Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Karl Salzer

"Sophie, mei' MaadI"

Die Angerufene schielt ein wenig nach der Seite, richtet den Blick wieder
gerade aus, schreit aber mit gellender Stimme in ihre eigene Teilnahmlosigkeit
hinein:

"Das ist net mein Vater!"

Dann bewegen sich ihre Lippen, als spreche sie mit sich selbst.

Karl geht.

Im Hausgang begegnet ihm der Geselle, der ihn fragt:

"Karl, meinen mir's net übel: Essen wir heut nix? 's ist schon drei Uhr und
wär bald Zeit, daß man vespern tat!"

"Willem, 's ist halt heut ein großer Durcheinander. Ich hab auch noch nix
gessen; aber wenn du Hunger hast, back dir ein paar Eier und hol dir einen
Schoppen Wein aus dem Keller!"

Auf dem Wege zum Arzt begegnet ihm die Hungelsgret. die zu den Berufs¬
frommen des Dorfes gehört. Wie sie den Burschen sieht, bleibt sie stehen, stützt
die Hände auf die Hüften und schwadroniert:

"So, du, hör mol, du Schlingell Weißt du auch, daß dein Vatter ganz
schandbar gehandelt Hot an unserm gut katholische Ort? Das is jo ganz himmel¬
schreiend! Na, die Schmach wird schon auf ihn zurückfalle!"

Karl erwidert nichts; er besinnt sich, ob das wirklich der erste Selbstmord
im Dorfe sei. Eigentlich weiß er ganz genau, daß es der erste ist, aber er möchte,
daß ihm ein früher geschehener einfalle. Man möchte sich gerne erinnern, was
es damals alles gegeben hat, möchte in einem so schweren Falle ein Beispiel
haben, nach dem man sich richten könnte. Aber es fällt ihm nichts ein. Im
Wirtshaus hat-man hin und wieder wohl auch über den Selbstmord gesprochen,
wenn einer in der Zeitung verzeichnet stand.

Als der Bursche mit seinem Sinnieren so weit ist, bleibt er stehen und legt
den Finger an die Nase. Man hat im Wirtshaus auch schon erzählt, daß einem
reichen Selbstmörder selten das kirchliche Begräbnis verweigert werde.

Ein Bauer kommt des Wegs und sieht den Schmiedesohn so nachdenklich
dastehen. Er fragt ihn mit einem höhnischen Grinsen:

"Na, eich geht jetzert viel im Kopp erum, hä?"

In Karl wabert der Zorn in die Höhe. Soll er sich denn von jedem
anrempeln lassen?

"Haltet Euer Maul, wenn Ihr net gefragt seid! Was braucht Ihr Euch an
mir zu reiben?"

"Du dunnerkeilser frecher Lausbu! Willschte aach noch ebbes eraushawwe
dafor, daß dein Vatter en Spitzbu war?"

Karl ballt die Fäuste und droht mit blitzenden Blicken:

"Hütet Euch, Vetter, meinem Vater was nachzureden, 's möcht Euch übel
aufstoßen!"

Mit einem verächtlichen "Lausbub, dreckiger!" geht der Bauer weiter. Auch
Karl setzt seinen Weg fort und nimmt seinen Gedankengang wieder auf.

Also reiche Selbstmörder begräbt man mit kirchlichen Ehren. Wohl deshalb,
weil man sich da von den Erben einen saftigen Brocken verspricht? Wenn also
der Vater die Kasse nun doch in Ordnung hinterlassen hätte und die Bauern mit


Karl Salzer

„Sophie, mei' MaadI"

Die Angerufene schielt ein wenig nach der Seite, richtet den Blick wieder
gerade aus, schreit aber mit gellender Stimme in ihre eigene Teilnahmlosigkeit
hinein:

„Das ist net mein Vater!"

Dann bewegen sich ihre Lippen, als spreche sie mit sich selbst.

Karl geht.

Im Hausgang begegnet ihm der Geselle, der ihn fragt:

„Karl, meinen mir's net übel: Essen wir heut nix? 's ist schon drei Uhr und
wär bald Zeit, daß man vespern tat!"

„Willem, 's ist halt heut ein großer Durcheinander. Ich hab auch noch nix
gessen; aber wenn du Hunger hast, back dir ein paar Eier und hol dir einen
Schoppen Wein aus dem Keller!"

Auf dem Wege zum Arzt begegnet ihm die Hungelsgret. die zu den Berufs¬
frommen des Dorfes gehört. Wie sie den Burschen sieht, bleibt sie stehen, stützt
die Hände auf die Hüften und schwadroniert:

„So, du, hör mol, du Schlingell Weißt du auch, daß dein Vatter ganz
schandbar gehandelt Hot an unserm gut katholische Ort? Das is jo ganz himmel¬
schreiend! Na, die Schmach wird schon auf ihn zurückfalle!"

