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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Karl Salzcr

"Das sollst du mir büßen, Kerl, daß du meinen Vater einen Spitzbub
geheißen hast! Lebendig kommst du mir net aus den Händ'!"

Die beiden Frauen eilen hinter ihm drein. Sie holen ihn ein, bevor er an
März herankommt, und klammern sich an ihn. Sophie jammert:

"Karl, lieber Karl, mach dich doch net unglücklich wegen so einem Saufbold!"

Da bleibt der Bursche steheu, schüttelt mit unbändiger Kraft die Arme, an
denen er festgehalten wird, bäumt mit dem Oberkörper zurück und knirscht:

"Wollt ihr mich gehn lassen, ihr dreckig Weibsvolk!"

Doch sie lassen nicht locker; sie lassen sich hin und her schütteln, aber sie
lassen nicht locker. Schließlich fallen alle drei zu Boden. Karl versucht wieder
auszukommen, allein die beiden Frauen werfen sich über ihn und pressen ihn mit
der Last ihrer Körper auf die Erde nieder, so lange, bis der Seppel weit genug
fort ist, um nicht mehr eingeholt werden zu können. Dann erst stehen sie auf.
Auch Karl erhebt sich und wendet sich seiner Schwester zu. Aber noch ehe er ein
Wort an sie richten kann, hört er oben vom Wege her seinen Namen rufen.
Vielleicht der Vater?

Er dreht sich herum und sieht hinauf. Es ist nicht der Vater. Denn in dem
Fuhrwerk, das auf dem Wege oben angehalten hat, geht kein Rappe, sondern ein
Schimmel. Karl fragt die Frauen:

"Ist das net der Hummel?"

Die beiden bejahen und sehen ebenfalls gespannt nach dem Gefährt. Der
Bauer winkt mit der Peitsche und ruft noch einmal:

"Karl, Sophie! gehen mol eruff, ich will eich was sa'I"

Die Geschwister eilen die Zeile hinauf. Unterwegs fragt Sophie:

"Jeßmajajosepp! Was wird denn der wollen?"

Unwirsch antwortet ihr der Bruder:

"Hab doch net gleich so Angst! Der Vater wird heut morgen net mehr
herausfahren können, hat er jedenfalls dem Hummel gesagt, wir sollten net auf
ihn warten!"

Aber auch ihm klopft das Herz stärker. Daß dieser verwünschte Märze-Seppel
mit seinem Schlechtgeschätze alles wieder aufgerührt hat in ihm! Der Teufel soll
ihn holen!

Und die beiden Geschwister erreichen daS Ackererde.

Sophie lehnt sich wider die zu einer Pyramide aufgeschichteten Säcke, drückt
die linke Hand aus das klopfende Herz und knotet mit der rechten ihr Kopftuch
auf. Sie atmet Mit weitgeöffnetem Munde.

Karl umfaßt mit der einen Hand den Holmen der Wagenleiter, die andere
stützt er in die Hüfte.

Zwischen je zwei Sprossen der sich gegenüberliegenden Leitern ist ein schmales
Brett eingeklemmt, auf dem der Bauer und die Bäuerin sitzen. Der Bauer hält
nachlässig das Leitseil und die Peitsche in den Händen. Er ist hemdärmelig und
hat einen breitrandigen spitzen Strohhut von grüner Farbe auf dem Kopf. In
seinen wässerigen blauen Augen irrt eine große Verlegenheit. Da fragt Karl:

"Na, Vetter Hummel, warum denn ihr uns denn gerufen? Hat euch mein
Vater was auszurichten geben?"


Karl Salzcr

„Das sollst du mir büßen, Kerl, daß du meinen Vater einen Spitzbub
geheißen hast! Lebendig kommst du mir net aus den Händ'!"

Die beiden Frauen eilen hinter ihm drein. Sie holen ihn ein, bevor er an
März herankommt, und klammern sich an ihn. Sophie jammert:

„Karl, lieber Karl, mach dich doch net unglücklich wegen so einem Saufbold!"

Da bleibt der Bursche steheu, schüttelt mit unbändiger Kraft die Arme, an
denen er festgehalten wird, bäumt mit dem Oberkörper zurück und knirscht:

„Wollt ihr mich gehn lassen, ihr dreckig Weibsvolk!"

Doch sie lassen nicht locker; sie lassen sich hin und her schütteln, aber sie
lassen nicht locker. Schließlich fallen alle drei zu Boden. Karl versucht wieder
auszukommen, allein die beiden Frauen werfen sich über ihn und pressen ihn mit
der Last ihrer Körper auf die Erde nieder, so lange, bis der Seppel weit genug
fort ist, um nicht mehr eingeholt werden zu können. Dann erst stehen sie auf.
Auch Karl erhebt sich und wendet sich seiner Schwester zu. Aber noch ehe er ein
Wort an sie richten kann, hört er oben vom Wege her seinen Namen rufen.
Vielleicht der Vater?

Er dreht sich herum und sieht hinauf. Es ist nicht der Vater. Denn in dem
Fuhrwerk, das auf dem Wege oben angehalten hat, geht kein Rappe, sondern ein
Schimmel. Karl fragt die Frauen:

„Ist das net der Hummel?"

Die beiden bejahen und sehen ebenfalls gespannt nach dem Gefährt. Der
Bauer winkt mit der Peitsche und ruft noch einmal:

„Karl, Sophie! gehen mol eruff, ich will eich was sa'I"

Die Geschwister eilen die Zeile hinauf. Unterwegs fragt Sophie:

„Jeßmajajosepp! Was wird denn der wollen?"

Unwirsch antwortet ihr der Bruder:

„Hab doch net gleich so Angst! Der Vater wird heut morgen net mehr
herausfahren können, hat er jedenfalls dem Hummel gesagt, wir sollten net auf
ihn warten!"

Aber auch ihm klopft das Herz stärker. Daß dieser verwünschte Märze-Seppel
mit seinem Schlechtgeschätze alles wieder aufgerührt hat in ihm! Der Teufel soll
ihn holen!

Und die beiden Geschwister erreichen daS Ackererde.

Sophie lehnt sich wider die zu einer Pyramide aufgeschichteten Säcke, drückt
die linke Hand aus das klopfende Herz und knotet mit der rechten ihr Kopftuch
auf. Sie atmet Mit weitgeöffnetem Munde.

Karl umfaßt mit der einen Hand den Holmen der Wagenleiter, die andere
stützt er in die Hüfte.

Zwischen je zwei Sprossen der sich gegenüberliegenden Leitern ist ein schmales
Brett eingeklemmt, auf dem der Bauer und die Bäuerin sitzen. Der Bauer hält
nachlässig das Leitseil und die Peitsche in den Händen. Er ist hemdärmelig und
hat einen breitrandigen spitzen Strohhut von grüner Farbe auf dem Kopf. In
seinen wässerigen blauen Augen irrt eine große Verlegenheit. Da fragt Karl:

„Na, Vetter Hummel, warum denn ihr uns denn gerufen? Hat euch mein
Vater was auszurichten geben?"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/475>, abgerufen am 22.07.2024.