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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Hertling in der Jesuitenfrage hat die Reichsregierung vor eins der schwierigsten
Probleme gestellt, die es für Deutschland überhaupt gibt, um so schwieriger im
gegenwärtigen Augenblick.

Die Aufrollung der Jesuitenfrage bedeutet nicht mehr und nicht weniger
als einen Vorstoß des Ultramontanismus gegen das deutsche Kaiser¬
tum. Der Augenblick ist dabei äußerst geschickt gewählt: das deutsche Volk ist
uicht nur in Katholiken und Protestanten gespalten, auch durch die Mitglieder
der evangelischen Kirchen geht ein tiefer Riß; die staatliche Autorität, viel zu
eng verbunden mit den Wirtschaftsinteressen der Bevölkerung, ist unleugbar im
Schwinden begriffen; der nationale Gedanke hat, soweit sich mit ihm nicht
imperialistische Tendenzen in der Weltwirtschaft verbinden, für den inneren
Ausbau des Reichs an Zugkraft verloren; die imposante Organisation der sozial¬
demokratischen Partei zieht die gebildete Jugend, die vor der Ausartung des
wirtschaftlichen Kampfes noch instinktiv einen Abscheu empfindet, mächtig an;
die Armee wird nicht von allen uneingeschränkt als Pflanzstätte vaterländischer
Tugenden bewertet, nachdem ein vierzig Jahre währender Friede gerade in ihr
tausende von Unzufriedenen gezüchtet hat; Großgrundbesitz und Industrie prophezeihen
der Monarchie schlimme Tage, wenn sie sich nicht entschließen sollte, mit Aus¬
nahmegesetzen den aufwärtstreibenden Kräften der Demokratie entgegenzutreten.
-- Doch auch bei den Ultramontanen sieht es nicht viel besser aus: sie haben
eigentlich nur noch beim deutschen und beim polnischen Volke einigen Einfluß,
und der ist bei den deutschen Katholiken auch schou im Schwinden. Der glänzende
Verlauf des letzten Katholikentages braucht uns nicht zu beunruhigen; es war
eine geschickt vorbereitete und einstudierte Parade der Römlinge, keine Kundgebung
der Katholiken Teutschlands.

Welch besseres Mittel gibt es aber als die deutschen Katholiken unter dem
Schlagworte ihrer Bedrückung durch den protestantischen Staat wieder zusammen
zu führen, sie unter Führung des Ultramontanismus zu einigen und dann mit
Hilfe der evangelischen Autoritätsparteien den Staat, die Monarchie gegen den
Umsturz zu" verteidigen, die Umsturzgedanken selbst aber durch die Jesuiten
ausrotten zu lassen! Hilfe gegen den Umsturz, das rst der Köder, um
unsern Regierenden den Jesuitenbraten schmackhaft zu machen; wird er aber
dennoch abgelehnt, so ist mit der Jesuiteuagitation wieder soviel Mißtrauen
in den katholischen Volksteil Deutschlands gesät, daß man sich im Hinblick auf
die Zukunft auch damit bescheiden kann. Diesen Zielen dient der bayerische
Jesuitenerlaß, diente die Resolution auf dem letzten Katholikentage zu Aachen,
dient die Eingabe der bayerischen Bischöfe an den Bundesrat wegen Aufhebung
des Jesuitengesetzes.

Unserer Regierung liegt nun die schwierige Aufgabe ob, auf der einen
Seite die Aufhebung des Jesuitengesetzes oder auch nur seine Milderung zu
verhindern und auf der andern Seite den Schein, als sollten die deutschen
Katholiken gekränkt werden, zu vermeiden. Es ist selbstverständlich, daß hier


Reichsspiegcl

Hertling in der Jesuitenfrage hat die Reichsregierung vor eins der schwierigsten
Probleme gestellt, die es für Deutschland überhaupt gibt, um so schwieriger im
gegenwärtigen Augenblick.

Die Aufrollung der Jesuitenfrage bedeutet nicht mehr und nicht weniger
als einen Vorstoß des Ultramontanismus gegen das deutsche Kaiser¬
tum. Der Augenblick ist dabei äußerst geschickt gewählt: das deutsche Volk ist
uicht nur in Katholiken und Protestanten gespalten, auch durch die Mitglieder
der evangelischen Kirchen geht ein tiefer Riß; die staatliche Autorität, viel zu
eng verbunden mit den Wirtschaftsinteressen der Bevölkerung, ist unleugbar im
Schwinden begriffen; der nationale Gedanke hat, soweit sich mit ihm nicht
imperialistische Tendenzen in der Weltwirtschaft verbinden, für den inneren
Ausbau des Reichs an Zugkraft verloren; die imposante Organisation der sozial¬
demokratischen Partei zieht die gebildete Jugend, die vor der Ausartung des
wirtschaftlichen Kampfes noch instinktiv einen Abscheu empfindet, mächtig an;
die Armee wird nicht von allen uneingeschränkt als Pflanzstätte vaterländischer
Tugenden bewertet, nachdem ein vierzig Jahre währender Friede gerade in ihr
tausende von Unzufriedenen gezüchtet hat; Großgrundbesitz und Industrie prophezeihen
der Monarchie schlimme Tage, wenn sie sich nicht entschließen sollte, mit Aus¬
nahmegesetzen den aufwärtstreibenden Kräften der Demokratie entgegenzutreten.
— Doch auch bei den Ultramontanen sieht es nicht viel besser aus: sie haben
eigentlich nur noch beim deutschen und beim polnischen Volke einigen Einfluß,
und der ist bei den deutschen Katholiken auch schou im Schwinden. Der glänzende
Verlauf des letzten Katholikentages braucht uns nicht zu beunruhigen; es war
eine geschickt vorbereitete und einstudierte Parade der Römlinge, keine Kundgebung
der Katholiken Teutschlands.

