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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Kiep

Gartenanlagen, welche sie gezeichnet hatten. Aber jetzt saß sie mit Angst in der
Seele und wartete auf ihn; sie ängstete sich nicht um sein Kommen, sie wußte,
er würde kommen und gleich da sein. Aber es fiel ihr ein, wie sie noch nie
hier hineingegangen war, einschleichender Weise wie heute -- und noch nie um
diese Nachtzeit.

Sie hatte beide Hände geballt im Schoß, die eine um den Schlüssel,
die andere um den Ring geschlossen. Sie hatte die Hand mit dem Ringe
nicht losgelassen, jetzt kam ihr ein Krampf in die Finger, sie stand auf und
legte Ring und Schlüssel auf den Tisch. Die beiden Gegenstände glänzten in
der Mondhelle der Stube. Wieschen stand und starrte darauf hin, als wolle
sie einen dieser Gegenstände wählen und für sich haben, sie wußte, sie verlor
den einen, wählte sie den anderen. Aber hatte sie nicht gewählt? Sie hatte
heute den Ring genommen und den Schlüssel von sich gegeben.

Wieschen ging auf Zehenspitzen durch die Stube und stand still vor dem
Bilde auf der Kommode. Sie reckte und rieb noch ihre Hände, dann nahm
sie es auf und sah es an. Es stellte des Florentin Mutter dar, die Mutter
von jenen Achten, die starke, arbeitsame Frau. Zwischen Bild und Glas war
ein Efeublatt eingeklemmt, eines von ihrem Grab. Das Bild zeigte die
Frau in jener letzten Zeit, wo sie sich ausruhte von ihren Achten, sie saß im
Lehnstuhl, war wie weggerückt von ihrem Platze, wo sie im Leben gestanden.
Sie saß, wenn auch von Alter gebückt, steif und groß, die Hände über dem
starken Leib gefaltet, ohne die Arme in die Seiten zu legen, ohne sich anzulehnen.
Es war, als richte sie die geradeaus sehenden Augen noch auf die Hände ihrer
Kinder und bewache noch ihr Tun von diesem Platze aus. Aber Wieschen
sah neben allem her ein Leuchten in diesen Augen, und ein Lächeln ging durch
die groben Züge, wie es alte ernste Leute haben können, wenn sie ihr jüngstes
großes Kind ansehen. Es verlor sich fast die Stärke der ganzen Gestalt in
diesem Lächeln.

"Sie hat auch nicht stark sein können, ist auch um den Florin schwach
gewesen, diese Frau/' dachte Wieschen und stellte das Bild weg. War sie nicht
wie ein Kind dieser Mutter? War sie nicht aufgewachsen in ihrem Geiste,
gleichsam nach außen mit Kraft prahlend, aber innen eine Liebe tragend,
wunderbar reich und schön und sich selbst vergessend in dieser Liebe?

' "Mutter," sagte Wieschen. Sie sagte es zum ersten Male im Leben, es
klüttg aus ihrer einsamen Seele wie ein Schrei über ein Stück Ödland, kein
Echo kam, sie lauschte, keine Antwort kam. Da schüttelte sie verneinend den
Kopf. "Sie ist deine Mutter nicht!"

Sie lauschte noch mal und sagte: "Du bist nicht ihr Kindt"

. Sie hörte Schritte draußen und streckte die Hände, wie um gegen etwas
anzugehen: "Du willst ihr Kind nicht sein --"

- Sie hörte die Schritte näher kommen, leise und unsicher, einmal strauchelnd
im Grase der Anweide neben der Straße.


Die Blumen des Florentin Kiep

Gartenanlagen, welche sie gezeichnet hatten. Aber jetzt saß sie mit Angst in der
Seele und wartete auf ihn; sie ängstete sich nicht um sein Kommen, sie wußte,
er würde kommen und gleich da sein. Aber es fiel ihr ein, wie sie noch nie
hier hineingegangen war, einschleichender Weise wie heute — und noch nie um
diese Nachtzeit.

Sie hatte beide Hände geballt im Schoß, die eine um den Schlüssel,
die andere um den Ring geschlossen. Sie hatte die Hand mit dem Ringe
nicht losgelassen, jetzt kam ihr ein Krampf in die Finger, sie stand auf und
legte Ring und Schlüssel auf den Tisch. Die beiden Gegenstände glänzten in
der Mondhelle der Stube. Wieschen stand und starrte darauf hin, als wolle
sie einen dieser Gegenstände wählen und für sich haben, sie wußte, sie verlor
den einen, wählte sie den anderen. Aber hatte sie nicht gewählt? Sie hatte
heute den Ring genommen und den Schlüssel von sich gegeben.

Wieschen ging auf Zehenspitzen durch die Stube und stand still vor dem
Bilde auf der Kommode. Sie reckte und rieb noch ihre Hände, dann nahm
sie es auf und sah es an. Es stellte des Florentin Mutter dar, die Mutter
von jenen Achten, die starke, arbeitsame Frau. Zwischen Bild und Glas war
ein Efeublatt eingeklemmt, eines von ihrem Grab. Das Bild zeigte die
Frau in jener letzten Zeit, wo sie sich ausruhte von ihren Achten, sie saß im
Lehnstuhl, war wie weggerückt von ihrem Platze, wo sie im Leben gestanden.
Sie saß, wenn auch von Alter gebückt, steif und groß, die Hände über dem
starken Leib gefaltet, ohne die Arme in die Seiten zu legen, ohne sich anzulehnen.
Es war, als richte sie die geradeaus sehenden Augen noch auf die Hände ihrer
Kinder und bewache noch ihr Tun von diesem Platze aus. Aber Wieschen
sah neben allem her ein Leuchten in diesen Augen, und ein Lächeln ging durch
die groben Züge, wie es alte ernste Leute haben können, wenn sie ihr jüngstes
großes Kind ansehen. Es verlor sich fast die Stärke der ganzen Gestalt in
diesem Lächeln.

„Sie hat auch nicht stark sein können, ist auch um den Florin schwach
gewesen, diese Frau/' dachte Wieschen und stellte das Bild weg. War sie nicht
wie ein Kind dieser Mutter? War sie nicht aufgewachsen in ihrem Geiste,
gleichsam nach außen mit Kraft prahlend, aber innen eine Liebe tragend,
wunderbar reich und schön und sich selbst vergessend in dieser Liebe?

' „Mutter," sagte Wieschen. Sie sagte es zum ersten Male im Leben, es
klüttg aus ihrer einsamen Seele wie ein Schrei über ein Stück Ödland, kein
Echo kam, sie lauschte, keine Antwort kam. Da schüttelte sie verneinend den
Kopf. „Sie ist deine Mutter nicht!"

Sie lauschte noch mal und sagte: „Du bist nicht ihr Kindt"

. Sie hörte Schritte draußen und streckte die Hände, wie um gegen etwas
anzugehen: „Du willst ihr Kind nicht sein —"

- Sie hörte die Schritte näher kommen, leise und unsicher, einmal strauchelnd
im Grase der Anweide neben der Straße.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/288>, abgerufen am 22.07.2024.