Karl erwidert nichts; er besinnt sich, ob das wirklich der erste Selbstmord
im Dorfe sei. Eigentlich weiß er ganz genau, daß es der erste ist, aber er möchte,
daß ihm ein früher geschehener einfalle. Man möchte sich gerne erinnern, was
es damals alles gegeben hat, möchte in einem so schweren Falle ein Beispiel
haben, nach dem man sich richten könnte. Aber es fällt ihm nichts ein. Im
Wirtshaus hat-man hin und wieder wohl auch über den Selbstmord gesprochen,
wenn einer in der Zeitung verzeichnet stand.

Als der Bursche mit seinem Sinnieren so weit ist, bleibt er stehen und legt
den Finger an die Nase. Man hat im Wirtshaus auch schon erzählt, daß einem
reichen Selbstmörder selten das kirchliche Begräbnis verweigert werde.

Ein Bauer kommt des Wegs und sieht den Schmiedesohn so nachdenklich
dastehen. Er fragt ihn mit einem höhnischen Grinsen:

„Na, eich geht jetzert viel im Kopp erum, hä?"

In Karl wabert der Zorn in die Höhe. Soll er sich denn von jedem
anrempeln lassen?

„Haltet Euer Maul, wenn Ihr net gefragt seid! Was braucht Ihr Euch an
mir zu reiben?"

„Du dunnerkeilser frecher Lausbu! Willschte aach noch ebbes eraushawwe
dafor, daß dein Vatter en Spitzbu war?"

Karl ballt die Fäuste und droht mit blitzenden Blicken:

„Hütet Euch, Vetter, meinem Vater was nachzureden, 's möcht Euch übel
aufstoßen!"

Mit einem verächtlichen „Lausbub, dreckiger!" geht der Bauer weiter. Auch
Karl setzt seinen Weg fort und nimmt seinen Gedankengang wieder auf.

