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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Bstcrrcichische Dichterinnen

Indra auf die Probe gestellt und als ein Ungehorsamer mit ewiger Strafe
bedroht, hält er mit ruhiger Willenssicherheit an seinem Entschlüsse fest. Dieser
Kult des gütigen Mitleids, diese Freude am festen Willen, dieses nicht unbescheidene
aber denkerstolze Wesen dem Göttlichen gegenüber ist für beide Dichterinnen
charakteristisch. Auch den leisen Konservatismus, den Beten Paoli bei aller
Freiheit des Grübelns und Mitleidens in der Nennung jenes leisen Makels an
A?ota durchblicken läßt -- der gute König hat "im Liebesrausch die altehrwürdigen
Satzungen mißachtend" sein Brahmanenblut mit gemeineren gemischt -- auch
diese eigenartige Verschmelzung konservativen und liberalen Empfindens teilt
Betty Paoli mit Marie Ebner. Aber während es der jüngeren Dichterin glückt,
über Zweisel und Bitterkeit zur Harmonie emporzusteigen, enthalten gerade die
letzten Worte Beten Paolis viel Zweifel und Qual, was denn rückwirkend ihren
Willensanspannungen ein wenig den Stempel unfreien Gladiatorentums auf¬
drückt. Dies mag auch der Grund dafür sein, daß dieser Dichterin alles
eigentlich Kindliche versagt ist. Wohl meint sie von sich selber:

Aber die zweite Aussage beruht bestimmt auf Selbsttäuschung, und auch
die erste stimmt nur in soweit, als es sich um rein Gedankliches, nicht aber
um die dichterische Form handelt. Betty Paolis Verse stürmen niemals einher,
sie haben aber auch nur in den seltensten Fällen ein rhythmisch sanftes Schreiten;
meist ist etwas Hartes in ihnen, man spürt die Willenskraft, mit der ein
stolzer Mensch sein Liebesleid überwindet, die Wahrheit zu suchen und zu
ertragen bemüht ist. Milder und dabei altfränkisch graziös scheint die Dichterin
nur in ihren lehrhaften Alexandrinern, die manche tiefe Weisheit zumal des
Herzens aufs schlichteste ausdrücken. Eine Corneille-ähnliche Verherrlichung des
überwindenden Willens steht freilich auch hier im Zentrum:

Aber daneben findet man auch die schöne und auch wirklich angewandte
Maxime:

Während sich Betty Paoli in diesem Grundsatz eng mit Marie Ebner
berührt, ist sie ihr weit unterlegen auf einem Gebiete, das für die jüngere
Dichterin das ausschlaggebende werden sollte: Betty Paolis Versuche, zu
erzählen, die novellistischen wie die balladischen, mißlingen innerlich und äußerlich.
Format scheitern die Balladen an einer gewissen Mattigkeit, die wenigen Novellen
an einer Sprödigkeit; innerlich hindert die stoische Willenshaltung ein volles
Ausschwingen des Tragischen, und kein leisester Humor trägt zur Sänftigung
der reichlich vorhandenen Tragik bei. Dagegen ist Marie Ebner gerade die
Kunst des Erzählens verliehen; sie weiß jene "mildeste Form" zu wahren, auch


Bstcrrcichische Dichterinnen

Indra auf die Probe gestellt und als ein Ungehorsamer mit ewiger Strafe
bedroht, hält er mit ruhiger Willenssicherheit an seinem Entschlüsse fest. Dieser
Kult des gütigen Mitleids, diese Freude am festen Willen, dieses nicht unbescheidene
aber denkerstolze Wesen dem Göttlichen gegenüber ist für beide Dichterinnen
charakteristisch. Auch den leisen Konservatismus, den Beten Paoli bei aller
Freiheit des Grübelns und Mitleidens in der Nennung jenes leisen Makels an
A?ota durchblicken läßt — der gute König hat „im Liebesrausch die altehrwürdigen
Satzungen mißachtend" sein Brahmanenblut mit gemeineren gemischt — auch
diese eigenartige Verschmelzung konservativen und liberalen Empfindens teilt
Betty Paoli mit Marie Ebner. Aber während es der jüngeren Dichterin glückt,
über Zweisel und Bitterkeit zur Harmonie emporzusteigen, enthalten gerade die
letzten Worte Beten Paolis viel Zweifel und Qual, was denn rückwirkend ihren
Willensanspannungen ein wenig den Stempel unfreien Gladiatorentums auf¬
drückt. Dies mag auch der Grund dafür sein, daß dieser Dichterin alles
eigentlich Kindliche versagt ist. Wohl meint sie von sich selber:

