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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Schaffen und Genießen

sich und seiner Umgebung zu spinnen. Wer aber in seiner Muße nur kon¬
sumieren will, der vermag, auch abgesehen von den äußeren Schwierigkeiten,
schon wegen seiner inneren Verfassung all das nicht zu vollbringen. Und in der
Tat gehört eine allgemeine Heimat- und Wurzellosigkeit zu den größten
Übeln unserer Zeit. Auch hier ist der Einfluß der Geldwirtschaft und Industrie
unverkennbar. Für die Industrie ist jede Leistung erkaufbar; indem für sie jeder Wert
sein Äquivalent in Geld hat, ist für sie jedes Gut grundsätzlich vertauschbar:
einen spezifischen Wert der Dinge kennt sie im Prinzip nicht.

Viertens wird durch die Herrschaft unserer Tendenz das Gesamtideal des
Lebens verengt und verflacht -- ein Punkt, auf den wir bereits bei der
Besprechung des Familienlebens hinwiesen: alle Ordnungen und objektiven
Güter verlieren ihren Selbstwert und werden zu bloßen Genußmitteln sür das
freie Individuum erniedrigt. Früher wohnten dem Haus und Hof, der Heimat,
dem Staate und Volke ein eigener Geist inne, dem man diente; und Ähnliches
galt von den Gebilden der Kunst und den Lehren der Wissenschaft sowie dem
Inhalte der Berufssphäre; man denke in letzter Beziehung nur an die Bedeutung
der Berufsehre und der Berufssatzungen. In diesen objektiven Gebilden fand
der einzelne überall den letzten Sinn, den eigentlichen Halt und den Anker
seines Daseins. Er diente ihnen nicht in der Art des Sklaven, sondern in der
Art des Musikers, dem eben der strenge Zwang seiner Kunst die Freiheit
gibt, sich vom dumpfen Druck des Lebens zu befreien und die Schwingen seiner
Seele zu entfalten. Die Gefühle der Verehrung, die man diesen Gebilden
entgegentrug, beruhen auf einem tiefgewurzelten Bedürfnis, ja geradezu auf
einem Instinkt der Unterordnung -- auf dem Verlangen, sich einem sinnvollen
Ganzen einzuordnen und eben dadurch seinen Wert zu erhalten. Kein größeres
Glück gibt es in der Tat für den Menschen, nichts Höheres winkt ihm, als
den ganzen Inhalt seines Wesens dadurch zu entfalten, daß er mit Gebilden
verwächst, die seine edelsten Keime ans Licht bringen. Die Tendenz zur bloßen
Konsumtion weiß von einem solchen Willen zur Unterordnung nichts. Sie
wandelt in den Bahnen jenes Geschäftssinnes, der sich durch nichts als durch
seine Verträge gebunden fühlt, und für den es gleich ist, ob er an alten Hosen
oder neuen Büchern oder an der Kriegsausrüstung seines Volkes seinen Profit
macht: etwas Heiliges gibt es sür ihn im Prinzip nicht. Die objektiven Ord¬
nungen, Güter und Gebilde sind für jene Tendenz lediglich dazu da, um die
Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen: sie werden zu bloßen Mitteln der
individuellen Lebensführung. Das höchste Ziel des Lebens besteht darin, daß
der einzelne seine Existenz mit allen Gütern sättigt, ungetrübtes Behagen genießt
und sein Leben normal ablaufen sieht.




Welches sind nun die Heilmittel gegen unsere Tendenz?

Zweierlei ist von vornherein klar. Erstens kann die Lösung nur angedeutet
werden, denn nur bei der Arbeit selbst lassen sich die geeigneten Mittel im einzelnen


Schaffen und Genießen

sich und seiner Umgebung zu spinnen. Wer aber in seiner Muße nur kon¬
sumieren will, der vermag, auch abgesehen von den äußeren Schwierigkeiten,
schon wegen seiner inneren Verfassung all das nicht zu vollbringen. Und in der
Tat gehört eine allgemeine Heimat- und Wurzellosigkeit zu den größten
Übeln unserer Zeit. Auch hier ist der Einfluß der Geldwirtschaft und Industrie
unverkennbar. Für die Industrie ist jede Leistung erkaufbar; indem für sie jeder Wert
sein Äquivalent in Geld hat, ist für sie jedes Gut grundsätzlich vertauschbar:
einen spezifischen Wert der Dinge kennt sie im Prinzip nicht.

