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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Neuer Glauben

Nordens, laßt die Aufträge, die ihr Europa gebt, uns zukommen; es wird euer
Vorteil sein! Wir bauen euch Bahnen, deren ihr so dringend bedürft, um die
Gebiete von Paraguay, Bolivien und Peru unter eure Herrschaft zu bringen,
die nach dem Testament Bolivars euch gehören und die ihr bis jetzt nur des¬
halb noch nicht kontrolliert, weil euch das nötige Kleingeld dazu fehlt; wir
haben es, kommt zu uns.




Wir fassen noch einmal zusammen: Das auf den panamerikanischen Kon¬
gressen wiederholt erörterte Korrelat der von Herrn von Dirksen in Heft 15
dieser Zeitschrift geistvoll zerpflückten Monroedoktrin ist das des freisinnigen argen¬
tinischen Juristen Drago: seit 1907 die Drago-Porter Doktrin. Aber sie soll den
Stempel des Panamerikanischen tragen. Südamerika den Nordamerikanern.
Nordamerika wird darüber wachen, daß kein Schweizer, Holländer oder Belgier
-- auch diese kleineren europäischen Nationen haben in Südamerika vielfach
bedeutende wirtschaftliche Interessen -- staatlichen Schutz erhält, wenn er in
Asuncion infolge der ewigen Parteikämpfe um die Früchte seiner Lebensarbeit
gebracht wird. Wenn sich jedoch die Quitener und Guauaquilener gegen Uankee-
übermut und -ausbeutung auflehnen, dann schickt man Sterncnbar.nerkreuzer den
braunen, breiten Fluß hinauf.




Neuer Glauben
V Dr. Paul Ernst on

cum man das neunzehnte Jahrhundert im ganzen überblickt, so
muß man sagen, daß es irreligiös war; Versuche romantischer
Erneuerung alter Religiosität fanden zwar in den führenden
Kreisen der Zeit statt, aber schon die Gleichzeitigen erkannten, daß
es sich hier nicht um ernste Dinge handelte, sondern um eine Art
von Spiel. Im Grunde war das neunzehnte Jahrhundert, wie das achtzehnte,
intellektualistisch und optimistisch: es vergrößerte und organisierte unser Wissen,
und indem es die Interessen des Erwerbs zur Herrschaft brachte, erzeugte es
ungeahnte materielle Leistungen der Menschen, damit einen neuen großen Reichtum
in den bürgerlichen, ein bis dahin unbekanntes Wohlleben in den arbeitenden
Kreisen, und eine außerordentliche Bevölkerungsvermehrung. Wie diese Be¬
völkerungsvermehrung aus den weniger wertvollen Schichten des Volkes erfolgte,


Neuer Glauben

Nordens, laßt die Aufträge, die ihr Europa gebt, uns zukommen; es wird euer
Vorteil sein! Wir bauen euch Bahnen, deren ihr so dringend bedürft, um die
Gebiete von Paraguay, Bolivien und Peru unter eure Herrschaft zu bringen,
die nach dem Testament Bolivars euch gehören und die ihr bis jetzt nur des¬
halb noch nicht kontrolliert, weil euch das nötige Kleingeld dazu fehlt; wir
haben es, kommt zu uns.




Wir fassen noch einmal zusammen: Das auf den panamerikanischen Kon¬
gressen wiederholt erörterte Korrelat der von Herrn von Dirksen in Heft 15
dieser Zeitschrift geistvoll zerpflückten Monroedoktrin ist das des freisinnigen argen¬
tinischen Juristen Drago: seit 1907 die Drago-Porter Doktrin. Aber sie soll den
Stempel des Panamerikanischen tragen. Südamerika den Nordamerikanern.
Nordamerika wird darüber wachen, daß kein Schweizer, Holländer oder Belgier
— auch diese kleineren europäischen Nationen haben in Südamerika vielfach
bedeutende wirtschaftliche Interessen — staatlichen Schutz erhält, wenn er in
Asuncion infolge der ewigen Parteikämpfe um die Früchte seiner Lebensarbeit
gebracht wird. Wenn sich jedoch die Quitener und Guauaquilener gegen Uankee-
übermut und -ausbeutung auflehnen, dann schickt man Sterncnbar.nerkreuzer den
braunen, breiten Fluß hinauf.




