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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Wird die Sächsische Regierung fähig sein,
solche Forderungen mit Erfolg zurückzuweisen?
Obwohl Sachsen bis jetzt keine konfessionelle
Schule im eigentlichen Sinne, sondern
nur konfessionelle Schulgemeinden hat, war
doch der Berichterstatter der national-
liberalen Fraktion in der Schuldeputation
des Landtags in der Lage, Beispiele da¬
für anzuführen, daß die Anweisungen des
Schuldirektors von dem katholischen Geist¬
lichen, der den Religionsunterricht in der
Schule erteilte, in ganz unverfrorener Art
mißachtet worden sind. Wenn das am grünen
Holze geschieht, was soll am dürren werden?
Die Entwicklung ist unaufhaltsam, sobald der
Staat die Grundlagen seiner Hoheitsrechte
zugunsten der römischen Kirche irgendwie in
Frage stellen läßt. Die Vertreter der Re¬
gierung, die jetzt in Lehrermaßregelungen
schwelgt, hatten für die Mitteilungen des Be¬
richterstatters nur das Lächeln bedauerlicher
Hilflosigkeit. Auch liegt auf der Hand, daß
schon der jetzige Zustand der Kirche einen
Rechtsanspruch auf die Schule in deren Ge¬
samtheit gewährt. Denn wenn man eine
Gruppe von Staatsbürgern ausersieht, die
Schule zu verwalten, und die^e Gruppe
nun nach dem Gesichtspunkt auswählt,
daß ihre Mitglieder der gleichen Konfession
angehören, so wird notwendig dieser Gesichts¬
punkt über die Entwicklung der ganzen An¬
stalt entscheiden! Das Sonderinteresse der
Konfessionsangehörigen wird ja von dem
Staate geradezu herausgefordert, der kann
dann nicht mehr das allgemeine Interesse
dagegen ausspielen wollen, wenn er erst ohne
Nötigung den Konfessionalismus zum Ver¬
walter und Erhalter der ihm selbst obliegen¬
den Veranstaltung berufen hat. Dies geschieht
nun, wie hervorgehoben, schon jetzt bei den
Schulen des katholischen Volksteils, und zwar
ohne daß die Negierung Widerstand wagte.
Das soll in Zukunft wiederum gesetzlich fest¬
gelegt werden.

, Hat nun aber die Mehrheit des sächsischen
Volks, die ja Protestantisch ist, wirklich das
gleiche Interesse an dem bestehenden Zustand,
der hier verewigt werden soll? Wir wollen
einmal die Frage in ihrer Allgenieinheit aus¬
schalten, ob es für den Stnatsgedanken er¬
träglich ist, die staatlichen Funktionen Ge-

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bilden zu übertragen, die anderen als staat¬
lichen Zwecken dienen; wir wollen sie nur
vom Standpunkt der Parität erörtern, und
da stellt sich dann das Exempel ganz uner¬
freulich. Erst in einer neueren Entscheidung
hat das Oberverwaltungsgericht mit vollem
Rechte festgestellt, daß die Schulgemeinden der
Mehrheit gar nicht konfessionell sind, sondern
-- interkonfessionell! Der Mehrheitsgemeinde
gehören nämlich die Angehörigen aller
Glaubensrichtungen an, die nicht eine eigene
Schulgemeinde bilden. Also nur für die
Minderheitsgemeinde, das heißt in Sachsen
für die katholische Schulgemeinde ist das von
der Regierung erfundene Schlagwort inhaltlich
gerechtfertigt, die Mehrheit der sächsischen
Bevölkerung wird mit diesem billigen Mittel
um das Mindeste gebracht, was sie als Mehr¬
heit beanspruchen könnte, nämlich um die
Gleichberechtigung mit der Minderheit. Alle
die evangelischen Familienväter, die in einer
künstlich genährten Erregung für die kon¬
fessionelle Schule aufgerufen werden, sehen
nicht, daß sie damit nur die Geschäfte der
katholischen Minderheit führen, daß aber für
sie selbst, nämlich die Protestantischen Staats¬
bürger, das Wort konfessionelle Schnlgemeinde
ein leerer Schall ist. Die Negierung hat gar
nicht die Absicht, mit der evangelisch-luthe¬
rischen Schulgemeinde Ernst zu machen, son¬
dern nur den Willen, der katholischen Minder¬
heit solche Opfer an Slaatsrechten zu bringen.
So dient der Lockruf "konfessionelle Schule"
letzten Endes dazu, die Protestantische Mehr¬
heit zu benachteiligen.

