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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Uley

Dann ging sie hinaus, über die Treppe nach oben und schloß ihre Kammer
auf. Sie war hell vom Monde, wie die Stube unten, und die Gegenstände
unterschieden sich. Als Wieschen eintrat, war ihr, es komme ihr etwas Altes,
Liebes entgegen, das ihr lange fern gewesen und uun wieder da war, als
komme die eigene feine, reine Seele zurück und fände sich neu und enger mit
ihr zusammen. Sie sah ihr Arbeitskleid hängen, und es fiel ihr ein, daß sie
noch angetan ging mit dem Kirmeskleid, mit dem sie sich behängen hatte wie
mit einer gemeinen Lüge. Sie warf es ab, die lose genähten Haken sprangen
heraus, wie sie daran riß, und sie vertauschte es mit dem Arbeitskleid und
machte sich neu auf für den Tag. Unter dem Bett standen ihre alten täglichen
Schuhe, sie hob sie an den Schnüren auf und lächelte, als sie sie anzog. Sie
ging dann durch die Stube mit so gleichmäßigen freudigen Schritten, als hätte
sie einen alten verlorenen Weg wieder gefunden.

Einmal hielt sie inne mit ihrem Eifer. Unten war eine Tür auf und zu
getan worden und die Haustür ging. Wieschen trat an das Fenster und sah
den Florentin den Weg zurückgehen, den er vor kaum ein paar Minuten
hergenommen hatte. Sie wartete eine Weile, bis sie wußte, er würde in der
Nolterschlucht sein. Da nickte sie mit dem Kopfe, als heiße sie den Weg des
Burschen gut.

Sie nahm dann von dem Fenster den Blumentopf der Geranie mit und
saß auf ihrem Bettstuhl nieder. So wartete sie auf den Tag. Ihre Gedanken
wurden ruhiger, je länger sie saß, verloren ihr Steingewicht, und einer schmiegte
sich an den andern. Ein kleines glückliches Lachen kam um ihren Mund, wie
sie einmal auf das Geranium in ihrem Schoß nieder sah, und sie sagte halb¬
laut, als spreche sie zu der weißen Blüte: "Er hat sich doch in mir verkannt,
wie in der Blume auch, der Florin."

Die kleine freundliche Schelle über der Haustür war noch abgestellt, und
die nächsten Tage traten still und klanglos in das Haus des Gärtners Kiep.
Die Herbsttage selbst waren wie zögernd in ihrer unter trübem Himmel nur
matten Lichthelle, kamen mit einem späten Morgen und gingen mit frühen
Abenden. Es war, als laure eine tückische Krankheit hinter den Bergen und
Häuserecken, wo der Wind lag und zuweilen seine Stimme hören ließ, die wie
ein hohles, heiseres Husten war.

Wieschen hatte in diesen Tagen noch ein paar schwere Worte zu sagen,
ein paar harte Wege unter die Füße zu nehmen. So hatte sie gleich andern
Tages nach jener Kirmesnacht zum Kien gemeint: "Ich wollt' mich noch heute
außer Haus bringen, egal wohin, es würde schon einer eine Magd brauchen
können. Es ist nur wegen Jelde, daß ich noch da bin, meine Nähzeit ist noch
nicht um. Wenn du mich aber nicht mehr sehen magst --"

Er lachte spöttisch, ohne sie anzublicken. Gesicht und Augen waren ver-
schwollen und rot vom Nachtfeiern, er ging mit trotziger Miene und mit in
die Taschen eingepfropften Händen, vermied aber, einen einzelnen anzusehen.


Die Blumen des Florentin Uley

Dann ging sie hinaus, über die Treppe nach oben und schloß ihre Kammer
auf. Sie war hell vom Monde, wie die Stube unten, und die Gegenstände
unterschieden sich. Als Wieschen eintrat, war ihr, es komme ihr etwas Altes,
Liebes entgegen, das ihr lange fern gewesen und uun wieder da war, als
komme die eigene feine, reine Seele zurück und fände sich neu und enger mit
ihr zusammen. Sie sah ihr Arbeitskleid hängen, und es fiel ihr ein, daß sie
noch angetan ging mit dem Kirmeskleid, mit dem sie sich behängen hatte wie
mit einer gemeinen Lüge. Sie warf es ab, die lose genähten Haken sprangen
heraus, wie sie daran riß, und sie vertauschte es mit dem Arbeitskleid und
machte sich neu auf für den Tag. Unter dem Bett standen ihre alten täglichen
Schuhe, sie hob sie an den Schnüren auf und lächelte, als sie sie anzog. Sie
ging dann durch die Stube mit so gleichmäßigen freudigen Schritten, als hätte
sie einen alten verlorenen Weg wieder gefunden.

Einmal hielt sie inne mit ihrem Eifer. Unten war eine Tür auf und zu
getan worden und die Haustür ging. Wieschen trat an das Fenster und sah
den Florentin den Weg zurückgehen, den er vor kaum ein paar Minuten
hergenommen hatte. Sie wartete eine Weile, bis sie wußte, er würde in der
Nolterschlucht sein. Da nickte sie mit dem Kopfe, als heiße sie den Weg des
Burschen gut.

