Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.![]() schaffen und Genießen Die Tendenz zur reinen Konsumtion und ihre Bekämpfung Professor Dr. Alfred Vierkandt von III. Das Abnorme und Schädliche der reinen Konsumtion besteht in der abso¬ ![]() schaffen und Genießen Die Tendenz zur reinen Konsumtion und ihre Bekämpfung Professor Dr. Alfred Vierkandt von III. Das Abnorme und Schädliche der reinen Konsumtion besteht in der abso¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322248"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_321746/figures/grenzboten_341895_321746_322248_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> schaffen und Genießen<lb/> Die Tendenz zur reinen Konsumtion und ihre Bekämpfung<lb/><lb/> <note type="byline"> Professor Dr. Alfred Vierkandt</note> von</head><lb/> <div n="2"> <head> III.</head><lb/> <p xml:id="ID_2172" next="#ID_2173"> Das Abnorme und Schädliche der reinen Konsumtion besteht in der abso¬<lb/> luten Passivität des Gesamtzustandes, der keinerlei Kräfte anregt oder betätigt,<lb/> und daher, wo er auf die Dauer dominiert, zu einer Erschlaffung oder Ver¬<lb/> weichlichung führen muß. Anzustreben ist an seiner Stelle ein Zustand der<lb/> Muße, der mit der Ausspannung und Erholung eine gewisse Aktivität vereinigt,<lb/> eine Verfassung, wie sie außerhalb unserer spezifischen Kulturzustände sür das Be¬<lb/> reich der Muße bei weitem überwiegt. Wir können ihn noch täglich beim Kinde<lb/> beobachten: das Spiel, mit dem es seine freie Zeit ausfüllt, ist durchaus nicht rein<lb/> passiver Natur, setzt vielmehr Phantasie, Wille und Gefühl auf die mannigfachste<lb/> Weise in Tätigkeit. Ähnlich ist es, wenn Sagen oder Märchen bei den Natur¬<lb/> völkern oder bei unserer Landbevölkerung von Mund zu Mund übermittelt<lb/> werden: häufig wandelt sich dabei fortgesetzt ihre Fassung — ein unmittelbarer<lb/> Beweis dafür, daß sie eben nicht rein passiv aufgenommen, sondern in ganz<lb/> bestimmter Weise aufgefaßt, zu anderen Erlebnissen in Beziehung gesetzt und<lb/> verarbeitet werden. Was also an die Stelle der reinen Konsumtion treten muß,<lb/> das ist ein Zustand von produktivem Charakter; und zwar muß er in zweierlei<lb/> Sinn produktiv sein: in formaler Hinsicht, sofern er die verschiedenen Tätigkeiten<lb/> des Geistes, Auffassungsvermögen Gedächtnis, Phantasie, Urteilskraft, Gefühls¬<lb/> und Willensleben, in Bewegung setzt; und in inhaltlicher Hinsicht, indem er der<lb/> Seele neue Besitztümer, neue Erkenntnisse, neue Auffassungsweisen, neue Arten<lb/> des Gefühlsverhaltens und des Willenslebens zuführt. Als produktiv können<lb/> wir einen solchen Zustand deswegen bezeichnen, weil durch die beiden eben an¬<lb/> gedeuteten Reihen von Wirkungen die Persönlichkeit in der Tat wirkungskräftiger<lb/> gestaltet wird: jede Übung von Kräften stärkt diese, und jede inhaltliche<lb/> Bereicherung der Seele erhöht ebenfalls ihre Fähigkeit, sich in der Welt zu<lb/> behaupten, aus ihr Nahrung zu schöpfen und auf sie zurückzuwirken. Das beste<lb/> Vorbild für diese Unigestaltung liefert der Sport in der Sommer- und Winter¬<lb/> frische. So viel man vom Standpunkte der stillen Beschaulichkeit und eines</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0501]
[Abbildung]
schaffen und Genießen
Die Tendenz zur reinen Konsumtion und ihre Bekämpfung
Professor Dr. Alfred Vierkandt von
III.
Das Abnorme und Schädliche der reinen Konsumtion besteht in der abso¬
luten Passivität des Gesamtzustandes, der keinerlei Kräfte anregt oder betätigt,
und daher, wo er auf die Dauer dominiert, zu einer Erschlaffung oder Ver¬
weichlichung führen muß. Anzustreben ist an seiner Stelle ein Zustand der
Muße, der mit der Ausspannung und Erholung eine gewisse Aktivität vereinigt,
eine Verfassung, wie sie außerhalb unserer spezifischen Kulturzustände sür das Be¬
reich der Muße bei weitem überwiegt. Wir können ihn noch täglich beim Kinde
beobachten: das Spiel, mit dem es seine freie Zeit ausfüllt, ist durchaus nicht rein
passiver Natur, setzt vielmehr Phantasie, Wille und Gefühl auf die mannigfachste
Weise in Tätigkeit. Ähnlich ist es, wenn Sagen oder Märchen bei den Natur¬
völkern oder bei unserer Landbevölkerung von Mund zu Mund übermittelt
werden: häufig wandelt sich dabei fortgesetzt ihre Fassung — ein unmittelbarer
Beweis dafür, daß sie eben nicht rein passiv aufgenommen, sondern in ganz
bestimmter Weise aufgefaßt, zu anderen Erlebnissen in Beziehung gesetzt und
verarbeitet werden. Was also an die Stelle der reinen Konsumtion treten muß,
das ist ein Zustand von produktivem Charakter; und zwar muß er in zweierlei
Sinn produktiv sein: in formaler Hinsicht, sofern er die verschiedenen Tätigkeiten
des Geistes, Auffassungsvermögen Gedächtnis, Phantasie, Urteilskraft, Gefühls¬
und Willensleben, in Bewegung setzt; und in inhaltlicher Hinsicht, indem er der
Seele neue Besitztümer, neue Erkenntnisse, neue Auffassungsweisen, neue Arten
des Gefühlsverhaltens und des Willenslebens zuführt. Als produktiv können
wir einen solchen Zustand deswegen bezeichnen, weil durch die beiden eben an¬
gedeuteten Reihen von Wirkungen die Persönlichkeit in der Tat wirkungskräftiger
gestaltet wird: jede Übung von Kräften stärkt diese, und jede inhaltliche
Bereicherung der Seele erhöht ebenfalls ihre Fähigkeit, sich in der Welt zu
behaupten, aus ihr Nahrung zu schöpfen und auf sie zurückzuwirken. Das beste
Vorbild für diese Unigestaltung liefert der Sport in der Sommer- und Winter¬
frische. So viel man vom Standpunkte der stillen Beschaulichkeit und eines
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