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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Ferdinand, Zar der Bulgaren

einstweilen steigerten diese Machinationen die Erbitterung der besten Elemente
des Landes gegen Rußland ganz bedeutend, und da auch Fürst Ferdinand
persönlich von Rußland in Acht und Bann getan war, so diente das Ganze
trotz allem zur Befestigung der Stellung des Fürsten. Nach fast sechsjähriger
unverdrossener Arbeit war das Vertrauen zum Fürsten schon so sehr gestiegen,
daß er daran denken konnte, die ärgsten Mängel der Verfassung abzustellen
und die allzu vielköpfige Volksvertretung des verhältnismäßig kleinen Landes
auf die Hälfte ihrer Zahl herabzusetzen. Fürst Ferdinand hatte sich einige Zeit
vorher mit Prinzessin Luise von Parma vermählt, und die neue Dynastie wurde
im Januar 1894 durch die Geburt eines Erbprinzen erfreut. Schwierig genug
blieb die Stellung des Fürsten trotz alledem, denn allmählich hatten die
Parteiungen, die in einem politisch noch so unfertigen Volk natürlich als persön¬
liche Gefolgschaften ehrgeiziger Politiker erschienen, wieder gefährliche innere
Spannungen hervorgerufen. Wir brauchen diese nicht in ihren Einzelheiten zu
verfolgen; für den Fürsten ergab sich daraus die Notwendigkeit, seine Stellung
über den Parteien um so strenger zu wahren. Ende März 1894 sah er sich
genötigt, der Gegenpartei größeren Raum zu gewähren; die Folge war die
Entlassung Stambulows. Gegen den gestürzten Minister entfaltete nun dessen
Todfeind Zankow eine von leidenschaftlichem Haß erfüllte Tätigkeit, die in
Schranken zu halten Fürst Ferdinand vorläufig noch nicht die Macht hatte.
Er mußte nur dafür sorgen, daß die Ausbrüche der Parteileidenschaft den
Staatswagen nicht aus dem mühsam gebahnten Wege schleuderten. Am 15. Juli
1895 fiel Stambulow in Sofia auf offener Straße einem Mordanschlag zum
Opfer; drei Tage später starb er an den erhaltenen Wunden. Es war wohl
die bitterste Erfahrung, die Fürst Ferdinand in seiner Regierung bis jetzt
gemacht hat; aber seine kühl berechnende, überlegene Klugheit fand sogleich den
rechten Ausweg, wie dieser für die bulgarischen Zustände so beschämende
Zwischenfall zum Vorteil des Staates ausgenutzt werden konnte. Der Fall
Stambulows gab eine Anknüpfung, um nun doch endlich mit Rußland ins
Reine zu kommeu. Der Metropolit Element, einer der schärfsten Gegner
Stambulows, wurde jetzt vom Fürsten Ferdinand in geschickter Verständigung
gewonnen und ging als Führer einer Deputation nach Petersburg zu Kaiser
Nikolaus dem Zweiten, der dem Gedanken der Anerkennung der neuen Lage
zugänglicher war als sein Vater. Noch lange schwebten die Verhandlungen,
aber endlich fand doch die zähe Geduld und die unbeirrte Festigkeit des Bulgaren--
fürsten ihren Lohn. Die russische Regierung hatte sich überzeugt, daß ihr die
letzte Gelegenheit, ihren Einfluß auf Bulgarien und den letzten Rest von
Sympathie im Lande zu retten, unwiederbringlich entschlüpfen würde, wenn sie
jetzt dem Fürsten Ferdinand einen Stein in den Weg würfe. Am 14. Februar
1896 erlebte die Welt ein charakteristisches Symptom der neuen Lage. Der
zwei Jahre alte kleine Prinz Boris, der anfangs römisch-katholisch getauft worden
war, empfing jetzt die Taufe nach orthodox-griechischem Ritus, und Zar Nikolaus


