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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Nenroyalisten in Frankreich

Politik. Die energischen und gebildeten Führer greifen die Regierung an ihrer
schwachen Seite geschickt an, weisen auf die faulen Stellen im Parlamentarismus,
auf die Unordnung infolge der mangelnden Stetigkeit der verantwortlichen
Ministerien, auf den bestehenden Zusammenhang zwischen Politik und Geschäft,
die Mißerfolge in der internationalen Politik. Dieser Kampf gegen die Re¬
gierung gibt ihnen etwas Frondistisches, Revolutionäres und führt ihnen viele
enthusiastische junge Leute, namentlich Studenten zu, die sich und ihr Vaterland
aus der Enge der herrschenden und allmächtigen Parteipolitik heraussehnen.

Revolutionär ist auch ihre Sprache und die Art ihrer öffentlichen Kund¬
gebungen. Sie haben denselben Wortschatz wie die Anarchisten, sie schwelgen
in kräftigen Ausdrücken, in übertriebenen Bildern. Sie beherrschen die Straße
mit ihrem lärmenden "Vive le l?c"i! ^ das la Kopublique!" wie einst die
Republikaner zu Zeiten der Monarchie mit ihrem "Vive la Köpublique!"
Anfänglich mißfiel diese laute Straßenpropaganda dem Kronprätendenten, dem
Herzog von Orleans; er desavouierte die "Lamelots ein Ko^", deren Auf¬
treten ihm zu kompromittierend schien. Aber bald überzeugte er sich, daß ihre
Methode die einzig richtige und wirksame sei; so kam eine Versöhnung zustande,
und heute können die Neuronalisten als die offiziellen Vertreter des hoffenden
Königtums angesehen werden.

Der Royalismus in Frankreich hat seit seiner Auffrischung durch die
^ction I^ran?Al8L unverkennbare Fortschritte gemacht. Seine Anhänger stammen
aus dem großen und kleinen Landadel, aus der studierenden Jugend, dem zu
allen Zeiten konservativ gesinnten Beamtentum und einer Schar Unzufriedener,
die, ohne bestimmte Ziele zu haben, einfach etwas anderes herbeisehnen. Das
"Volk", die große Masse fehlt vorläufig noch. Die Royalisten verhehlen sich
nicht, daß das Königtum an sich noch ziemlich unpopulär ist. Deshalb tritt
bei ihnen die eigentliche Verfassungsfcage hinter speziellen Forderungen zurück;
und deshalb versichern sie auch immer wieder dem anderen Parlamentsgegner,
der anarchistisch-sozialistischen Lonfüciöration an l^avait, daß sie durchaus
gemeinsame Interessen hätten. Aber so sehr sich beide einig sühlen in dem
Haß gegen die Negierungsmänner, in der Verachtung des parlamentarischen
und des "demokratischen" Regimes, so sehr sie sich beide als Märtyrer und
Unterdrückte nahe stehen, so wenig wollen die revolutionären Sozialdemokraten
etwas von einer Regierungsform wissen, die ihre Theorie verdammt.




Die Nenroyalisten in Frankreich

Politik. Die energischen und gebildeten Führer greifen die Regierung an ihrer
schwachen Seite geschickt an, weisen auf die faulen Stellen im Parlamentarismus,
auf die Unordnung infolge der mangelnden Stetigkeit der verantwortlichen
Ministerien, auf den bestehenden Zusammenhang zwischen Politik und Geschäft,
die Mißerfolge in der internationalen Politik. Dieser Kampf gegen die Re¬
gierung gibt ihnen etwas Frondistisches, Revolutionäres und führt ihnen viele
enthusiastische junge Leute, namentlich Studenten zu, die sich und ihr Vaterland
aus der Enge der herrschenden und allmächtigen Parteipolitik heraussehnen.

Revolutionär ist auch ihre Sprache und die Art ihrer öffentlichen Kund¬
gebungen. Sie haben denselben Wortschatz wie die Anarchisten, sie schwelgen
in kräftigen Ausdrücken, in übertriebenen Bildern. Sie beherrschen die Straße
mit ihrem lärmenden „Vive le l?c»i! ^ das la Kopublique!" wie einst die
Republikaner zu Zeiten der Monarchie mit ihrem „Vive la Köpublique!"
Anfänglich mißfiel diese laute Straßenpropaganda dem Kronprätendenten, dem
Herzog von Orleans; er desavouierte die „Lamelots ein Ko^", deren Auf¬
treten ihm zu kompromittierend schien. Aber bald überzeugte er sich, daß ihre
Methode die einzig richtige und wirksame sei; so kam eine Versöhnung zustande,
und heute können die Neuronalisten als die offiziellen Vertreter des hoffenden
Königtums angesehen werden.