Viertens wird durch die Herrschaft unserer Tendenz das Gesamtideal des
Lebens verengt und verflacht — ein Punkt, auf den wir bereits bei der
Besprechung des Familienlebens hinwiesen: alle Ordnungen und objektiven
Güter verlieren ihren Selbstwert und werden zu bloßen Genußmitteln sür das
freie Individuum erniedrigt. Früher wohnten dem Haus und Hof, der Heimat,
dem Staate und Volke ein eigener Geist inne, dem man diente; und Ähnliches
galt von den Gebilden der Kunst und den Lehren der Wissenschaft sowie dem
Inhalte der Berufssphäre; man denke in letzter Beziehung nur an die Bedeutung
der Berufsehre und der Berufssatzungen. In diesen objektiven Gebilden fand
der einzelne überall den letzten Sinn, den eigentlichen Halt und den Anker
seines Daseins. Er diente ihnen nicht in der Art des Sklaven, sondern in der
Art des Musikers, dem eben der strenge Zwang seiner Kunst die Freiheit
gibt, sich vom dumpfen Druck des Lebens zu befreien und die Schwingen seiner
Seele zu entfalten. Die Gefühle der Verehrung, die man diesen Gebilden
entgegentrug, beruhen auf einem tiefgewurzelten Bedürfnis, ja geradezu auf
einem Instinkt der Unterordnung — auf dem Verlangen, sich einem sinnvollen
Ganzen einzuordnen und eben dadurch seinen Wert zu erhalten. Kein größeres
Glück gibt es in der Tat für den Menschen, nichts Höheres winkt ihm, als
den ganzen Inhalt seines Wesens dadurch zu entfalten, daß er mit Gebilden
verwächst, die seine edelsten Keime ans Licht bringen. Die Tendenz zur bloßen
Konsumtion weiß von einem solchen Willen zur Unterordnung nichts. Sie
wandelt in den Bahnen jenes Geschäftssinnes, der sich durch nichts als durch
seine Verträge gebunden fühlt, und für den es gleich ist, ob er an alten Hosen
oder neuen Büchern oder an der Kriegsausrüstung seines Volkes seinen Profit
macht: etwas Heiliges gibt es sür ihn im Prinzip nicht. Die objektiven Ord¬
nungen, Güter und Gebilde sind für jene Tendenz lediglich dazu da, um die
Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen: sie werden zu bloßen Mitteln der
individuellen Lebensführung. Das höchste Ziel des Lebens besteht darin, daß
der einzelne seine Existenz mit allen Gütern sättigt, ungetrübtes Behagen genießt
und sein Leben normal ablaufen sieht.




Welches sind nun die Heilmittel gegen unsere Tendenz?

Zweierlei ist von vornherein klar. Erstens kann die Lösung nur angedeutet
werden, denn nur bei der Arbeit selbst lassen sich die geeigneten Mittel im einzelnen


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[0423] Schaffen und Genießen sich und seiner Umgebung zu spinnen. Wer aber in seiner Muße nur kon¬ sumieren will, der vermag, auch abgesehen von den äußeren Schwierigkeiten, schon wegen seiner inneren Verfassung all das nicht zu vollbringen. Und in der Tat gehört eine allgemeine Heimat- und Wurzellosigkeit zu den größten Übeln unserer Zeit. Auch hier ist der Einfluß der Geldwirtschaft und Industrie unverkennbar. Für die Industrie ist jede Leistung erkaufbar; indem für sie jeder Wert sein Äquivalent in Geld hat, ist für sie jedes Gut grundsätzlich vertauschbar: einen spezifischen Wert der Dinge kennt sie im Prinzip nicht. Viertens wird durch die Herrschaft unserer Tendenz das Gesamtideal des Lebens verengt und verflacht — ein Punkt, auf den wir bereits bei der Besprechung des Familienlebens hinwiesen: alle Ordnungen und objektiven Güter verlieren ihren Selbstwert und werden zu bloßen Genußmitteln sür das freie Individuum erniedrigt. Früher wohnten dem Haus und Hof, der Heimat, dem Staate und Volke ein eigener Geist inne, dem man diente; und Ähnliches galt von den Gebilden der Kunst und den Lehren der Wissenschaft sowie dem Inhalte der Berufssphäre; man denke in letzter Beziehung nur an die Bedeutung der Berufsehre und der Berufssatzungen. In diesen objektiven Gebilden fand der einzelne überall den letzten Sinn, den eigentlichen Halt und den Anker seines Daseins. Er diente ihnen nicht in der Art des Sklaven, sondern in der Art des Musikers, dem eben der strenge Zwang seiner Kunst die Freiheit gibt, sich vom dumpfen Druck des Lebens zu befreien und die Schwingen seiner Seele zu entfalten. Die Gefühle der Verehrung, die man diesen Gebilden entgegentrug, beruhen auf einem tiefgewurzelten Bedürfnis, ja geradezu auf einem Instinkt der Unterordnung — auf dem Verlangen, sich einem sinnvollen Ganzen einzuordnen und eben dadurch seinen Wert zu erhalten. Kein größeres Glück gibt es in der Tat für den Menschen, nichts Höheres winkt ihm, als den ganzen Inhalt seines Wesens dadurch zu entfalten, daß er mit Gebilden verwächst, die seine edelsten Keime ans Licht bringen. Die Tendenz zur bloßen Konsumtion weiß von einem solchen Willen zur Unterordnung nichts. Sie wandelt in den Bahnen jenes Geschäftssinnes, der sich durch nichts als durch seine Verträge gebunden fühlt, und für den es gleich ist, ob er an alten Hosen oder neuen Büchern oder an der Kriegsausrüstung seines Volkes seinen Profit macht: etwas Heiliges gibt es sür ihn im Prinzip nicht. Die objektiven Ord¬ nungen, Güter und Gebilde sind für jene Tendenz lediglich dazu da, um die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen: sie werden zu bloßen Mitteln der individuellen Lebensführung. Das höchste Ziel des Lebens besteht darin, daß der einzelne seine Existenz mit allen Gütern sättigt, ungetrübtes Behagen genießt und sein Leben normal ablaufen sieht. Welches sind nun die Heilmittel gegen unsere Tendenz? Zweierlei ist von vornherein klar. Erstens kann die Lösung nur angedeutet werden, denn nur bei der Arbeit selbst lassen sich die geeigneten Mittel im einzelnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/423>, abgerufen am 22.07.2024.