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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Einiges aus dem englischen Rechtsleben

Kontrolle auszuüben; sodann finden die jungen Barristers in Sachen, die im
Bureau erledigt werden (Chamber-work), stets bereite Hilfe bei älteren Kollegen.
Dazu kommt, daß es viele umfassende praktische Anleitungs- und Fvrmular-
bücher gibt, in denen man fast für alle Fülle und Kombinationen geeignete
Muster finden kann. In Sachen, die in das Gerichtsverhandlungsstadium
gedeihen, wird, wenn sie nicht ganz einfach sind, der Regel nach ein älterer
Barrister neben dem jüngeren bestellt, so daß dieser dann nur eine untergeordnete
(und stumme) Rolle zu spielen hat.

Solche auf Gunst und Hilfe beruhende Praxis kann selbstredend nicht ewig
dauern, und diejenigen, welche nicht reiten können, nachdem sie so in einen
guten Sattel gehoben sind, fallen natürlich und unvermeidlich ab. Für solche
aber, die Fähigkeiten und Ausdauer besitzen, ist der Weg ziemlich gesichert.

Außerhalb dieser so begünstigten Gruppe bleibt es mehr oder weniger dem
Zufall überlassen, ob ein Barrister eine regelmäßige Praxis bekommt oder nur
gelegentliche Aufträge. Und zwar kommt es hier der Regel nach wenig in
Betracht, ob Leute hervorragend begabt sind oder nur Durchschnittsfährgkeit
besitzen. Wir haben es erlebt, daß Männer wie Herschell (später Lord Chancellor),
Russell (später Lord Chief Justice), Gulln (später Sprecher des House of Commons)
und Asquith (der Premierminister) eine ganze Reihe von Jahren völlig
unbeachtet in den Gerichtshöfen und ihren Bureaus vegetierten, und daß die
drei ersteren notorisch schon auf dem Punkte standen, nach den Kolonien aus¬
zuwandern, als ihnen plötzlich ihr Stern aufging. Vielen anderen, vielleicht
ebenso Befähigten ist er nie ausgegangen, und man hat sehr wenig von
ihnen gehört.

In deutschen Schriften haben wir sehr viel von dem "Imperium" des
englischen Richters gehört. Aber das Wort bezieht sich doch in seiner rezipierten
Bedeutung, soviel mir bekannt ist, nur auf die territoriale Gerichtsbarkeit. Es
gilt mit demselben begrifflichen Inhalt in Deutschland wie in England und
braucht deshalb bei einem Vergleich der Rechtsverhältnisse beider Länder nicht
besonders betont werden. Wenn jedoch der Sinn einer besonderen Herrschgewalt
der Richter hineingelegt wird, was ich bei einem historisch rechtlichen Begriff
kaum für zulässig halte, so muß ich sagen, daß eine derartig vage Erweiterung
der Auffassung des Richteramts, wie sie darin läge, bedenklich ist. Es wäre
ferner zu bemerken, daß dieses "Imperium" hier doch hauptsächlich nur bei der
niederen Gerichtsbarkeit -- analog vielleicht der alten preußischen Patrimonial-
gerichtsbarkeit -- zur Geltung kommt, und daß dafür das Wort zu groß ist.
Wenn aber die durch die Isx non scnpta gegebenen, in manchen Beziehungen
erhöhten Machtbefugnisse der englischen Richter tatsächlich bestehen, so hat diese
Medaille jedenfalls, was sie auch immer wert sein mag, ihre Kehrseite darin,
daß diese Richter nicht überall der Aufgabe gewachsen sind, in ihrem Wirken
potenzierter common sense mit richtigem Takt zu vereinigen. Wir wissen ja
auch von Salomo, von Harun al Raschid und dem Prätor nicht, ob sie nicht


Grenzboten III 1912 42
Einiges aus dem englischen Rechtsleben

Kontrolle auszuüben; sodann finden die jungen Barristers in Sachen, die im
Bureau erledigt werden (Chamber-work), stets bereite Hilfe bei älteren Kollegen.
Dazu kommt, daß es viele umfassende praktische Anleitungs- und Fvrmular-
bücher gibt, in denen man fast für alle Fülle und Kombinationen geeignete
Muster finden kann. In Sachen, die in das Gerichtsverhandlungsstadium
gedeihen, wird, wenn sie nicht ganz einfach sind, der Regel nach ein älterer
Barrister neben dem jüngeren bestellt, so daß dieser dann nur eine untergeordnete
(und stumme) Rolle zu spielen hat.

Solche auf Gunst und Hilfe beruhende Praxis kann selbstredend nicht ewig
dauern, und diejenigen, welche nicht reiten können, nachdem sie so in einen
guten Sattel gehoben sind, fallen natürlich und unvermeidlich ab. Für solche
aber, die Fähigkeiten und Ausdauer besitzen, ist der Weg ziemlich gesichert.

Außerhalb dieser so begünstigten Gruppe bleibt es mehr oder weniger dem
Zufall überlassen, ob ein Barrister eine regelmäßige Praxis bekommt oder nur
gelegentliche Aufträge. Und zwar kommt es hier der Regel nach wenig in
Betracht, ob Leute hervorragend begabt sind oder nur Durchschnittsfährgkeit
besitzen. Wir haben es erlebt, daß Männer wie Herschell (später Lord Chancellor),
Russell (später Lord Chief Justice), Gulln (später Sprecher des House of Commons)
und Asquith (der Premierminister) eine ganze Reihe von Jahren völlig
unbeachtet in den Gerichtshöfen und ihren Bureaus vegetierten, und daß die
drei ersteren notorisch schon auf dem Punkte standen, nach den Kolonien aus¬
zuwandern, als ihnen plötzlich ihr Stern aufging. Vielen anderen, vielleicht
ebenso Befähigten ist er nie ausgegangen, und man hat sehr wenig von
ihnen gehört.