Grenzboten III 1912 61
Ferdinand, Zar der Bulgaren

einstweilen steigerten diese Machinationen die Erbitterung der besten Elemente
des Landes gegen Rußland ganz bedeutend, und da auch Fürst Ferdinand
persönlich von Rußland in Acht und Bann getan war, so diente das Ganze
trotz allem zur Befestigung der Stellung des Fürsten. Nach fast sechsjähriger
unverdrossener Arbeit war das Vertrauen zum Fürsten schon so sehr gestiegen,
daß er daran denken konnte, die ärgsten Mängel der Verfassung abzustellen
und die allzu vielköpfige Volksvertretung des verhältnismäßig kleinen Landes
auf die Hälfte ihrer Zahl herabzusetzen. Fürst Ferdinand hatte sich einige Zeit
vorher mit Prinzessin Luise von Parma vermählt, und die neue Dynastie wurde
im Januar 1894 durch die Geburt eines Erbprinzen erfreut. Schwierig genug
blieb die Stellung des Fürsten trotz alledem, denn allmählich hatten die
Parteiungen, die in einem politisch noch so unfertigen Volk natürlich als persön¬
liche Gefolgschaften ehrgeiziger Politiker erschienen, wieder gefährliche innere
Spannungen hervorgerufen. Wir brauchen diese nicht in ihren Einzelheiten zu
verfolgen; für den Fürsten ergab sich daraus die Notwendigkeit, seine Stellung
über den Parteien um so strenger zu wahren. Ende März 1894 sah er sich
genötigt, der Gegenpartei größeren Raum zu gewähren; die Folge war die
Entlassung Stambulows. Gegen den gestürzten Minister entfaltete nun dessen
Todfeind Zankow eine von leidenschaftlichem Haß erfüllte Tätigkeit, die in
Schranken zu halten Fürst Ferdinand vorläufig noch nicht die Macht hatte.
Er mußte nur dafür sorgen, daß die Ausbrüche der Parteileidenschaft den
Staatswagen nicht aus dem mühsam gebahnten Wege schleuderten. Am 15. Juli
1895 fiel Stambulow in Sofia auf offener Straße einem Mordanschlag zum
Opfer; drei Tage später starb er an den erhaltenen Wunden. Es war wohl
die bitterste Erfahrung, die Fürst Ferdinand in seiner Regierung bis jetzt
gemacht hat; aber seine kühl berechnende, überlegene Klugheit fand sogleich den
rechten Ausweg, wie dieser für die bulgarischen Zustände so beschämende
Zwischenfall zum Vorteil des Staates ausgenutzt werden konnte. Der Fall
Stambulows gab eine Anknüpfung, um nun doch endlich mit Rußland ins
Reine zu kommeu. Der Metropolit Element, einer der schärfsten Gegner
Stambulows, wurde jetzt vom Fürsten Ferdinand in geschickter Verständigung
gewonnen und ging als Führer einer Deputation nach Petersburg zu Kaiser
Nikolaus dem Zweiten, der dem Gedanken der Anerkennung der neuen Lage
zugänglicher war als sein Vater. Noch lange schwebten die Verhandlungen,
aber endlich fand doch die zähe Geduld und die unbeirrte Festigkeit des Bulgaren--
fürsten ihren Lohn. Die russische Regierung hatte sich überzeugt, daß ihr die
letzte Gelegenheit, ihren Einfluß auf Bulgarien und den letzten Rest von
Sympathie im Lande zu retten, unwiederbringlich entschlüpfen würde, wenn sie
jetzt dem Fürsten Ferdinand einen Stein in den Weg würfe. Am 14. Februar
1896 erlebte die Welt ein charakteristisches Symptom der neuen Lage. Der
zwei Jahre alte kleine Prinz Boris, der anfangs römisch-katholisch getauft worden
war, empfing jetzt die Taufe nach orthodox-griechischem Ritus, und Zar Nikolaus