Aber die zweite Aussage beruht bestimmt auf Selbsttäuschung, und auch
die erste stimmt nur in soweit, als es sich um rein Gedankliches, nicht aber
um die dichterische Form handelt. Betty Paolis Verse stürmen niemals einher,
sie haben aber auch nur in den seltensten Fällen ein rhythmisch sanftes Schreiten;
meist ist etwas Hartes in ihnen, man spürt die Willenskraft, mit der ein
stolzer Mensch sein Liebesleid überwindet, die Wahrheit zu suchen und zu
ertragen bemüht ist. Milder und dabei altfränkisch graziös scheint die Dichterin
nur in ihren lehrhaften Alexandrinern, die manche tiefe Weisheit zumal des
Herzens aufs schlichteste ausdrücken. Eine Corneille-ähnliche Verherrlichung des
überwindenden Willens steht freilich auch hier im Zentrum:

Aber daneben findet man auch die schöne und auch wirklich angewandte
Maxime:

Während sich Betty Paoli in diesem Grundsatz eng mit Marie Ebner
berührt, ist sie ihr weit unterlegen auf einem Gebiete, das für die jüngere
Dichterin das ausschlaggebende werden sollte: Betty Paolis Versuche, zu
erzählen, die novellistischen wie die balladischen, mißlingen innerlich und äußerlich.
Format scheitern die Balladen an einer gewissen Mattigkeit, die wenigen Novellen
an einer Sprödigkeit; innerlich hindert die stoische Willenshaltung ein volles
Ausschwingen des Tragischen, und kein leisester Humor trägt zur Sänftigung
der reichlich vorhandenen Tragik bei. Dagegen ist Marie Ebner gerade die
Kunst des Erzählens verliehen; sie weiß jene „mildeste Form" zu wahren, auch


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[0571] Bstcrrcichische Dichterinnen Indra auf die Probe gestellt und als ein Ungehorsamer mit ewiger Strafe bedroht, hält er mit ruhiger Willenssicherheit an seinem Entschlüsse fest. Dieser Kult des gütigen Mitleids, diese Freude am festen Willen, dieses nicht unbescheidene aber denkerstolze Wesen dem Göttlichen gegenüber ist für beide Dichterinnen charakteristisch. Auch den leisen Konservatismus, den Beten Paoli bei aller Freiheit des Grübelns und Mitleidens in der Nennung jenes leisen Makels an A?ota durchblicken läßt — der gute König hat „im Liebesrausch die altehrwürdigen Satzungen mißachtend" sein Brahmanenblut mit gemeineren gemischt — auch diese eigenartige Verschmelzung konservativen und liberalen Empfindens teilt Betty Paoli mit Marie Ebner. Aber während es der jüngeren Dichterin glückt, über Zweisel und Bitterkeit zur Harmonie emporzusteigen, enthalten gerade die letzten Worte Beten Paolis viel Zweifel und Qual, was denn rückwirkend ihren Willensanspannungen ein wenig den Stempel unfreien Gladiatorentums auf¬ drückt. Dies mag auch der Grund dafür sein, daß dieser Dichterin alles eigentlich Kindliche versagt ist. Wohl meint sie von sich selber: Aber die zweite Aussage beruht bestimmt auf Selbsttäuschung, und auch die erste stimmt nur in soweit, als es sich um rein Gedankliches, nicht aber um die dichterische Form handelt. Betty Paolis Verse stürmen niemals einher, sie haben aber auch nur in den seltensten Fällen ein rhythmisch sanftes Schreiten; meist ist etwas Hartes in ihnen, man spürt die Willenskraft, mit der ein stolzer Mensch sein Liebesleid überwindet, die Wahrheit zu suchen und zu ertragen bemüht ist. Milder und dabei altfränkisch graziös scheint die Dichterin nur in ihren lehrhaften Alexandrinern, die manche tiefe Weisheit zumal des Herzens aufs schlichteste ausdrücken. Eine Corneille-ähnliche Verherrlichung des überwindenden Willens steht freilich auch hier im Zentrum: Aber daneben findet man auch die schöne und auch wirklich angewandte Maxime: Während sich Betty Paoli in diesem Grundsatz eng mit Marie Ebner berührt, ist sie ihr weit unterlegen auf einem Gebiete, das für die jüngere Dichterin das ausschlaggebende werden sollte: Betty Paolis Versuche, zu erzählen, die novellistischen wie die balladischen, mißlingen innerlich und äußerlich. Format scheitern die Balladen an einer gewissen Mattigkeit, die wenigen Novellen an einer Sprödigkeit; innerlich hindert die stoische Willenshaltung ein volles Ausschwingen des Tragischen, und kein leisester Humor trägt zur Sänftigung der reichlich vorhandenen Tragik bei. Dagegen ist Marie Ebner gerade die Kunst des Erzählens verliehen; sie weiß jene „mildeste Form" zu wahren, auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/571>, abgerufen am 22.07.2024.