Neuer Glauben
V Dr. Paul Ernst on

cum man das neunzehnte Jahrhundert im ganzen überblickt, so
muß man sagen, daß es irreligiös war; Versuche romantischer
Erneuerung alter Religiosität fanden zwar in den führenden
Kreisen der Zeit statt, aber schon die Gleichzeitigen erkannten, daß
es sich hier nicht um ernste Dinge handelte, sondern um eine Art
von Spiel. Im Grunde war das neunzehnte Jahrhundert, wie das achtzehnte,
intellektualistisch und optimistisch: es vergrößerte und organisierte unser Wissen,
und indem es die Interessen des Erwerbs zur Herrschaft brachte, erzeugte es
ungeahnte materielle Leistungen der Menschen, damit einen neuen großen Reichtum
in den bürgerlichen, ein bis dahin unbekanntes Wohlleben in den arbeitenden
Kreisen, und eine außerordentliche Bevölkerungsvermehrung. Wie diese Be¬
völkerungsvermehrung aus den weniger wertvollen Schichten des Volkes erfolgte,


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[0603] Neuer Glauben Nordens, laßt die Aufträge, die ihr Europa gebt, uns zukommen; es wird euer Vorteil sein! Wir bauen euch Bahnen, deren ihr so dringend bedürft, um die Gebiete von Paraguay, Bolivien und Peru unter eure Herrschaft zu bringen, die nach dem Testament Bolivars euch gehören und die ihr bis jetzt nur des¬ halb noch nicht kontrolliert, weil euch das nötige Kleingeld dazu fehlt; wir haben es, kommt zu uns. Wir fassen noch einmal zusammen: Das auf den panamerikanischen Kon¬ gressen wiederholt erörterte Korrelat der von Herrn von Dirksen in Heft 15 dieser Zeitschrift geistvoll zerpflückten Monroedoktrin ist das des freisinnigen argen¬ tinischen Juristen Drago: seit 1907 die Drago-Porter Doktrin. Aber sie soll den Stempel des Panamerikanischen tragen. Südamerika den Nordamerikanern. Nordamerika wird darüber wachen, daß kein Schweizer, Holländer oder Belgier — auch diese kleineren europäischen Nationen haben in Südamerika vielfach bedeutende wirtschaftliche Interessen — staatlichen Schutz erhält, wenn er in Asuncion infolge der ewigen Parteikämpfe um die Früchte seiner Lebensarbeit gebracht wird. Wenn sich jedoch die Quitener und Guauaquilener gegen Uankee- übermut und -ausbeutung auflehnen, dann schickt man Sterncnbar.nerkreuzer den braunen, breiten Fluß hinauf. Neuer Glauben V Dr. Paul Ernst on cum man das neunzehnte Jahrhundert im ganzen überblickt, so muß man sagen, daß es irreligiös war; Versuche romantischer Erneuerung alter Religiosität fanden zwar in den führenden Kreisen der Zeit statt, aber schon die Gleichzeitigen erkannten, daß es sich hier nicht um ernste Dinge handelte, sondern um eine Art von Spiel. Im Grunde war das neunzehnte Jahrhundert, wie das achtzehnte, intellektualistisch und optimistisch: es vergrößerte und organisierte unser Wissen, und indem es die Interessen des Erwerbs zur Herrschaft brachte, erzeugte es ungeahnte materielle Leistungen der Menschen, damit einen neuen großen Reichtum in den bürgerlichen, ein bis dahin unbekanntes Wohlleben in den arbeitenden Kreisen, und eine außerordentliche Bevölkerungsvermehrung. Wie diese Be¬ völkerungsvermehrung aus den weniger wertvollen Schichten des Volkes erfolgte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/603>, abgerufen am 22.07.2024.