Überblicken wir das Verhalten der Regie¬
rung, so können wir uns des Eindrucks nicht
erwehren, daß die Regierung entweder ihrer
Aufgabe nicht gewachsen ist, oder daß ihr die
Hände gebunden sind, und sie durch ein irre¬
führendes Gewebe von Vorstellungen, das
sich um die Worte "konfessionelle Schule"
spinnt, ihre üble Lage verschleiern will.
Keinesfalls zeigt sie sich auf der Höhe als
Vertreterin der Stnatsrechte, wenn sie Auf¬
gaben, die nur dem Staate zufallen, auf
kirchlich zusammengesetzte Körperschaften über¬
trägt, und damit notwendig staatliche
Vorrechte preisgibt, ebensowenig wie dort,
wo sie als gleichzeitige Inhaberin des
Vorsitzes in evanZsIicis die evangelischen

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Grenzboten III 191273
Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Wird die Sächsische Regierung fähig sein,
solche Forderungen mit Erfolg zurückzuweisen?
Obwohl Sachsen bis jetzt keine konfessionelle
Schule im eigentlichen Sinne, sondern
nur konfessionelle Schulgemeinden hat, war
doch der Berichterstatter der national-
liberalen Fraktion in der Schuldeputation
des Landtags in der Lage, Beispiele da¬
für anzuführen, daß die Anweisungen des
Schuldirektors von dem katholischen Geist¬
lichen, der den Religionsunterricht in der
Schule erteilte, in ganz unverfrorener Art
mißachtet worden sind. Wenn das am grünen
Holze geschieht, was soll am dürren werden?
Die Entwicklung ist unaufhaltsam, sobald der
Staat die Grundlagen seiner Hoheitsrechte
zugunsten der römischen Kirche irgendwie in
Frage stellen läßt. Die Vertreter der Re¬
gierung, die jetzt in Lehrermaßregelungen
schwelgt, hatten für die Mitteilungen des Be¬
richterstatters nur das Lächeln bedauerlicher
Hilflosigkeit. Auch liegt auf der Hand, daß
schon der jetzige Zustand der Kirche einen
Rechtsanspruch auf die Schule in deren Ge¬
samtheit gewährt. Denn wenn man eine
Gruppe von Staatsbürgern ausersieht, die
Schule zu verwalten, und die^e Gruppe
nun nach dem Gesichtspunkt auswählt,
daß ihre Mitglieder der gleichen Konfession
angehören, so wird notwendig dieser Gesichts¬
punkt über die Entwicklung der ganzen An¬
stalt entscheiden! Das Sonderinteresse der
Konfessionsangehörigen wird ja von dem
Staate geradezu herausgefordert, der kann
dann nicht mehr das allgemeine Interesse
dagegen ausspielen wollen, wenn er erst ohne
Nötigung den Konfessionalismus zum Ver¬
walter und Erhalter der ihm selbst obliegen¬
den Veranstaltung berufen hat. Dies geschieht
nun, wie hervorgehoben, schon jetzt bei den
Schulen des katholischen Volksteils, und zwar
ohne daß die Negierung Widerstand wagte.
Das soll in Zukunft wiederum gesetzlich fest¬
gelegt werden.