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[0409] Ferdinand, Zar der Bulgaren einstweilen steigerten diese Machinationen die Erbitterung der besten Elemente des Landes gegen Rußland ganz bedeutend, und da auch Fürst Ferdinand persönlich von Rußland in Acht und Bann getan war, so diente das Ganze trotz allem zur Befestigung der Stellung des Fürsten. Nach fast sechsjähriger unverdrossener Arbeit war das Vertrauen zum Fürsten schon so sehr gestiegen, daß er daran denken konnte, die ärgsten Mängel der Verfassung abzustellen und die allzu vielköpfige Volksvertretung des verhältnismäßig kleinen Landes auf die Hälfte ihrer Zahl herabzusetzen. Fürst Ferdinand hatte sich einige Zeit vorher mit Prinzessin Luise von Parma vermählt, und die neue Dynastie wurde im Januar 1894 durch die Geburt eines Erbprinzen erfreut. Schwierig genug blieb die Stellung des Fürsten trotz alledem, denn allmählich hatten die Parteiungen, die in einem politisch noch so unfertigen Volk natürlich als persön¬ liche Gefolgschaften ehrgeiziger Politiker erschienen, wieder gefährliche innere Spannungen hervorgerufen. Wir brauchen diese nicht in ihren Einzelheiten zu verfolgen; für den Fürsten ergab sich daraus die Notwendigkeit, seine Stellung über den Parteien um so strenger zu wahren. Ende März 1894 sah er sich genötigt, der Gegenpartei größeren Raum zu gewähren; die Folge war die Entlassung Stambulows. Gegen den gestürzten Minister entfaltete nun dessen Todfeind Zankow eine von leidenschaftlichem Haß erfüllte Tätigkeit, die in Schranken zu halten Fürst Ferdinand vorläufig noch nicht die Macht hatte. Er mußte nur dafür sorgen, daß die Ausbrüche der Parteileidenschaft den Staatswagen nicht aus dem mühsam gebahnten Wege schleuderten. Am 15. Juli 1895 fiel Stambulow in Sofia auf offener Straße einem Mordanschlag zum Opfer; drei Tage später starb er an den erhaltenen Wunden. Es war wohl die bitterste Erfahrung, die Fürst Ferdinand in seiner Regierung bis jetzt gemacht hat; aber seine kühl berechnende, überlegene Klugheit fand sogleich den rechten Ausweg, wie dieser für die bulgarischen Zustände so beschämende Zwischenfall zum Vorteil des Staates ausgenutzt werden konnte. Der Fall Stambulows gab eine Anknüpfung, um nun doch endlich mit Rußland ins Reine zu kommeu. Der Metropolit Element, einer der schärfsten Gegner Stambulows, wurde jetzt vom Fürsten Ferdinand in geschickter Verständigung gewonnen und ging als Führer einer Deputation nach Petersburg zu Kaiser Nikolaus dem Zweiten, der dem Gedanken der Anerkennung der neuen Lage zugänglicher war als sein Vater. Noch lange schwebten die Verhandlungen, aber endlich fand doch die zähe Geduld und die unbeirrte Festigkeit des Bulgaren-- fürsten ihren Lohn. Die russische Regierung hatte sich überzeugt, daß ihr die letzte Gelegenheit, ihren Einfluß auf Bulgarien und den letzten Rest von Sympathie im Lande zu retten, unwiederbringlich entschlüpfen würde, wenn sie jetzt dem Fürsten Ferdinand einen Stein in den Weg würfe. Am 14. Februar 1896 erlebte die Welt ein charakteristisches Symptom der neuen Lage. Der zwei Jahre alte kleine Prinz Boris, der anfangs römisch-katholisch getauft worden war, empfing jetzt die Taufe nach orthodox-griechischem Ritus, und Zar Nikolaus Grenzboten III 1912 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/409>, abgerufen am 22.07.2024.