Also reiche Selbstmörder begräbt man mit kirchlichen Ehren. Wohl deshalb,
weil man sich da von den Erben einen saftigen Brocken verspricht? Wenn also
der Vater die Kasse nun doch in Ordnung hinterlassen hätte und die Bauern mit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0576" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322323"/>
          <fw type="header" place="top"> Karl Salzer</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2533"> &#x201E;Sophie, mei' MaadI"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2534"> Die Angerufene schielt ein wenig nach der Seite, richtet den Blick wieder<lb/>
gerade aus, schreit aber mit gellender Stimme in ihre eigene Teilnahmlosigkeit<lb/>
hinein:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2535"> &#x201E;Das ist net mein Vater!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2536"> Dann bewegen sich ihre Lippen, als spreche sie mit sich selbst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2537"> Karl geht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2538"> Im Hausgang begegnet ihm der Geselle, der ihn fragt:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2539"> &#x201E;Karl, meinen mir's net übel: Essen wir heut nix? 's ist schon drei Uhr und<lb/>
wär bald Zeit, daß man vespern tat!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2540"> &#x201E;Willem, 's ist halt heut ein großer Durcheinander. Ich hab auch noch nix<lb/>
gessen; aber wenn du Hunger hast, back dir ein paar Eier und hol dir einen<lb/>
Schoppen Wein aus dem Keller!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2541"> Auf dem Wege zum Arzt begegnet ihm die Hungelsgret. die zu den Berufs¬<lb/>
frommen des Dorfes gehört. Wie sie den Burschen sieht, bleibt sie stehen, stützt<lb/>
die Hände auf die Hüften und schwadroniert:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2542"> &#x201E;So, du, hör mol, du Schlingell Weißt du auch, daß dein Vatter ganz<lb/>
schandbar gehandelt Hot an unserm gut katholische Ort? Das is jo ganz himmel¬<lb/>
schreiend! Na, die Schmach wird schon auf ihn zurückfalle!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2543"> Karl erwidert nichts; er besinnt sich, ob das wirklich der erste Selbstmord<lb/>
im Dorfe sei. Eigentlich weiß er ganz genau, daß es der erste ist, aber er möchte,<lb/>
daß ihm ein früher geschehener einfalle. Man möchte sich gerne erinnern, was<lb/>
es damals alles gegeben hat, möchte in einem so schweren Falle ein Beispiel<lb/>
haben, nach dem man sich richten könnte. Aber es fällt ihm nichts ein. Im<lb/>
Wirtshaus hat-man hin und wieder wohl auch über den Selbstmord gesprochen,<lb/>
wenn einer in der Zeitung verzeichnet stand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2544"> Als der Bursche mit seinem Sinnieren so weit ist, bleibt er stehen und legt<lb/>
den Finger an die Nase. Man hat im Wirtshaus auch schon erzählt, daß einem<lb/>
reichen Selbstmörder selten das kirchliche Begräbnis verweigert werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2545"> Ein Bauer kommt des Wegs und sieht den Schmiedesohn so nachdenklich<lb/>
dastehen. Er fragt ihn mit einem höhnischen Grinsen:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2546"> &#x201E;Na, eich geht jetzert viel im Kopp erum, hä?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2547"> In Karl wabert der Zorn in die Höhe. Soll er sich denn von jedem<lb/>
anrempeln lassen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2548"> &#x201E;Haltet Euer Maul, wenn Ihr net gefragt seid! Was braucht Ihr Euch an<lb/>
mir zu reiben?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2549"> &#x201E;Du dunnerkeilser frecher Lausbu! Willschte aach noch ebbes eraushawwe<lb/>
dafor, daß dein Vatter en Spitzbu war?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2550"> Karl ballt die Fäuste und droht mit blitzenden Blicken:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2551"> &#x201E;Hütet Euch, Vetter, meinem Vater was nachzureden, 's möcht Euch übel<lb/>
aufstoßen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2552"> Mit einem verächtlichen &#x201E;Lausbub, dreckiger!" geht der Bauer weiter. Auch<lb/>
Karl setzt seinen Weg fort und nimmt seinen Gedankengang wieder auf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2553" next="#ID_2554"> Also reiche Selbstmörder begräbt man mit kirchlichen Ehren. Wohl deshalb,<lb/>
weil man sich da von den Erben einen saftigen Brocken verspricht? Wenn also<lb/>
der Vater die Kasse nun doch in Ordnung hinterlassen hätte und die Bauern mit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0576] Karl Salzer „Sophie, mei' MaadI" Die Angerufene schielt ein wenig nach der Seite, richtet den Blick wieder gerade aus, schreit aber mit gellender Stimme in ihre eigene Teilnahmlosigkeit hinein: „Das ist net mein Vater!" Dann bewegen sich ihre Lippen, als spreche sie mit sich selbst. Karl geht. Im Hausgang begegnet ihm der Geselle, der ihn fragt: „Karl, meinen mir's net übel: Essen wir heut nix? 's ist schon drei Uhr und wär bald Zeit, daß man vespern tat!" „Willem, 's ist halt heut ein großer Durcheinander. Ich hab auch noch nix gessen; aber wenn du Hunger hast, back dir ein paar Eier und hol dir einen Schoppen Wein aus dem Keller!" Auf dem Wege zum Arzt begegnet ihm die Hungelsgret. die zu den Berufs¬ frommen des Dorfes gehört. Wie sie den Burschen sieht, bleibt sie stehen, stützt die Hände auf die Hüften und schwadroniert: „So, du, hör mol, du Schlingell Weißt du auch, daß dein Vatter ganz schandbar gehandelt Hot an unserm gut katholische Ort? Das is jo ganz himmel¬ schreiend! Na, die Schmach wird schon auf ihn zurückfalle!" Karl erwidert nichts; er besinnt sich, ob das wirklich der erste Selbstmord im Dorfe sei. Eigentlich weiß er ganz genau, daß es der erste ist, aber er möchte, daß ihm ein früher geschehener einfalle. Man möchte sich gerne erinnern, was es damals alles gegeben hat, möchte in einem so schweren Falle ein Beispiel haben, nach dem man sich richten könnte. Aber es fällt ihm nichts ein. Im Wirtshaus hat-man hin und wieder wohl auch über den Selbstmord gesprochen, wenn einer in der Zeitung verzeichnet stand. Als der Bursche mit seinem Sinnieren so weit ist, bleibt er stehen und legt den Finger an die Nase. Man hat im Wirtshaus auch schon erzählt, daß einem reichen Selbstmörder selten das kirchliche Begräbnis verweigert werde. Ein Bauer kommt des Wegs und sieht den Schmiedesohn so nachdenklich dastehen. Er fragt ihn mit einem höhnischen Grinsen: „Na, eich geht jetzert viel im Kopp erum, hä?" In Karl wabert der Zorn in die Höhe. Soll er sich denn von jedem anrempeln lassen? „Haltet Euer Maul, wenn Ihr net gefragt seid! Was braucht Ihr Euch an mir zu reiben?" „Du dunnerkeilser frecher Lausbu! Willschte aach noch ebbes eraushawwe dafor, daß dein Vatter en Spitzbu war?" Karl ballt die Fäuste und droht mit blitzenden Blicken: „Hütet Euch, Vetter, meinem Vater was nachzureden, 's möcht Euch übel aufstoßen!" Mit einem verächtlichen „Lausbub, dreckiger!" geht der Bauer weiter. Auch Karl setzt seinen Weg fort und nimmt seinen Gedankengang wieder auf. Also reiche Selbstmörder begräbt man mit kirchlichen Ehren. Wohl deshalb, weil man sich da von den Erben einen saftigen Brocken verspricht? Wenn also der Vater die Kasse nun doch in Ordnung hinterlassen hätte und die Bauern mit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/576
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/576>, abgerufen am 22.07.2024.