, Hat nun aber die Mehrheit des sächsischen
Volks, die ja Protestantisch ist, wirklich das
gleiche Interesse an dem bestehenden Zustand,
der hier verewigt werden soll? Wir wollen
einmal die Frage in ihrer Allgenieinheit aus¬
schalten, ob es für den Stnatsgedanken er¬
träglich ist, die staatlichen Funktionen Ge-

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bilden zu übertragen, die anderen als staat¬
lichen Zwecken dienen; wir wollen sie nur
vom Standpunkt der Parität erörtern, und
da stellt sich dann das Exempel ganz uner¬
freulich. Erst in einer neueren Entscheidung
hat das Oberverwaltungsgericht mit vollem
Rechte festgestellt, daß die Schulgemeinden der
Mehrheit gar nicht konfessionell sind, sondern
— interkonfessionell! Der Mehrheitsgemeinde
gehören nämlich die Angehörigen aller
Glaubensrichtungen an, die nicht eine eigene
Schulgemeinde bilden. Also nur für die
Minderheitsgemeinde, das heißt in Sachsen
für die katholische Schulgemeinde ist das von
der Regierung erfundene Schlagwort inhaltlich
gerechtfertigt, die Mehrheit der sächsischen
Bevölkerung wird mit diesem billigen Mittel
um das Mindeste gebracht, was sie als Mehr¬
heit beanspruchen könnte, nämlich um die
Gleichberechtigung mit der Minderheit. Alle
die evangelischen Familienväter, die in einer
künstlich genährten Erregung für die kon¬
fessionelle Schule aufgerufen werden, sehen
nicht, daß sie damit nur die Geschäfte der
katholischen Minderheit führen, daß aber für
sie selbst, nämlich die Protestantischen Staats¬
bürger, das Wort konfessionelle Schnlgemeinde
ein leerer Schall ist. Die Negierung hat gar
nicht die Absicht, mit der evangelisch-luthe¬
rischen Schulgemeinde Ernst zu machen, son¬
dern nur den Willen, der katholischen Minder¬
heit solche Opfer an Slaatsrechten zu bringen.
So dient der Lockruf „konfessionelle Schule"
letzten Endes dazu, die Protestantische Mehr¬
heit zu benachteiligen.

Überblicken wir das Verhalten der Regie¬
rung, so können wir uns des Eindrucks nicht
erwehren, daß die Regierung entweder ihrer
Aufgabe nicht gewachsen ist, oder daß ihr die
Hände gebunden sind, und sie durch ein irre¬
führendes Gewebe von Vorstellungen, das
sich um die Worte „konfessionelle Schule"
spinnt, ihre üble Lage verschleiern will.
Keinesfalls zeigt sie sich auf der Höhe als
Vertreterin der Stnatsrechte, wenn sie Auf¬
gaben, die nur dem Staate zufallen, auf
kirchlich zusammengesetzte Körperschaften über¬
trägt, und damit notwendig staatliche
Vorrechte preisgibt, ebensowenig wie dort,
wo sie als gleichzeitige Inhaberin des
Vorsitzes in evanZsIicis die evangelischen