In deutschen Schriften haben wir sehr viel von dem „Imperium" des
englischen Richters gehört. Aber das Wort bezieht sich doch in seiner rezipierten
Bedeutung, soviel mir bekannt ist, nur auf die territoriale Gerichtsbarkeit. Es
gilt mit demselben begrifflichen Inhalt in Deutschland wie in England und
braucht deshalb bei einem Vergleich der Rechtsverhältnisse beider Länder nicht
besonders betont werden. Wenn jedoch der Sinn einer besonderen Herrschgewalt
der Richter hineingelegt wird, was ich bei einem historisch rechtlichen Begriff
kaum für zulässig halte, so muß ich sagen, daß eine derartig vage Erweiterung
der Auffassung des Richteramts, wie sie darin läge, bedenklich ist. Es wäre
ferner zu bemerken, daß dieses „Imperium" hier doch hauptsächlich nur bei der
niederen Gerichtsbarkeit — analog vielleicht der alten preußischen Patrimonial-
gerichtsbarkeit — zur Geltung kommt, und daß dafür das Wort zu groß ist.
Wenn aber die durch die Isx non scnpta gegebenen, in manchen Beziehungen
erhöhten Machtbefugnisse der englischen Richter tatsächlich bestehen, so hat diese
Medaille jedenfalls, was sie auch immer wert sein mag, ihre Kehrseite darin,
daß diese Richter nicht überall der Aufgabe gewachsen sind, in ihrem Wirken
potenzierter common sense mit richtigem Takt zu vereinigen. Wir wissen ja
auch von Salomo, von Harun al Raschid und dem Prätor nicht, ob sie nicht


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[0337] Einiges aus dem englischen Rechtsleben Kontrolle auszuüben; sodann finden die jungen Barristers in Sachen, die im Bureau erledigt werden (Chamber-work), stets bereite Hilfe bei älteren Kollegen. Dazu kommt, daß es viele umfassende praktische Anleitungs- und Fvrmular- bücher gibt, in denen man fast für alle Fülle und Kombinationen geeignete Muster finden kann. In Sachen, die in das Gerichtsverhandlungsstadium gedeihen, wird, wenn sie nicht ganz einfach sind, der Regel nach ein älterer Barrister neben dem jüngeren bestellt, so daß dieser dann nur eine untergeordnete (und stumme) Rolle zu spielen hat. Solche auf Gunst und Hilfe beruhende Praxis kann selbstredend nicht ewig dauern, und diejenigen, welche nicht reiten können, nachdem sie so in einen guten Sattel gehoben sind, fallen natürlich und unvermeidlich ab. Für solche aber, die Fähigkeiten und Ausdauer besitzen, ist der Weg ziemlich gesichert. Außerhalb dieser so begünstigten Gruppe bleibt es mehr oder weniger dem Zufall überlassen, ob ein Barrister eine regelmäßige Praxis bekommt oder nur gelegentliche Aufträge. Und zwar kommt es hier der Regel nach wenig in Betracht, ob Leute hervorragend begabt sind oder nur Durchschnittsfährgkeit besitzen. Wir haben es erlebt, daß Männer wie Herschell (später Lord Chancellor), Russell (später Lord Chief Justice), Gulln (später Sprecher des House of Commons) und Asquith (der Premierminister) eine ganze Reihe von Jahren völlig unbeachtet in den Gerichtshöfen und ihren Bureaus vegetierten, und daß die drei ersteren notorisch schon auf dem Punkte standen, nach den Kolonien aus¬ zuwandern, als ihnen plötzlich ihr Stern aufging. Vielen anderen, vielleicht ebenso Befähigten ist er nie ausgegangen, und man hat sehr wenig von ihnen gehört. In deutschen Schriften haben wir sehr viel von dem „Imperium" des englischen Richters gehört. Aber das Wort bezieht sich doch in seiner rezipierten Bedeutung, soviel mir bekannt ist, nur auf die territoriale Gerichtsbarkeit. Es gilt mit demselben begrifflichen Inhalt in Deutschland wie in England und braucht deshalb bei einem Vergleich der Rechtsverhältnisse beider Länder nicht besonders betont werden. Wenn jedoch der Sinn einer besonderen Herrschgewalt der Richter hineingelegt wird, was ich bei einem historisch rechtlichen Begriff kaum für zulässig halte, so muß ich sagen, daß eine derartig vage Erweiterung der Auffassung des Richteramts, wie sie darin läge, bedenklich ist. Es wäre ferner zu bemerken, daß dieses „Imperium" hier doch hauptsächlich nur bei der niederen Gerichtsbarkeit — analog vielleicht der alten preußischen Patrimonial- gerichtsbarkeit — zur Geltung kommt, und daß dafür das Wort zu groß ist. Wenn aber die durch die Isx non scnpta gegebenen, in manchen Beziehungen erhöhten Machtbefugnisse der englischen Richter tatsächlich bestehen, so hat diese Medaille jedenfalls, was sie auch immer wert sein mag, ihre Kehrseite darin, daß diese Richter nicht überall der Aufgabe gewachsen sind, in ihrem Wirken potenzierter common sense mit richtigem Takt zu vereinigen. Wir wissen ja auch von Salomo, von Harun al Raschid und dem Prätor nicht, ob sie nicht Grenzboten III 1912 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/337>, abgerufen am 22.07.2024.