Welch besseres Mittel gibt es aber als die deutschen Katholiken unter dem
Schlagworte ihrer Bedrückung durch den protestantischen Staat wieder zusammen
zu führen, sie unter Führung des Ultramontanismus zu einigen und dann mit
Hilfe der evangelischen Autoritätsparteien den Staat, die Monarchie gegen den
Umsturz zu" verteidigen, die Umsturzgedanken selbst aber durch die Jesuiten
ausrotten zu lassen! Hilfe gegen den Umsturz, das rst der Köder, um
unsern Regierenden den Jesuitenbraten schmackhaft zu machen; wird er aber
dennoch abgelehnt, so ist mit der Jesuiteuagitation wieder soviel Mißtrauen
in den katholischen Volksteil Deutschlands gesät, daß man sich im Hinblick auf
die Zukunft auch damit bescheiden kann. Diesen Zielen dient der bayerische
Jesuitenerlaß, diente die Resolution auf dem letzten Katholikentage zu Aachen,
dient die Eingabe der bayerischen Bischöfe an den Bundesrat wegen Aufhebung
des Jesuitengesetzes.

Unserer Regierung liegt nun die schwierige Aufgabe ob, auf der einen
Seite die Aufhebung des Jesuitengesetzes oder auch nur seine Milderung zu
verhindern und auf der andern Seite den Schein, als sollten die deutschen
Katholiken gekränkt werden, zu vermeiden. Es ist selbstverständlich, daß hier


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[0447] Reichsspiegcl Hertling in der Jesuitenfrage hat die Reichsregierung vor eins der schwierigsten Probleme gestellt, die es für Deutschland überhaupt gibt, um so schwieriger im gegenwärtigen Augenblick. Die Aufrollung der Jesuitenfrage bedeutet nicht mehr und nicht weniger als einen Vorstoß des Ultramontanismus gegen das deutsche Kaiser¬ tum. Der Augenblick ist dabei äußerst geschickt gewählt: das deutsche Volk ist uicht nur in Katholiken und Protestanten gespalten, auch durch die Mitglieder der evangelischen Kirchen geht ein tiefer Riß; die staatliche Autorität, viel zu eng verbunden mit den Wirtschaftsinteressen der Bevölkerung, ist unleugbar im Schwinden begriffen; der nationale Gedanke hat, soweit sich mit ihm nicht imperialistische Tendenzen in der Weltwirtschaft verbinden, für den inneren Ausbau des Reichs an Zugkraft verloren; die imposante Organisation der sozial¬ demokratischen Partei zieht die gebildete Jugend, die vor der Ausartung des wirtschaftlichen Kampfes noch instinktiv einen Abscheu empfindet, mächtig an; die Armee wird nicht von allen uneingeschränkt als Pflanzstätte vaterländischer Tugenden bewertet, nachdem ein vierzig Jahre währender Friede gerade in ihr tausende von Unzufriedenen gezüchtet hat; Großgrundbesitz und Industrie prophezeihen der Monarchie schlimme Tage, wenn sie sich nicht entschließen sollte, mit Aus¬ nahmegesetzen den aufwärtstreibenden Kräften der Demokratie entgegenzutreten. — Doch auch bei den Ultramontanen sieht es nicht viel besser aus: sie haben eigentlich nur noch beim deutschen und beim polnischen Volke einigen Einfluß, und der ist bei den deutschen Katholiken auch schou im Schwinden. Der glänzende Verlauf des letzten Katholikentages braucht uns nicht zu beunruhigen; es war eine geschickt vorbereitete und einstudierte Parade der Römlinge, keine Kundgebung der Katholiken Teutschlands. Welch besseres Mittel gibt es aber als die deutschen Katholiken unter dem Schlagworte ihrer Bedrückung durch den protestantischen Staat wieder zusammen zu führen, sie unter Führung des Ultramontanismus zu einigen und dann mit Hilfe der evangelischen Autoritätsparteien den Staat, die Monarchie gegen den Umsturz zu" verteidigen, die Umsturzgedanken selbst aber durch die Jesuiten ausrotten zu lassen! Hilfe gegen den Umsturz, das rst der Köder, um unsern Regierenden den Jesuitenbraten schmackhaft zu machen; wird er aber dennoch abgelehnt, so ist mit der Jesuiteuagitation wieder soviel Mißtrauen in den katholischen Volksteil Deutschlands gesät, daß man sich im Hinblick auf die Zukunft auch damit bescheiden kann. Diesen Zielen dient der bayerische Jesuitenerlaß, diente die Resolution auf dem letzten Katholikentage zu Aachen, dient die Eingabe der bayerischen Bischöfe an den Bundesrat wegen Aufhebung des Jesuitengesetzes. Unserer Regierung liegt nun die schwierige Aufgabe ob, auf der einen Seite die Aufhebung des Jesuitengesetzes oder auch nur seine Milderung zu verhindern und auf der andern Seite den Schein, als sollten die deutschen Katholiken gekränkt werden, zu vermeiden. Es ist selbstverständlich, daß hier

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/447>, abgerufen am 22.07.2024.