ins Zimmer.

Tante Seelchen rückt die Stühle unterm Tische hervor, wischt mit der Schürze
darüber, damit ja kein unverschämtes Stäubchen sich den Herren an die Hosen
hänge, und lädt die Männer zum Sitzen ein. Der Amtsrichter sagt dem Bürger¬
meister, man bedürfe der Geschäftsbücher noch einmal, um die Richtigkeit der
Unterschrift unter dem Kaufbrief des Juden festzustellen. Auf den Anruf des
Bürgermeisters bringt Rüppel die mit einem Strick zusammengeschnürten dickleibigen
Geschäftsbücher herein und legt sie auf den Tisch.

Der Jude ist hinter ihm zur Tür hereingeschlüpft und präsentiert dienstbeflissen
seinen Kaufbrief.

Als dem Polizeidiener geheißen wird, die Bücher noch einmal zu entschnüren,
knurrt er beim Aufknoteln des kreuzweise gebundenen Strickes in den Bart hinein:

"Man ist aber dene große Leut grad ihren Ass; aweil zusammen machen und
dann wieder auseinander!"

Der Amtsrichter und der Bürgermeister beugen sich über die aufgeschlagenen
Bücher und vergleichen die Unterschrist unter dem Kaufbrief mit dem Namenszug
in den Geschäftsbüchern. Dann hält der Amtsrichter das Blatt gegen das Licht,
ob da auch keine Rasur vorgenommen sei. Nichts. Er nimmt die Lupe aus der
Westentasche, klappt sie auf und fährt damit die Zeilen nach. Keine aufgesträubten
Papierfaserchen sind sichtbar. Also keine Rasur und alles in Ordnung. Da gibt
er dem Juden den Kaufbrief zurück und sagt ihm:


Aarl Salzcr

der Verkäufer verpflichtet wäre, die Anzahlung von dreihundert Mark zurück¬
zugeben. Sie sehen also ...!"

Tante Seelchen schüttelt nur den Kopf. Der Bürgermeister auch. Karl schießen
die Tränen in die Augen. Den schönen Rappen, der wiehert, wenn er ihn füttert,
soll er wieder hergeben!

Der Bürgermeister sagt zu dem Pferdehändler:

„Katzengold, wenn das so richtig ist, könnt Ihr Euch ja den Gaul holen,
das heißt, der Herr Amtsrichter muß einverstanden sein! Einen guten Rat gebe
ich Euch aber: laßt den Gaul stehen, bis es dunkel ist, sonst hauen die draußen
vor dem Tor Euch das Tier vor Wut kaput!"

Der Jude sieht das ein und bescheidet sich; er wird also den Gaul nach
Eintritt der Dunkelheit holen. Während er ins Haus geht zu dem Polizeidiener,
um von ihm zu erfahren, was die Untersuchung ergeben habe, besichtigen die
anderen die Werkstätte.

Tante Seelchen gibt an, mit dem Besitzstand gut vertraut zu sein. Fremdes
Eigentum könne sie nicht darunter bemerken. Um ganz sicher zu sein, ruft man
den Gesellen aus der Scheuer herbei. Nein, es sei nichts Geliehenes da. Daraufhin
wird auch die Werkstätte versiegelt.

Die Herren gehen wieder ins Haus, der Amtsrichter will dem Seelchen aus¬
einandersetzen, was zu geschehen habe.

Die Altjungfer fragt, ob Karl, der Bub, auch dabei sein könne. Es wäre
ihr schon lieber, daß der auch alles zu wissen bekäme, wenn er auch noch nicht
majorenn sei. Denn auf der Welt könne allerhand vorkommen und man wisse
nie, wie lang man noch da sein dürfe.

„Ja!" sagt der Amtsrichter, „der darf schon dabei sein!"

So kommt denn auch Karl ins Zimmer.

Tante Seelchen rückt die Stühle unterm Tische hervor, wischt mit der Schürze
darüber, damit ja kein unverschämtes Stäubchen sich den Herren an die Hosen
hänge, und lädt die Männer zum Sitzen ein. Der Amtsrichter sagt dem Bürger¬
meister, man bedürfe der Geschäftsbücher noch einmal, um die Richtigkeit der
Unterschrift unter dem Kaufbrief des Juden festzustellen. Auf den Anruf des
Bürgermeisters bringt Rüppel die mit einem Strick zusammengeschnürten dickleibigen
Geschäftsbücher herein und legt sie auf den Tisch.

Der Jude ist hinter ihm zur Tür hereingeschlüpft und präsentiert dienstbeflissen
seinen Kaufbrief.