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Grenzboten III 191273
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[0585] Maßgebliches und Unmaßgebliches Wird die Sächsische Regierung fähig sein, solche Forderungen mit Erfolg zurückzuweisen? Obwohl Sachsen bis jetzt keine konfessionelle Schule im eigentlichen Sinne, sondern nur konfessionelle Schulgemeinden hat, war doch der Berichterstatter der national- liberalen Fraktion in der Schuldeputation des Landtags in der Lage, Beispiele da¬ für anzuführen, daß die Anweisungen des Schuldirektors von dem katholischen Geist¬ lichen, der den Religionsunterricht in der Schule erteilte, in ganz unverfrorener Art mißachtet worden sind. Wenn das am grünen Holze geschieht, was soll am dürren werden? Die Entwicklung ist unaufhaltsam, sobald der Staat die Grundlagen seiner Hoheitsrechte zugunsten der römischen Kirche irgendwie in Frage stellen läßt. Die Vertreter der Re¬ gierung, die jetzt in Lehrermaßregelungen schwelgt, hatten für die Mitteilungen des Be¬ richterstatters nur das Lächeln bedauerlicher Hilflosigkeit. Auch liegt auf der Hand, daß schon der jetzige Zustand der Kirche einen Rechtsanspruch auf die Schule in deren Ge¬ samtheit gewährt. Denn wenn man eine Gruppe von Staatsbürgern ausersieht, die Schule zu verwalten, und die^e Gruppe nun nach dem Gesichtspunkt auswählt, daß ihre Mitglieder der gleichen Konfession angehören, so wird notwendig dieser Gesichts¬ punkt über die Entwicklung der ganzen An¬ stalt entscheiden! Das Sonderinteresse der Konfessionsangehörigen wird ja von dem Staate geradezu herausgefordert, der kann dann nicht mehr das allgemeine Interesse dagegen ausspielen wollen, wenn er erst ohne Nötigung den Konfessionalismus zum Ver¬ walter und Erhalter der ihm selbst obliegen¬ den Veranstaltung berufen hat. Dies geschieht nun, wie hervorgehoben, schon jetzt bei den Schulen des katholischen Volksteils, und zwar ohne daß die Negierung Widerstand wagte. Das soll in Zukunft wiederum gesetzlich fest¬ gelegt werden. , Hat nun aber die Mehrheit des sächsischen Volks, die ja Protestantisch ist, wirklich das gleiche Interesse an dem bestehenden Zustand, der hier verewigt werden soll? Wir wollen einmal die Frage in ihrer Allgenieinheit aus¬ schalten, ob es für den Stnatsgedanken er¬ träglich ist, die staatlichen Funktionen Ge- bilden zu übertragen, die anderen als staat¬ lichen Zwecken dienen; wir wollen sie nur vom Standpunkt der Parität erörtern, und da stellt sich dann das Exempel ganz uner¬ freulich. Erst in einer neueren Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht mit vollem Rechte festgestellt, daß die Schulgemeinden der Mehrheit gar nicht konfessionell sind, sondern — interkonfessionell! Der Mehrheitsgemeinde gehören nämlich die Angehörigen aller Glaubensrichtungen an, die nicht eine eigene Schulgemeinde bilden. Also nur für die Minderheitsgemeinde, das heißt in Sachsen für die katholische Schulgemeinde ist das von der Regierung erfundene Schlagwort inhaltlich gerechtfertigt, die Mehrheit der sächsischen Bevölkerung wird mit diesem billigen Mittel um das Mindeste gebracht, was sie als Mehr¬ heit beanspruchen könnte, nämlich um die Gleichberechtigung mit der Minderheit. Alle die evangelischen Familienväter, die in einer künstlich genährten Erregung für die kon¬ fessionelle Schule aufgerufen werden, sehen nicht, daß sie damit nur die Geschäfte der katholischen Minderheit führen, daß aber für sie selbst, nämlich die Protestantischen Staats¬ bürger, das Wort konfessionelle Schnlgemeinde ein leerer Schall ist. Die Negierung hat gar nicht die Absicht, mit der evangelisch-luthe¬ rischen Schulgemeinde Ernst zu machen, son¬ dern nur den Willen, der katholischen Minder¬ heit solche Opfer an Slaatsrechten zu bringen. So dient der Lockruf „konfessionelle Schule" letzten Endes dazu, die Protestantische Mehr¬ heit zu benachteiligen. Überblicken wir das Verhalten der Regie¬ rung, so können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, daß die Regierung entweder ihrer Aufgabe nicht gewachsen ist, oder daß ihr die Hände gebunden sind, und sie durch ein irre¬ führendes Gewebe von Vorstellungen, das sich um die Worte „konfessionelle Schule" spinnt, ihre üble Lage verschleiern will. Keinesfalls zeigt sie sich auf der Höhe als Vertreterin der Stnatsrechte, wenn sie Auf¬ gaben, die nur dem Staate zufallen, auf kirchlich zusammengesetzte Körperschaften über¬ trägt, und damit notwendig staatliche Vorrechte preisgibt, ebensowenig wie dort, wo sie als gleichzeitige Inhaberin des Vorsitzes in evanZsIicis die evangelischen Grenzboten III 191273

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/585>, abgerufen am 22.07.2024.