Der Royalismus in Frankreich hat seit seiner Auffrischung durch die
^ction I^ran?Al8L unverkennbare Fortschritte gemacht. Seine Anhänger stammen
aus dem großen und kleinen Landadel, aus der studierenden Jugend, dem zu
allen Zeiten konservativ gesinnten Beamtentum und einer Schar Unzufriedener,
die, ohne bestimmte Ziele zu haben, einfach etwas anderes herbeisehnen. Das
„Volk", die große Masse fehlt vorläufig noch. Die Royalisten verhehlen sich
nicht, daß das Königtum an sich noch ziemlich unpopulär ist. Deshalb tritt
bei ihnen die eigentliche Verfassungsfcage hinter speziellen Forderungen zurück;
und deshalb versichern sie auch immer wieder dem anderen Parlamentsgegner,
der anarchistisch-sozialistischen Lonfüciöration an l^avait, daß sie durchaus
gemeinsame Interessen hätten. Aber so sehr sich beide einig sühlen in dem
Haß gegen die Negierungsmänner, in der Verachtung des parlamentarischen
und des „demokratischen" Regimes, so sehr sie sich beide als Märtyrer und
Unterdrückte nahe stehen, so wenig wollen die revolutionären Sozialdemokraten
etwas von einer Regierungsform wissen, die ihre Theorie verdammt.




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[0500] Die Nenroyalisten in Frankreich Politik. Die energischen und gebildeten Führer greifen die Regierung an ihrer schwachen Seite geschickt an, weisen auf die faulen Stellen im Parlamentarismus, auf die Unordnung infolge der mangelnden Stetigkeit der verantwortlichen Ministerien, auf den bestehenden Zusammenhang zwischen Politik und Geschäft, die Mißerfolge in der internationalen Politik. Dieser Kampf gegen die Re¬ gierung gibt ihnen etwas Frondistisches, Revolutionäres und führt ihnen viele enthusiastische junge Leute, namentlich Studenten zu, die sich und ihr Vaterland aus der Enge der herrschenden und allmächtigen Parteipolitik heraussehnen. Revolutionär ist auch ihre Sprache und die Art ihrer öffentlichen Kund¬ gebungen. Sie haben denselben Wortschatz wie die Anarchisten, sie schwelgen in kräftigen Ausdrücken, in übertriebenen Bildern. Sie beherrschen die Straße mit ihrem lärmenden „Vive le l?c»i! ^ das la Kopublique!" wie einst die Republikaner zu Zeiten der Monarchie mit ihrem „Vive la Köpublique!" Anfänglich mißfiel diese laute Straßenpropaganda dem Kronprätendenten, dem Herzog von Orleans; er desavouierte die „Lamelots ein Ko^", deren Auf¬ treten ihm zu kompromittierend schien. Aber bald überzeugte er sich, daß ihre Methode die einzig richtige und wirksame sei; so kam eine Versöhnung zustande, und heute können die Neuronalisten als die offiziellen Vertreter des hoffenden Königtums angesehen werden. Der Royalismus in Frankreich hat seit seiner Auffrischung durch die ^ction I^ran?Al8L unverkennbare Fortschritte gemacht. Seine Anhänger stammen aus dem großen und kleinen Landadel, aus der studierenden Jugend, dem zu allen Zeiten konservativ gesinnten Beamtentum und einer Schar Unzufriedener, die, ohne bestimmte Ziele zu haben, einfach etwas anderes herbeisehnen. Das „Volk", die große Masse fehlt vorläufig noch. Die Royalisten verhehlen sich nicht, daß das Königtum an sich noch ziemlich unpopulär ist. Deshalb tritt bei ihnen die eigentliche Verfassungsfcage hinter speziellen Forderungen zurück; und deshalb versichern sie auch immer wieder dem anderen Parlamentsgegner, der anarchistisch-sozialistischen Lonfüciöration an l^avait, daß sie durchaus gemeinsame Interessen hätten. Aber so sehr sich beide einig sühlen in dem Haß gegen die Negierungsmänner, in der Verachtung des parlamentarischen und des „demokratischen" Regimes, so sehr sie sich beide als Märtyrer und Unterdrückte nahe stehen, so wenig wollen die revolutionären Sozialdemokraten etwas von einer Regierungsform wissen, die ihre Theorie verdammt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/500>, abgerufen am 03.07.2024.