Als dem Polizeidiener geheißen wird, die Bücher noch einmal zu entschnüren,
knurrt er beim Aufknoteln des kreuzweise gebundenen Strickes in den Bart hinein:

„Man ist aber dene große Leut grad ihren Ass; aweil zusammen machen und
dann wieder auseinander!"

Der Amtsrichter und der Bürgermeister beugen sich über die aufgeschlagenen
Bücher und vergleichen die Unterschrist unter dem Kaufbrief mit dem Namenszug
in den Geschäftsbüchern. Dann hält der Amtsrichter das Blatt gegen das Licht,
ob da auch keine Rasur vorgenommen sei. Nichts. Er nimmt die Lupe aus der
Westentasche, klappt sie auf und fährt damit die Zeilen nach. Keine aufgesträubten
Papierfaserchen sind sichtbar. Also keine Rasur und alles in Ordnung. Da gibt
er dem Juden den Kaufbrief zurück und sagt ihm:


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[0630] Aarl Salzcr der Verkäufer verpflichtet wäre, die Anzahlung von dreihundert Mark zurück¬ zugeben. Sie sehen also ...!" Tante Seelchen schüttelt nur den Kopf. Der Bürgermeister auch. Karl schießen die Tränen in die Augen. Den schönen Rappen, der wiehert, wenn er ihn füttert, soll er wieder hergeben! Der Bürgermeister sagt zu dem Pferdehändler: „Katzengold, wenn das so richtig ist, könnt Ihr Euch ja den Gaul holen, das heißt, der Herr Amtsrichter muß einverstanden sein! Einen guten Rat gebe ich Euch aber: laßt den Gaul stehen, bis es dunkel ist, sonst hauen die draußen vor dem Tor Euch das Tier vor Wut kaput!" Der Jude sieht das ein und bescheidet sich; er wird also den Gaul nach Eintritt der Dunkelheit holen. Während er ins Haus geht zu dem Polizeidiener, um von ihm zu erfahren, was die Untersuchung ergeben habe, besichtigen die anderen die Werkstätte. Tante Seelchen gibt an, mit dem Besitzstand gut vertraut zu sein. Fremdes Eigentum könne sie nicht darunter bemerken. Um ganz sicher zu sein, ruft man den Gesellen aus der Scheuer herbei. Nein, es sei nichts Geliehenes da. Daraufhin wird auch die Werkstätte versiegelt. Die Herren gehen wieder ins Haus, der Amtsrichter will dem Seelchen aus¬ einandersetzen, was zu geschehen habe. Die Altjungfer fragt, ob Karl, der Bub, auch dabei sein könne. Es wäre ihr schon lieber, daß der auch alles zu wissen bekäme, wenn er auch noch nicht majorenn sei. Denn auf der Welt könne allerhand vorkommen und man wisse nie, wie lang man noch da sein dürfe. „Ja!" sagt der Amtsrichter, „der darf schon dabei sein!" So kommt denn auch Karl ins Zimmer. Tante Seelchen rückt die Stühle unterm Tische hervor, wischt mit der Schürze darüber, damit ja kein unverschämtes Stäubchen sich den Herren an die Hosen hänge, und lädt die Männer zum Sitzen ein. Der Amtsrichter sagt dem Bürger¬ meister, man bedürfe der Geschäftsbücher noch einmal, um die Richtigkeit der Unterschrift unter dem Kaufbrief des Juden festzustellen. Auf den Anruf des Bürgermeisters bringt Rüppel die mit einem Strick zusammengeschnürten dickleibigen Geschäftsbücher herein und legt sie auf den Tisch. Der Jude ist hinter ihm zur Tür hereingeschlüpft und präsentiert dienstbeflissen seinen Kaufbrief. Als dem Polizeidiener geheißen wird, die Bücher noch einmal zu entschnüren, knurrt er beim Aufknoteln des kreuzweise gebundenen Strickes in den Bart hinein: „Man ist aber dene große Leut grad ihren Ass; aweil zusammen machen und dann wieder auseinander!" Der Amtsrichter und der Bürgermeister beugen sich über die aufgeschlagenen Bücher und vergleichen die Unterschrist unter dem Kaufbrief mit dem Namenszug in den Geschäftsbüchern. Dann hält der Amtsrichter das Blatt gegen das Licht, ob da auch keine Rasur vorgenommen sei. Nichts. Er nimmt die Lupe aus der Westentasche, klappt sie auf und fährt damit die Zeilen nach. Keine aufgesträubten Papierfaserchen sind sichtbar. Also keine Rasur und alles in Ordnung. Da gibt er dem Juden den Kaufbrief zurück und sagt ihm:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/630>, abgerufen am 22.07.2024.