Sie nahm dann von dem Fenster den Blumentopf der Geranie mit und
saß auf ihrem Bettstuhl nieder. So wartete sie auf den Tag. Ihre Gedanken
wurden ruhiger, je länger sie saß, verloren ihr Steingewicht, und einer schmiegte
sich an den andern. Ein kleines glückliches Lachen kam um ihren Mund, wie
sie einmal auf das Geranium in ihrem Schoß nieder sah, und sie sagte halb¬
laut, als spreche sie zu der weißen Blüte: „Er hat sich doch in mir verkannt,
wie in der Blume auch, der Florin."

Die kleine freundliche Schelle über der Haustür war noch abgestellt, und
die nächsten Tage traten still und klanglos in das Haus des Gärtners Kiep.
Die Herbsttage selbst waren wie zögernd in ihrer unter trübem Himmel nur
matten Lichthelle, kamen mit einem späten Morgen und gingen mit frühen
Abenden. Es war, als laure eine tückische Krankheit hinter den Bergen und
Häuserecken, wo der Wind lag und zuweilen seine Stimme hören ließ, die wie
ein hohles, heiseres Husten war.

Wieschen hatte in diesen Tagen noch ein paar schwere Worte zu sagen,
ein paar harte Wege unter die Füße zu nehmen. So hatte sie gleich andern
Tages nach jener Kirmesnacht zum Kien gemeint: „Ich wollt' mich noch heute
außer Haus bringen, egal wohin, es würde schon einer eine Magd brauchen
können. Es ist nur wegen Jelde, daß ich noch da bin, meine Nähzeit ist noch
nicht um. Wenn du mich aber nicht mehr sehen magst —"

Er lachte spöttisch, ohne sie anzublicken. Gesicht und Augen waren ver-
schwollen und rot vom Nachtfeiern, er ging mit trotziger Miene und mit in
die Taschen eingepfropften Händen, vermied aber, einen einzelnen anzusehen.


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[0330] Die Blumen des Florentin Uley Dann ging sie hinaus, über die Treppe nach oben und schloß ihre Kammer auf. Sie war hell vom Monde, wie die Stube unten, und die Gegenstände unterschieden sich. Als Wieschen eintrat, war ihr, es komme ihr etwas Altes, Liebes entgegen, das ihr lange fern gewesen und uun wieder da war, als komme die eigene feine, reine Seele zurück und fände sich neu und enger mit ihr zusammen. Sie sah ihr Arbeitskleid hängen, und es fiel ihr ein, daß sie noch angetan ging mit dem Kirmeskleid, mit dem sie sich behängen hatte wie mit einer gemeinen Lüge. Sie warf es ab, die lose genähten Haken sprangen heraus, wie sie daran riß, und sie vertauschte es mit dem Arbeitskleid und machte sich neu auf für den Tag. Unter dem Bett standen ihre alten täglichen Schuhe, sie hob sie an den Schnüren auf und lächelte, als sie sie anzog. Sie ging dann durch die Stube mit so gleichmäßigen freudigen Schritten, als hätte sie einen alten verlorenen Weg wieder gefunden. Einmal hielt sie inne mit ihrem Eifer. Unten war eine Tür auf und zu getan worden und die Haustür ging. Wieschen trat an das Fenster und sah den Florentin den Weg zurückgehen, den er vor kaum ein paar Minuten hergenommen hatte. Sie wartete eine Weile, bis sie wußte, er würde in der Nolterschlucht sein. Da nickte sie mit dem Kopfe, als heiße sie den Weg des Burschen gut. Sie nahm dann von dem Fenster den Blumentopf der Geranie mit und saß auf ihrem Bettstuhl nieder. So wartete sie auf den Tag. Ihre Gedanken wurden ruhiger, je länger sie saß, verloren ihr Steingewicht, und einer schmiegte sich an den andern. Ein kleines glückliches Lachen kam um ihren Mund, wie sie einmal auf das Geranium in ihrem Schoß nieder sah, und sie sagte halb¬ laut, als spreche sie zu der weißen Blüte: „Er hat sich doch in mir verkannt, wie in der Blume auch, der Florin." Die kleine freundliche Schelle über der Haustür war noch abgestellt, und die nächsten Tage traten still und klanglos in das Haus des Gärtners Kiep. Die Herbsttage selbst waren wie zögernd in ihrer unter trübem Himmel nur matten Lichthelle, kamen mit einem späten Morgen und gingen mit frühen Abenden. Es war, als laure eine tückische Krankheit hinter den Bergen und Häuserecken, wo der Wind lag und zuweilen seine Stimme hören ließ, die wie ein hohles, heiseres Husten war. Wieschen hatte in diesen Tagen noch ein paar schwere Worte zu sagen, ein paar harte Wege unter die Füße zu nehmen. So hatte sie gleich andern Tages nach jener Kirmesnacht zum Kien gemeint: „Ich wollt' mich noch heute außer Haus bringen, egal wohin, es würde schon einer eine Magd brauchen können. Es ist nur wegen Jelde, daß ich noch da bin, meine Nähzeit ist noch nicht um. Wenn du mich aber nicht mehr sehen magst —" Er lachte spöttisch, ohne sie anzublicken. Gesicht und Augen waren ver- schwollen und rot vom Nachtfeiern, er ging mit trotziger Miene und mit in die Taschen eingepfropften Händen, vermied aber, einen einzelnen anzusehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/330>, abgerufen am 22.07.2024.